Alexei nennt alle Mitwisser

Auf weitere eindringliche Fragen nannte der Zarewitsch noch mehrere Mitwisser, als Friedrich Dubrowsky, der ihm gesagt habe, es hätten schon Viele seines Ranges Rettung in der Flucht gefunden. Seine Verwandten würden ihn nicht verlassen. Ferner nannte er Ebelakoff, der es gewußt, daß Kikin ihm einst geraten, nach Frankreich zu entfliehen. Endlich gestand er noch, nachdem seine Maitresse Euphrosine bekannt hatte, es von ihm selbst gehört zu haben, daß er seiner Schwester Maria Alexiewna entdeckt habe, er wolle sich verbergen. Mitleiden mit ihr, fügte Alexei entschuldigend hinzu, habe ihn bewogen, dieses so lange zu verschweigen.

Alexei hatte die Bedingung seiner Begnadigung, alle Mitwissende zu entdecken, Anfangs nicht in dem Umfange erfüllt, wie es der Zar erwartet hatte. Diese Verschweigung, aus Scheu, geliebte Personen in sein Unglück zu verwickeln, so verzeihlich und edel sie auch in ihren Beweggründen war, so verderblich wurde sie doch ihm selbst, denn Alexei wurde im Lauf der Untersuchung durch Aussagen anderer Personen noch stärker kompromittiert, als durch sein schonendes Verschweigen mancher Teilnehmer.


Es trat dadurch immer deutlicher hervor, wie hinterlistig er gehandelt hatte, indem er stets, trotz des an Eides Statt ausgestellten schriftlichen Verzichts auf die Krone, sich mit Plänen und Absichten beschäftigt hatte, dieselbe anzunehmen, sobald es günstigere Umstände, selbst bei Lebzeiten seines Vaters, gestatten würden.

Diese Absichten gingen ganz deutlich aus bewiesenen mündlichen Bemerkungen seinerseits und aus Briefen hervor. Die stärksten Beweise dafür lagen am Ende in seinen eigenen Bekenntnissen.

Über seine Äußerungen war einer der stärksten Belastungszeugen gegen ihn der Freund Kikins, Iwan Affonassiew, der bezeugte, daß Alexei oft gesagt: „Gedenket meiner Worte! Ihr werdet sehen: Petersburg wird nicht lange bestehen.“ — Ferner: daß er einst seinen Unwillen über den Fürsten Trubezkoi und den Grafen Gholowkin ausgesprochen habe, weil sie ihm, wie er sich ausdrückte, „sein teuflisches Weib an den Hals geworfen hätten.“ Er habe Beide in seiner Wut mit dem Tode bedroht, und als Affonassiew ihn warnend gefragt, warum er so frech rede, da habe Alexei ausgerufen: „Es lebe das gemeine Volk! Ich frage nicht ein Haar nach allem Andern. Finde ich nur meine Gelegenheit, daß mein Vater nicht in meiner Nähe ist, so will ich den Erztischöfen ein Wort ins Ohr raunen. Die sollen es den Popen und ihren Zuhörern sagen. Dann bin ich sicher, sie werden mich auch wider meinen Willen auf den Thron heben.“

Euphrosine gab Zeugnis von einer Äußerung des Zarewitsch über ein Zeitungsgerücht, das nach seiner Flucht in Petersburg entstanden war, nämlich daß man dort von einem Aufruhr redete, der in Mecklenburg unter den russischen Truppen ausgebrochen sei; auch daß man dem Zaren nach dem Leben trachte. Die Sage gehe nämlich: man wolle die Zarin Katharina mit ihrem Sohne Peter dahin bringen, wo die alte Zarin Eudoria sich befinde; Diese aber nach Moskau führen und Alexei auf den Thron setzen. — Dieses Zeitungsgerücht habe Graf Schönborn aus der Zeitung: „Bleier's Nachrichten“ dem Prinzen mitgeteilt, und Dieser habe das Gerücht von einem Aufruhr unter den russischen Soldaten in Mecklenburg seiner Geliebten erzählt und sich darüber gefreut, mit dem Ausrufe: „Seht Ihr wohl; Gott ist dabei!“

Die eigenhändigen Briefe des Zarensohnes, welche dessen Schuld bezeugten, waren aus Neapel datiert, und zwar gleich nach seiner Ankunft auf St. Elmo. Der eine war an den russischen Senat in St. Petersburg, der andere an die Erzbischöfe, und ein dritter, eben daher, aber später, an den Erzbischof von Kiew geschrieben.

