Fortsetzung der Untersuchung gegen Alexei

In Petersburg sollte noch großes Gericht gehalten werden. Dorthin rief der Zar die vornehmsten Geistlichen, die Minister, Senatoren, Gouverneure, Generale und Stabsoffiziere zusammen. Diese Alle waren berufen, ein neues, imposantes Blutgericht zu bilden.

Alle die Gerufenen versammelten sich um den Zaren in der heiligen Geistkirche, und begannen ihr furchtbares Rachewerk damit, daß sie Gottes Beistand anriefen zu dieser wichtigen Angelegenheit, die von der Synode als eine, heilige Sache erkannt worden war.


So wurde denn unter dem Vorsitz des Zaren am 25. Juli im großen Saale des Senats bei offenen Türen und Fenstern ein feierliches Gericht eröffnet. Der Zar saß auf dem Thron, umgeben von den Großwürdenträgern der Krone. Zu den Füßen Desselben war die schwarzbehangene Gerichtstafel aufgestellt. An dieser saßen in ihren Ornaten und Uniformen Geistliche, hohe Staatsbeamte und Generale, lauter ernste, würdige Männer, die schon durch ihr Persönliches Erscheinen geeignet waren, mächtig zu imponieren.

Es herrschte die tiefste, schauerlichste Stille in dieser großen, feierlichen Versammlung, als man Waffengeräusch draußen vor der geöffneten Flügeltür vernahm. Es war der Zarewitsch, der in seiner schwarzen Trauerkleidung von Sammet, ohne einen Degen an der Seite, um so mehr schauerlich blaß erschien. Innerlich bebend, wie vernichtet cm Leib und Seele, ging er dem großen — über seine Zukunft entscheidenden Momente entgegen. Vier bewaffnete Unteroffiziere von der Garde mit gezogenem Säbel waren seine Führer.

Zunächst wurden durch den Gerichtsschreiber die Akten der bisherigen Untersuchung vorgelesen, die auf den Prinzen den schmerzlichsten Eindruck machen mußten, da sich darin alle die gemachten Vorwürfe aus dem Manifest des Zaren wiederholten.

Es führte aber auch diese Vorlesung zurück auf die Fortsetzung der Untersuchung gegen Alexei und seine Genossen, die schon in Moskau begonnen hatte.

Dort hatte er in der Stiftskirche dieser Hauptstadt vor dem Altar auf das Evangelium und das Kruzifix geschworen, daß er ohne Rückhalt und Hehl dem Zaren, wie vor Gott, entdecken wolle, was seine Entweichung betreffe. Er hatte erklärt, daß er den Tod erleiden wolle, sofern er Etwas wissentlich verheimlichen sollte. — Der Zar hatte ihm angedeutet, daß nur diese unbegrenzte Entdeckung die Bedingung seiner Begnadigung sei.

Gleich am folgenden Tage wurden ihm sieben Fragen zur schriftlichen Beantwortung vorgelegt.

Der Moment war ein sehr ernster. Er sollte entscheiden über Leben und Tod. Noch einmal ermahnte der Zar, in einem eigenhändigen Zusatz auf diese Frageartikel, den Prinzen, ja Alles herauszusagen und zu bekennen, wie im Beichtstuhl. „Denn,“ so hieß es weiter, „gestern ist Euch vor Männiglich angedeutet worden, daß, so Ihr Etwas verschweigt, das nachmals herauskommt, der Euch erteilte Pardon null und nichtig sein soll.“

Alexei, wie schwer es ihm auch wurde, seine nächsten Freunde und Vertrauten zu verraten, konnte nun doch in seiner niedergeschriebenen Antwort nicht leugnen, daß, als er sich in seinem ersten Schreiben an den Zaren der Thronfolge für unwürdig erklärt und das Kloster gewählt habe, dieses auf Alexander Kikins und Nikifor Basemskojs Rat geschehen sei, die ihm zu verstehen gegeben hätten, daß, da kein anderes Mittel vorhanden sei sich zu retten, er so antworten müsse, wenn gleich er so nicht gegesinnt sei.

„Kikin,“ fügte er hinzu, „machte mir Vorwürfe, daß ich nicht schon früher entflohen sei. — „„Aber geschehene Dinge,““„ sagte er, „„lassen sich nicht ändern.““ — „„Auch nagelt man nicht Mönchskutten auf den Kopf. Sie lassen sich immer wieder ausziehen und an den Haken hängen.““

Auch habe der Fürst Wassili Dolghoruki gleichfalls zur Entsagung geraten und hinzugefügt: „Stellt tausend Verschreibungen aus; wer weiß, wie es geht, wenn die Sache sich ereignet.“

Ferner bekannte er: als sein Vater ihn nach Kopenhagen gerufen, habe er diese Gelegenheit zur Entweichung für die günstigste erkannt. Um diese Flucht habe Anfangs Niemand gewußt, als Kikin und Iwan Affonassiew. Der Letztere habe ihm Verschwiegenheit versprochen; habe ihn aber gewarnt: er solle bedenken, was er tue.

Kikin, der ihm den Rat gegeben, nach Wien zu gehen, habe gesagt: „Schickt Euer Vater Jemanden nach Euch aus, der Euch zur Rückkehr bewegen soll, so folgt ihm nicht! Er läßt Euch öffentlich den Kopf abschlagen.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große. Seine Zeit und sein Hof. III.