Alexei verzichtet auf die Thronfolge

Alexei hatte noch am Abend seiner Ankunft mit seinem Vater eine lange Unterredung. Diese war mit großer Feierlichkeit vorbereitet und abgehalten worden.

Schon beim Anbruch dieses Tages besetzten am 3/14. Februar die Garden und die Besatzung der Stadt alle Thore und Zugänge zum Schloß. Alle Minister, Bojaren und Geheimräte waren zu einer großen Versammlung in den Audienzsaal des Schlosses, und die Geistlichkeit zum Zusammentritt in die Kathedralkirche beschieden. Nach dem Läuten einer großen Glocke wurde der Zarewitsch als Gefangener, ohne Seitengewehr, umgeben von einer zahlreichen bewaffneten Schar, eingeführt.


Alexei war totenblass, und ein leises Zittern durchrieselte seine Glieder. Mit niedergeschlagenen Blicken wendete er sich gegen den Zaren, und indem er ihm sein schriftlich aufgesetztes Bekenntnis seines Verbrechens überreichte, warf er sich weinend nieder vor seinen Füßen, und sichte um Gnade.

Kein Auge blieb trocken in der großen und glänzenden Versammlung.

Der Zar übergab die schriftliche Erklärung seines Sohnes dem Vize-Kanzler Schaffiroff und hob ihn auf, mit der Frage, was er begehre?

„Gnade und Leben,“ war die flehende Bitte.

„Beides sei Euch gewährt,“ entgegnete der Zar, „jedoch unter der zweifachen Bedingung: der Verzichtleistung auf die Thronfolge, deren Ihr Euch durch Euer Betragen unwürdig gemacht habt, und der offenen rückhaltslosen Anzeige der Teilnehmer und Mitwisser Eurer Verbrechen.“

Der unglückliche Alexei versprach beide Bedingungen zu erfüllen. Er bat seinen Vater um die Gnade, ihm in einem besondern Gemach unter vier Augen die nötigen Mittheilungen machen zu dürfen, und der Zar trat mit ihm in ein Nebenzimmer. Dort nannte ihm Alexei mehrere Namen — wenn auch mit schwerem Herzen und innerem Widerstreben, aber es gab kein anderes Mittel, sich selbst zu retten, und der Zar führte ihn zurück in den großen Saal, wo der Prinz vor allen Notabilitäten des Reichs eine, vorher schon aufgesetzt gewesene Akte, die jetzt laut vorgelesen wurde, unterschrieb, worin er sich zur Regierung unfähig erklärte und allen Rechten an der Krone entsagte.

Nun erst wurde ein Manifest des Zaren laut verlesen.

Es war sehr rücksichtsvoll geschrieben, und beleuchtete mit den stärksten Zügen das Betragen des Prinzen von seiner frühesten Jugend bis zu der jetzigen Zeit. Man kann sich denken, mit welcher tiefen Beschämung, mit welchem an Vernichtung grenzenden innern Groll der unglückliche Zarensohn diese Vorwürfe vor einer so vornehmen Versammlung anhören mußte.

Das Manifest begann mit der Schilderung seiner Unempfänglichkeit für den frühern Unterricht, den der Zar ihm habe erteilen lassen. Es klagte über seine Verbindung mit verderbten Menschen, wovon ihn weder Güte noch Strenge habe abbringen können.

„Ich habe ihn,“ fuhr der Zar in diesem Manifeste fort — „um ihn das Kriegswesen zu lehren, mehr als einmal auf Feldzügen mitgenommen und den Thronfolger von Gefahren entfernt, denen Ich Mich selbst auszusetzen kein Bedenken trug; Ich habe ihm, um ihn für die Regierungskunst zu bilden, die Reichs-Regentschaft anvertraut; Ich habe ihn, um ihn zur Nacheiferung anzuspornen, in das Ausland gesandt. Aber meine Bemühung glich dem Samen, der auf einen Fels fiel. Nicht nur ist Alexei dem Guten nicht gefolgt, er hat es gehaßt.

„Auch seine Verbindung mit einer selbstgewählten, verständigen, geistreichen und tugendhaften Prinzessin hat ihn so wenig gebessert, daß er vielmehr die eheliche Treue gebrochen, mit einem Frauenzimmer von niedrigster Herkunft öffentlich gelebt und dadurch die Tage seiner Gemahlin wahrscheinlich verkürzt hat.

„Durch seine Flucht ist endlich das Maß seiner Verbrechen erfüllt. Er hatte sich unter den Schutz des Kaisers begeben, und ihn durch verleumderisches Vorbringen, daß Ich ihn verfolge und ohne Ursache von der Erbschaft ausschließen wolle, ja, daß er seines Lebens bei Mir nicht sicher sei, zur bewaffneten Verteidigung seiner Person aufgerufen. Er hat sich der Rückkehr geweigert, und nur die Besorgnis, wider seinen Willen ausgeliefert zu werden, hat ihn endlich zur Nachgiebigkeil bewogen und zurückgeführt. Daß er strafbar sei, hat er selbst bekannt. Wohl hätte er den Tod verdient; aber die väterliche Zärtlichkeit erbarmet sich seiner.

„Ich verzeihe ihm seine Verbrechen, und erlasse ihm alle Strafe. Aber diesem Unwürdigen die Thronfolge zu lassen, streitet wider Mein Gewissen, denn Ich sehe voraus, daß er durch seine verderbte Aufführung den Ruhm der Nation vernichten, die Provinzen, welche Ich durch unablässige Anstrengungen erworben und durch Gottes Gnade gesichert habe, wieder verlieren und die wissenschaftlichen Anstalten, die Ich mit vieler Sorgfalt zum Ruhm und zum Besten des Reichs und der Nation errichtet, zerstören würde. Beklagenswert würden meine Untertanen sein, wenn Ich sie durch einen solchen Nachfolger in einen Zustand zurückwärts, der ärger wäre, als er zuvor gewesen.

„So handle Ich denn zur Wohlfahrt Meines Reichs, da Ich hierdurch, sowohl aus väterlicher Gewalt, kraft welcher, nach den Gesetzen des Reichs, jeder Privatmann einen Sohn nach Gefallen enterben kann, als aus landesherrlicher Machtvollkommenheit, Meinen Sohn Alexei, wegen seiner Verbrechen und seiner Unwürdigkeit, der Nachfolge auf den russischen Thron für verlustig erkläre. Er soll derselben verlustig sein, wenn nach Mir auch kein Zweig meiner Familie übrig sein sollte.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große. Seine Zeit und sein Hof. III.