- 09 - Eva stand ganz bestürzt und verlegen da, Hunderte starrten sie an, lächelnd, ermunternd, ...

Eva stand ganz bestürzt und verlegen da, Hunderte starrten sie an, lächelnd, ermunternd, zunickend, erwartungsvoll, und sie hatte keinen, der ihr auch nur durch den flüchtigsten Rat helfen konnte. So ließ sie suchend die Augen über die Masse gehen. Da sah sie, daß der Stadtdiener sich eifrig durchdrängte bis an den Bürgermeister, der nahe an den Stufen stand, und mit Aufbietung seiner vollsten Würde - er hatte sich dazu wieder durch verschiedene Schnäpse gestärkt - ihm eine Pfeife überreichte. Dabei berichtete er etwas, was Eva nicht verstehen konnte. Aber die Pfeife kannte sie, Hinnick hatte ihr erzählt, wie Matthies die hochgehalten hatte; wo sie war, da konnte Matthies nicht weit sein. Sie schnellte gleichsam auf, hastig flogen ihre Blicke über den Platz.
„Pascholl!“ jauchzte sie laut, „pascholl!“
Bevor man es sich versah, war sie von den Stufen gesprungen, durch die Masse hindurchgeeilt, und nun lag sie am Halse eines fremden Invaliden. „Matthies, mein Matthies!“
Er taumelte, seine Krücke entfiel ihm, Hinnick mußte ihn stützen, damit er nur mit dem gesunden Arm die Geliebte umfassen konnte. „Was machst du?“ sagte er mit bebender Stimme, „Eva, ich bin dessen nicht wert, ick möchte nicht gekannt sein, sieh mich armen Krüppel erst an.“
„Heran, ihr Schützen, heran, da ist mein König. Kennt ihr ihn denn nicht? Das ist ja Matthies, mein Matthies, mein Matthies, mein König, mein , mein, und nun ist alles wieder gut.“
Matthies! Der Name schlug ein, sie hatten alle von seinem wichtigen mutigen Ritt bei Wartenburg gehört, sie hatten alle auf ihn gewartet mit ihrem alten Rektor und mit Hinnick dem Getreuen, wahrscheinlich auch die meisten im geheimen mit Eva.
Nun umstanden sie das Paar und waren ganz still und durchlebten einen geweihten Augenblick, als seine Nächsten das Wiedersehen mit ihm feierten. Sie sahen aber bald auch schärfer, da Hinnick die Krücke darreichte und der Stelzfuß schwerfällig bewegt wurde, sie bemerkten die Verfallenheit der einst so stattlichen Gestalt. Im Hui flogen Decken und Mäntel heran, auf Hinnicks Wagen ward ein weicher Sitz bereitet, der Stöße aufsaugen konnte, aus zarter Fürsorge lernten kräftige Arme das Stützen, da saß Matthies, und Eva rückte zu ihm.
„Das geht doch nicht in dieser ordinären Kräte,“ rief jemand.
„Was? ordinäre Kräte? Jochen, was sagst du dazu? das läßt du dir bieten?“
Jochen schüttelte den Kopf, und da er das Beißen nicht ganz lassen konnte, so half er sich, indem er den Zweig eines nahen Busches abriß und zerkaute.
Ha, Jochen war klüger als sie alle! Zweige her! Das muß ein Festwagen werden, wie es sich für solches Königspaar schickt! Binnen kurzer Zeit wölbte sich eine grüne frische Laube über den beiden, alle rannten und wollten ihren Teil dazu beitragen, so wurden die Wagenseiten verdeckt, auch Hinnick als Kutscher erhielt seinen überreichlichen Schmuck. „Dann seh ich ja aus wie ein Hochzeitsbitter,“ sagte er und ließ sich alles gefallen. Aber Jochen nicht: alles, was man ihm an Zweigen überhängte, riß er wieder ab, und was er nicht fassen konnte, schüttelte er hinunter.
„Hei will sin Piep wiesen,“ rief jemand.
„Mihr brukt hei ok nich!“
,,Hurra, Jochen mit de Piep!“
,,Hurra, Königin und König!“
Bum, bum, bum, bum, da ging die Trommel und rief die Schützen zusammen, das Schießen hatte weiter keinen Zweck. Es dauerte aber doch eine Weile, ehe alle angetreten waren, denn man mußte das fröhliche Ereignis mit einem tiefen Trunk feiern, Und hernach mußte man noch viel Hoch ausbringen, auf die Hauptpersonen, auf den alten Blücher, der das Ganze eigentlich gemacht hatte, auf den leutseligen Vietlübber Gutsherrn, auf alle Welt. Es brauchte einer nur den Mund aufzutun und sein Glas zu erheben „Schützenbrüder -“ dann schrien sie schon hoch.
Oldenburg hatte alle Hände voll zu tun, sein Vorrat ging rasch zur Neige, sein Heringstubben war ganz leer, es stand nur noch die Lake darin, die letzte Biertonne lag schon auf der äußersten Kante. Nur in dem Sirupseimer war ein ziemlicher Rest. Es war die höchste Zeit, daß endlich die Schützen sich durch die Trommel, die immer wieder umging, rufen ließen.
Der Einzug vollzog sich unter Teilnahme der ganzen Stadt, es ging durch alle Straßen, jedes Haus sollte den Ehrenwagen sehen. Am lübschen Tore hielten sie an, Ollhöft mußte seinen Schützling begrüßen, der alte Invalide den jungen, der Kämpfer der Preußenzeit den Kämpfer der Franzosenzeit. Ehe der Alte wußte, wie ihm geschah, saß er auf dem Wagen, denn Matthies konnte ja nicht zu ihm hinuntersteigen, Iven, der getreue, vergaß sein Wächteramt und sprang neben Jochen her, alt und schwerfällig, aber doch mit manchem Bloff in den festlichen Lärm hinein. Und Gellert und Trautmann luden zum Schluß als Väter der Majestäten die Schützen ein, am nächsten Morgen auf ihre Kosten draußen bei Oldenburg ein neues Faß zu leeren. Alle alten Gadebuscher waren sich darin einig, daß noch niemals, soweit sie denken konnten, ein Königschuß so herrlich gefeiert war. Nur die Krämer waren hinterher betrübt, denn überall in jedem Hause wollte man einen Tag Erbsen mit Speck und den nächsten Tag Pflaumen und Klöße essen, und Erbsen und Back-pflaumen waren im Nu vergriffen; als sie neue Vorräte bedächtig herbeigeschafft hatten, war die Begeisterung für die Lieblingsgerichte des alten Blücher geschwunden, man hatte sie sich völlig übergegessen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!