An den Senat hatte er geschrieben: „Ihr werdet, so wie die ganze Welt, über meinen Aufbruch aus dem Lande verwundert sein. Die steten harten Begegnungen haben mich gezwungen, mein geliebtes Vaterland zu ver lassen. Man gedachte mich zu Anfang des Jahres 1716 in ein Kloster zu stecken, ohne daß ich es durch Etwas verschuldet hätte. Keinem unter Euch kann es unbewusst sein. Allein der barmherzige Gott hat mir ausgeholfen, da er mir eine Gelegenheit zeigte, mich zu entfernen. Ich lebe jetzt wohl und gesund unter dem Schutze einer gewissen hohen Person, bis mich Gott, der mich erhalten hat, in mein liebes Vaterland zurückruft. Ich bitte Euch, mich sodann nicht zu verlassen. Für jetzt glaubt nicht den Zeitungsnachrichten, die man etwa aus Begier, mich aus dem Gedächtnis der Menschen zu tilgen, von meinem Tode ausstreuen möchte. Gott hält mich in seinem Schutz, und meine Wohltäter verlassen mich nicht.“

In einem ähnlichen Sinne waren auch die anderen erwähnten Briefe an die Erzbischöfe und ganz besonders an den Erzbischof von Kiew geschrieben.

Die beiden erstgedachten Schreiben, an den Senat und die Erzbischöfe, waren nicht nach Rußland abgegangen. Man hatte sie in Wien zurückbehalten; aber die Entwürfe dazu waren unter den Papieren des Prinzen gefunden worden.

Alexei konnte alle diese bewiesenen Tatsachen, als sie ihm vorgehalten wurden, nicht leugnen; was aber die Reden betraf, so entschuldigte er sich mit Trunkenheit. Er gestand auch, die drei Briefe geschrieben zu haben; doch suchte er sich zu entschuldigen, indem er wenigstens zu den beiden zuerst gedachten Briefen gezwungen gewesen sei. Als er nämlich aus Tirol nach Neapel gebracht worden, habe ihn der Sekretär des Grafen Schönborn, Kahl, zu dem Sekretär des Vize-Königs, Namens Weingarten, geführt und Dieser habe ihm gesagt, da man in Rußland vorgegeben, daß er gestorben oder nach Sibirien gebracht worden sei, so wäre es nötig, daß er den Senat und die Bischöfe durch eigenhändige Schreiten überzeuge, daß er noch lebe. Wenn er das nicht tue, so werde man ihm weiter keinen Schutz gewahren können. — Der Sekretär sei auch nicht aus dem Zimmer gewichen, bis er diese Briefe geschrieben. Er habe dabei voraussetzen müssen, daß dieses der ausdrückliche Wille und Befehl des Kaisers sei, unter dessen Schutz er sich begeben gehabt habe.

Der kaiserliche Hof leugnete natürlich die Wahrheit dieser Tatsachen, indem weder der Kaiser, noch der Graf Schönborn dazu Befehl gegeben habe. Dennoch können sie wahr gewesen sein; denn bekanntlich macht sich die Diplomatie, im Interesse der Politik, kein Gewissen aus einer Lüge.

Aber, wie gesagt, mehr noch als alle diese Beweise belasteten ihn seine eigenen Geständnisse. Er hatte in dem aufgefundenen Entwurfe an den Senat geschrieben: „Ich bitte Euch, mich sodann nicht zu verlassen,“ Dieses Wort: „sodann“ war zweimal geschrieben, aber zweimal wieder ausgestrichen gefunden worden. Auf die Frage an den Zarewitsch, was er dabei für eine Absicht gehabt habe, antwortete er: „Meine Absicht ist es gewesen, man sollte den Brief unter das Volk verbreiten, damit es sich dadurch desto mehr auf meine Seite wende und durch Bitten und Drohen, oder sonst sich für mich erkläre. Indes nachher habe ich dieses für unrecht gehalten und das Wort „sodann“ wieder ausgestrichen.“

Über die Äußerung wegen des Aufstandes gab er zu vernehmen: „Als ich die Nachricht von dem Aufstande erfuhr, habe ich mich allerdings darüber gefreut, und in dieser Freude habe ich gesagt: Gott möchte nicht geben, daß die Sachen meines Vaters nach Wunsche gingen! Und wäre die Sache wahr gewesen, und man hätte mich gefordert, so wäre ich freilich zu den Missvergnügten gestoßen. Vor meines Vaters Absterben würden sie, dachte ich, mich nicht fordern; denn daß sie meinen Vater bei seinem Leben vom Throne stoßen wollten, habe ich nicht geglaubt. Hätten sie mich aber auch schon bei seinem Leben gerufen, so würde ich, wenn sie stark genug gewesen wären, sich zu halten, wahrscheinlich zu ihnen übergegangen sein.“

Alle diese wesentlichen Punkte wurden jetzt aus den Protokollen der Akten dem Prinzen im Beisein des Zaren in dieser öffentlichen Versammlung wieder vorgelesen. Es wurde ihm vorgehalten, daß er zur Versicherung der väterlichen Gnade und der erhaltenen Verzeihung viele Personen, Briefe und Tatsachen verschwiegen und dadurch die Absicht an den Tag gelegt habe, Alles von Neuem zu unternehmen, was er bisher nicht habe zu Ende bringen können.

Nochmals bekannte der Prinz jetzt öffentlich, daß er alles Desjenigen, was die Akten enthielten, sich schuldig gemacht habe.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große. Seine Zeit und sein Hof. III.