- 07 - Er wanderte durch das Tor, der Wärter unterließ wegen seiner Uniform und seines Benehmens, ...

Er wanderte durch das Tor, der Wärter unterließ wegen seiner Uniform und seines Benehmens, das den Soldaten verriet, genaues Nachforschen und sagte nur hinter ihm her: „Ich muß ihn doch schon einmal gesehen haben, man müßte ihn im Auge behalten.“
Nur ganz alte Leute saßen vor der Tür, er grüßte den ersten und begegnete einer fremden Erwiderung, da grüßte er nicht mehr. Vor dem Hause seines Pflegevaters hielt er an, die Färberfrau, der er einst den Dienst gegen Fromm geleistet hatte, trat gerade heraus, er fragte nach dem Rektor Trautmann. Nein, der war nicht zu Hause, war eben zum Schützenplatze gegangen. Die Antwort wurde eilfertig gegeben, denn man schoß gerade draußen tüchtig, und natürlich mußte die Frau rasch nachfragen, was das bedeute, sie sah ihn flüchtig an, griff in die Tasche und bot ihm eine Gabe. Aber Matthies schüttelte still den Kopf.
„Herr Gott,“ dachte sie, „habe ich ihm zu nahe getan? Es jah so aus, als ob es feucht in seinen Augen schimmerte.“ Aber sie nahm sich nicht die Mühe nachzudenken, denn es gesellte sich eine Bekannte zu ihr.
Matthies ging weiter zum Festplatze. Immer war ihm einst das Schützenfest als das höchste Glück seiner Kindheit erschienen, nun zerdrückte er eine Träne und stand von ferne, ganz auf der Abseite, und wußte nicht, wie er in der Masse den Bürgermeister finden sollte. Da hörte er hinter sich ein Schnaufen, es stieß ihn etwas an.
„Na, Jochen, du kriegst doch nicht deine alte Nücken wieder?“ sagte eine bekannte Stimme. Matthies konnte sich auf seiner Krücke nur langsam drehen, da stand Hinnick, der mit seinem Fuhrwerk für Oldenburg Bier herangefahren hatte und diesen Platz sich ausgesucht, um kurze Zeit dem Treiben zuzusehen, der nickte ihm zu und sagte: „Er war früher ein bissiger Racker, aber das hat sich gegeben. Was hat er denn nur? Jochen, bist du nicht klug?“ Das Pferd stieß schon wieder mit dem Kopf den Fremden an, plötzlich riß Hinnick Mund und Augen weit auf und starrte dem Invaliden ins Gesicht.
„Herr mein Gott, Matthies!“ sagte er dann.
Und Matthies lehnte den Kopf an die Mähne des Pferdes und weinte bitterlich.
„Alter Junge, mein alter Junge!“ weiter konnte Hinnick nichts herausbringen, er klopfte ihm sanft auf die Schulter. So standen die beiden beisammen, der einzig Glückliche war offenbar Jochen, der schnob freudig und schüttelte verwundert seinen Kopf über die seltsame Art der Begrüßung, dann scharrte er ungeduldig mit dem Hufe den kurzen Rasen.
„Guck ihn nur an,“ begann nach einer Weile Hinnick, „wie er sich freut. Und so sind sie hier alle miteinander, das sollst du mal sehn, ich will sogleich hingehen und -“
„Still, Hinnick, still! man soll mich hier nicht kennen, es war dumm von mir, daß ich hier herausgegangen bin, ich gehöre nicht hierher, und ich weiß nicht, wohin ich überhaupt gehöre.“
„Das wird sich finden,“ war die zuversichtliche Antwort, ,,aber guck bloß das Tier an, sollte man so was für möglich halten? Ich habe ihn eigentlich für dich mitgebracht, Matthies, denn dein ist er immer gewesen, und das Loch in der Hüfte ist gut verheilt.“
„Nein,“ sagte Matthies wehmütig, „das Reiten ist vorbei, das leidet der Holzfuß nicht, und das Fahren ist vorbei, ich kann ja die Zügel nicht halten.“
„Sieh mal hier!“ rief Hinnick ablenkend, „was sagst du dazu?“ Er zeigte ihm die Decke mit der Pfeifenspitze, die er zu Ehren des Tages aufgelegt hatte, und die in ganz Gadebusch schon berühmt war, und erzählte ihm, wie Matthies Ehrentag auch der von Jochen geworden. Dadurch brachte er es geschickt fertig, die Teilnahme seines Freundes wieder wachzurufen.
