Einzug der Schweden in diese Festung

Peter der Große hatte jedoch mit seinem Scharfsinn, und da er gut bedient war, die ganze Intrige durchschauet. Schon bald nach seinem Eintritt in Holstein hatte er gegen den Baron von Görz sein geringes Vertrauen zu der Aufrichtigkeit der gottorp'schen Neutralität ausgesprochen, und so konnte es ihn nur wenig überraschen, als er bald nach der Einnahme Friedrichstadts erfuhr, daß Stenbock sich (am 14. Februar 1713) in „die Festung Tönningen geworfen hatte. Die nächste Folge war, daß man dänischer Seits dagegen das Schloß Gottorp nebst den fürstlichen Ämtern im Herzogtum Schleswig, wie auch das Stift Lübeck in Besitz nahm.

Das Haus Gottorp hatte sich durch seine hinterlistige und zweizüngige Politik zu Gunsten Schwedens in die Gefahr gesetzt, seine Erbländer zu verlieren, ohne dadurch dem schwedischen Heere wesentlich zu nützen. Selbst Stenbock hatte erkannt, daß Tönningen ihm nur auf kurze Zeit einigen Schutz gewähren könne. Er suchte daher diesen Aufenthalt nur zu nützen, um unter dem Schutze der Festungskanonen über die Eider zu setzen und sich mit seinem Corps nach Mecklenburg zurückzuziehen. Schon waren etwa 2.000 Mann über den Strom gesetzt, als ein Sturm die weitere Überfahrt unterbrach.


Der Zar aber war mit dem Kern seines Heeres schon von Friedrichstadt aus an die Eider, nach Lunden, das Tönningen gegenüber liegt, in Eilmärschen gegangen, um die hinübergesetzten Schweden entweder aufzufangen, oder wieder zum Rückzug nach Tönningen zu zwingen. Das Letztere erfolgte in der Nacht vom 21. Februar 1713, als die Schweden von dem Anrücken der Russen Kunde erhielten.

Nun aber war Stenbocks Heer, ohne Geld, ohne Lebensmittel, von Krankheiten geschwächt, in der bedrängtesten Lage. Daß es sich bald, auch ohne neues Blutvergießen, den Russen und den Truppen der Alliierten ergeben müsse, war nicht zu bezweifeln. Peter aber hatte in Petersburg wichtigere Geschäfte zu besorgen und größere Angelegenheiten zu ordnen, um hier seine Zeit zu verlieren. Er übertrug den weitern Oberbefehl an Mentschikoff, gab ihm genaue Verhaltungsbefehle, und ging nach Petersburg zurück, um dort eine neue Unternehmung, einen Einfall in das schwedische Finnland vorzubereiten und zu leiten.

Auf dieser Rückreise verweilte Peter der Große mehrere Tage in Hannover bei dem Kurfürsten und dessen Mutter, der verwitweten Kurfürstin Sophia, für die der Zar bei seiner ersten ausländischen Reise hohe Achtung gefaßt hatte.

Dort traf er den gottorp'schen Minister, Baron von Görz, der ihm gefolgt war, um das Verfahren des Herzogs Administrators wegen Tönningen zu entschuldigen, wo möglich zu rechtfertigen.

Dem gewandten Diplomaten fehlte es nicht an Scheingründen und blendenden Projekten und Plänen. „Die gottorp'sche Regierung,“ sprach er, „würde glauben eher Dank als Unwillen verdient zu haben, wenn sie auch wirklich ihre Genehmigung zum Einzuge der Schweden in Tönningen erteilt hätte, was jedoch auf das Bestimmteste in Abrede gestellt werden muß; denn eben durch diese Aufnahme würde ja das Geschick des schwedischen Heeres ganz in die Hände der Verbündeten gegeben sein.“

Dann zeigte er dem Zaren in der Ferne die Aussicht, daß der junge Herzog Karl Friedrich, mit Rußlands Hilfe auf den schwedischen Thron, dessen Erbe er bekanntlich sei, gehoben, sich wohl geneigt finden lassen könne, dem Zaren ein Stück seiner Erblande abzutreten. Er pries ihm in dieser Beziehung die Vorteile des Besitzes von Holstein, und wie leicht dort durch einen Kanal ein neuer und kürzerer Weg als durch den Sund, mit seinen drückenden Zöllen, aus der Ostsee in die Nordsee genommen werden könne, wodurch der russische Welthandel einen blühendem Aufschwung gewinnen würde.

Um dahin zu gelangen, müsse es freilich der erste Schritt sein, daß die gottorp'schen Landesteile, deren sich Dänemark jetzt bemächtigt hätte, dem Herzog Administrator zurückgegeben würden, und daß für die schwedischen Staaten in Deutschland die schon im Haager Convent festgesetzte Neutralität erneuert würde.

Peter hatte diese lange, in glatter, gewandter Sprache gehaltene Rede mit kalter Ruhe angehört. Kein Zug seines Gesichts verriet Beifall oder Missfallen. Ohne ein Wort darauf zu erwidern, entließ der Zar den Baron, und dieser befand sich in nicht geringer Verlegenheit, da er mit allem Scharfsinn nicht ermitteln konnte, welchen Eindruck seine Entschuldigungen und Pläne auf den Zaren gemacht hatten.

Peter aber hatte sich durch Eingehen auf so weit aussehende Pläne nicht die Hände binden lassen wollen für etwa spätere Entschließungen, wie sie von den Umständen und der Politik der russischen Interessen etwa geboten werden sollten.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große. Seine Zeit und sein Hof. III.