Einleitung

In noch höherem Grade, als diese seine beiden Vorgänger, ist Peter I., mit vollem Rechte der Große genannt, unserer Bewunderung würdig. Gebieter des am wenigsten kultivierten Teiles der slavischen Rasse im Nordosten Europas und des asiatischen Nordens, ließen Anfangs weder seine persönlichen, noch die innern und äußern Verhältnisse seiner Länder auch nur entfernt ahnen, was er aus sich und seinem Russland zu machen vermögend wäre. Hofintrigen der niedersten Art hemmten seinen Arm bis zu dem Augenblicke, wo er allein das Szepter erfasste. Als ihm dies endlich gelungen war, fand er sich, den Souveränen anderer Staaten gegenüber, fast als Halbwilden angesehen und Russland in einer ganz isolierten politischen Stellung. Er hat sofort, durch eigene Energie und imponierende persönliche Eigenschaften — teils ein Geschenk der Natur, teils eine Frucht seines eisernen Fleißes und standhaften Willens — einen der ersten Plätze unter den Thronen der Welt okkupiert und diesen Rang mit den Waffen in der Hand und durch eine gesunde Politik zu behaupten verstanden. Er gewann dem kriegerischen Helden, Karl XII. von Schweden, das Übergewicht im Norden Europas ab und gründete eine neue Hauptstadt, welche die seeische Existenz des Russenreiches repräsentiert, auf schwedischem, noch nicht einmal abgetretenem, sondern bloß erobertem Boden. Seine Kühnheit ward vom Glücke unterstützt, seine Beharrlichkeit von nachhaltigen Erfolgen gekrönt. Peter war ein Volksbildner, mehr noch als ein Eroberer. Er gab der ungeheueren Stoffmasse, die er in seinem Reiche vorfand, Form und Zweck. Er wurde der Vater des russischen Handels und der russischen Seemacht. Wie er auf die Sitten seiner Untertanen aufklärend und veredelnd wirkte, so ermunterte er auch Gewerbe, Künste und Wissenschaften. Er reiste und wohnte mehre Jahre in den gebildetesten Ländern der Erde, in Holland, England und Frankreich, um selbst zu lernen und Einsicht zu nehmen von den Hebeln der Kultur jener Länder, besonders aber auch, um ausgezeichnete Männer in jedem Fache, aus allen Nationen, namentlich aus Deutschland, als Lehrer seines Volkes nach Russland zu berufen.

Dieser große Organisator war glücklicher, als die meisten berühmten Männer der Weltgeschichte: er förderte sein Werk auf einen hohen Grad des Fortschrittes und fand Nachfolger, die nicht nur seine Politik im Ganzen und Großen begriffen, sondern auch den Geist besaßen, jene Kultur zu fördern, welche den Zwecken einer weit aussehenden Staatsraison dienstbar ist. Peter I. wird, als Vormann und Ahnherr dieser Reihe intelligenter Monarchen, noch interessanter, als er durch ein vereinzeltes, ephemeres Erscheinen, wie etwa ein Alexander der Große und Napoleon, geworden sein würde.


Kaum vier Menschenalter sind seit Peters Tode dahingegangen, und bereits hat die Geschichte mit Bewunderung die Namen Katharina, Alexander und Nikolaus in ihre Tafeln eingetragen; Katharina, die geist- und siegreiche; Alexander, den standhaft-unüberwindlichen, den philantropisch-religiösen Stifter der heiligen Allianz, ihn, der die Feuer- und Bluttaufe eines Napoleon bestand; Nikolaus, den Türkenüberwinder, den Sammler der slavischen Nationalität, den Entknechter des Bauernstandes, der, sich selbst beschränkend, mit Weisheit und Beharrlichkeit die Waagschale des Weltgeschickes in seiner tapfern Rechte hält. Russland hat eine riesige Aufgabe, eine unermessliche Zukunft erhalten, und der, von welchem sie datiert, ist — Peter der Große.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große Alexjewitsch und seine Zeit. Buch 1