„Hör doch, was für ein Lärm ist das? was bedeutet das?“ fragte Matthies.
„Sie mögen ja wohl endlich ‘n König befunden haben,“ lautete die Antwort, „bis vor kurzem sah es jämmerlich mit dem Schießen aus, noch hatte keiner einen Knopf geschoffen, und der dritte Gang ist eben angefangen.“
„Was du sagst,“ rief Matthies, „dann haben sie hier alles verlernt, und wir da draußen haben’s gelernt.“
„Ja, wir waren auch in einer andern Schule,“ bemerkte Hinnick. Beide waren in Teilnahme weiter vorgetreten und sahen dem erregten Treiben aufmerksam zu.
In der Tat war endlich ein König gefunden, die geheime Beratung der Würdenträger hatte das fertig gebracht. Es traten die Älterleute sehr feierlich und förmlich vor Eva und baten ehrerbietig, daß sie der ganzen Zunft die Freude machen sollte, einen Ehrenschuß auf die Scheibe zu tun. Eva sah ganz hilflos um sich, stotterte auch hervor, daß sie noch nie eine Büchse abgefeuert habe, aber sie begegnete nur erneuter Bitte und würdevoller zuversichtlicher Erwartung. Da ging’s nicht anders, ihr Vater mußte sie zum Schießstand führen, und sie hatte ein großes Gefolge. Gellert flüsterte ihr zu. „Ich habe die Büchse ausgesucht, die am wenigsten stößt, nur stramm gegen die Schulter, so, und die Backe fest an. Siehst du Korn und Visier?“
Ja, Eva sah beides, und wie sie immer, wenn es darauf ankam, entschlossen gewesen, so legte sie auch jetzt in Erinnerung an die Lehren des alten Ollhöft ganz regelrecht auf, faßte Visier und Korn, aber die Scheibe konnte sie dabei nicht finden, es kam ja auch nur auf das Knallen an, sie drückte ab. Das gab einen Ruck, so daß ihr für den Augenblick Hören und Sehen verging. Als sie endlich neugierig zur Scheibe hinaufsah, da tanzte der Scheibenzeiger wie verrückt und schwenkte seine Fahne, immer wieder zeigte er und schwenkte und winkte.
Zentrum! gerade hindurch!
Da war es geschehen, da gab es kein Besinnen mehr, überlegen und Prüfen war unnötig. Hurra, der König Schuß war geschehen! Hurra, Eva Gellert war Königin!
Ehe sie sich’s versah und überhaupt begriff, was man mit ihr vorhatte, stand sie unter den Säulen des erhöhten Vorplatzes am Schützenhause, die beiden Älterleute traten zu ihr und legten ihr die Ehrenkette um. „Schützenbrüder, ich habe euch die freudige Mitteilung zu machen, daß endlich im dritten Gange der rechte Schuß gefallen ist. Fräulein Eva Gellert, die unsern Stand durch ihre Teilnahme hoch geehrt hat, traf das Zentrum, ich stelle sie hier als eure diesjährige Königin vor und rufe Fräulein Eva Gellert, die Patronensammlerin von Gadebusch, das tapfere Mädchen von der Feldwache bei Kieslingswalde, der Stolz und die Ehre unserer Stadt, die liebliche Königin unserem Zunft - sie lebe hoch!“
So rief der erste Ältermann. Und als der jubelnde Zuruf und das gewaltige Jauchzen allmählich verklungen waren, hob der zweite Ältermann die Hand, mahnte zur Ruhe und begann. „Schützenbrüder, zu einer Königin gehört ein König, und wenn die Gadebuscher Jungen nicht alle Dämelaks sind -“
„Hoch, der alte Blücher soll leben!“ so schmetterte es dazwischen, dem Redner nicht unwillkommen, denn er hatte sich etwas verrannt, nun fuhr er fort. „Dann - hm - ja - dann wird sich am Ende unsere liebliche Konigin einen König frei wählen, mag es sein, wen sie will, er ist uns willkommen als der - durch die - das Zentrum getroffen habende Königin - hm - ja - na, der soll König sein!“ Der Redner schwitzte sichtlich.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!