- 05 - Sobald die Parzen, die die Zeit zum Abschneiden ihres Fadens gekommen erachteten, ...

Sobald die Parzen, die die Zeit zum Abschneiden ihres Fadens gekommen erachteten, sich getrennt hatten, lud er Hardersch ein, stellte sich sehr gnädig und spendierte ihr den Schnaps. Sie goß ihn kunstgerecht hinab, schüttelte sich, wie es sich gehörte, und ging. Hernach lockte er Bahlsch heran, nachdem er einen Zwirnsfaden um den Fuß des Schnapsglases gebunden hatte, und als sie mit schnalzender Zunge und leuchtenden Auges das Glas hob, zupfte er den Fuß hoch, und so goß sich Bahlsch alles ins Gesicht. „Du hast immer einen so großen Mund,“ sagte er zu seiner Rechtfertigung, „da dachte ich, du könntest das Glas mit überschlucken, darum mußte ich es festbinden.“ Schimpfend entfernte sie sich und ließ Dugesch eine Warnung zukommen, die verweigerte darum den Schnaps, aber sie setzte sich und verzehrte behaglich einen geschenkten Stuten. Inzwischen schickte Oldenburg seinen Knecht zu den Ratten, die man bei Herrichtung des Standes im Graben erschlagen hatte, und dann heftete er ihr im gemütlichen Gespräch drei Schwänze hinten im Nacken an. So wanderte sie lange herum und wunderte sich, daß sie der Mittelpunkt jubelnder Aufmerksamkeit war und doch keiner auf ihre Worte hören wollte. Im Nu gingen diese drei lustigen Streiche durch die Massen, und da löste sich endlich überall ein befreiendes Lachen und wirkte als Gegenmine gegen das Wühlen der Parzen, zugleich rief die frohe Stimmung von allen Seiten den Vorschlag auf: „Darauf müssen wir mal einen trinken.“
Aber das Schießen! Immer knallte es, immer spähten die Augen nach der Scheibe, immer die gleiche Enttäuschung. Noch kein Knopf, geschweige denn ein Zentrum! Kopfschüttelnd saßen die Alten und erwogen den Fall, sie schickten die besten Schützen aus ihrer Mitte mit den ernstesten Mahnungen ab - es nützte nichts, alle kamen verärgert zurück und hatten die mannigfachsten Entschuldigungen, aber keiner rettete die Ehre der Zunft. Schon sah der Rat der Alten ganz gedrückt dem Unerhörten entgegen, daß man einen König ohne Knopf ausrufen müßte.
Wer kam da auf den Plaz, geritten, freundlich nach allen Seiten nickend und mit Respekt begrüßt? Wahrhaftig der Vietlübber Gutsherr. Es fanden sich viel willige Hände ihm die Zügel abzunehmen, um das Pferd zu halten, dann kam er zu Oldenburgs Stand und erklärte, die Böllerschüsse hätten ihn herangelockt, er müsse die Gelegenheit wahrnehmen, seine Kameraden miteinander zu begrüßen.
Kein Mensch hatte daran gedacht, daß man eine gute Gelegenheit hätte, diese zusammen zu ehren und ihre Willigkeit, für die Gesamtheit mit Leib und Leben einzutreten, zu feiern. Sie waren so bescheiden aus dem Kriege zurückgekommen und so still und selbstverständlich an die alten Plätze getreten, als wäre nichts Besonderes geleistet, und von großen Taten und Abenteuern hatte sie niemand reden hören. Auch die nächsten Angehörigen hatten sich nichts darauf eingebildet, daß sie Männer bei sich hatten, die den gewaltigsten Krieg, den die Welt gesehen, mit durchgefochten und tapfer gestritten, so rasch war die Pflicht, für das Vaterland persönlich einzutreten, allen schon gleichsam in Fleisch und Blut übergegangen.
Nun mußten sie heran an Oldenburgs Stand, denn der Vietlübber bestand auf seinem Witten, einer nach dem andern kam zögernd und recht verlegen und wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er die freundlich dargebotene Hand recht herzhaft schüttelte.
„Meister Oldenburg, jetzt zeigen Sie, was für ein Bier in diesem Festjahre gebraut ist. Meine Kameraden werden es mir zugute halten, wenn ich es mir herausnehme, für sie alle zu bestellen. Zuerst leeren wir auf das Andenken derer, die draußen in fremder Erde liegen, ein stilles Glas. - Und das zweite Glas sei allen gebracht, die aus dem Kriege glücklich heimgekehrt sind. Halt, hier fehlt jemand. Wer hat am tapfersten dagestanden und war doch der allerschwächste, der kaum ein Gewehr heben konnte? Nein, Eva, Sie sollen sich nicht verbergen. Hier habe ich einen Brief, der ist von einem Bankhaus aus England an mein Bankhaus in Hamburg befördert, und das hat ihn mir zur Bestellung mitgegeben. Von wem der ist, weiß ich, - ich will’s noch nicht verraten; an wen der ist, das steht auf dem Umschlag „An die Patronen Samlerin in Gadebusch, das Mätchen von die Feldwache bei Kieslingswalde wie sie heisst daß weiß ich nich.“ So steht hier. Kameraden, sagt mir, wer das ist.“
„Eva Gellert, Eva Gellert - hoch!“
„Hier, Eva, Sie haben ihn zu öffnen.“
„O nein, nein, bitte bitte, ich will nicht, ich kann nicht.“ Eva verbarg ihr glühendes Gesicht an der Schulter der Mutter und wehrte mit der Hand ab.
„Nun gut, so erlauben Sie mir, daß ich ihn öffne? Darf ich auch sagen, von wem er ist? - Der Feldmarschall Blücher hat ihn in England geschrieben, wo er zurzeit als Gast weilt.“
„Vorlesen! Hurra Blücher! Vorlesen! Hoch Eva Gellert, hoch der alte Blücher.“
„Darf ich ihn vorlesen? Sie sehen, daß alle Leute hier sich auf ihn freuen, und der alte Blücher gehört ja Ihnen nicht allein.“ Eva konnte nur nicken, das Weinen stand ihr näher als das Lachen.
Der Vietlübber stand auf, nein, das genügte nicht, die Masse hatte sich vom ganzen Platz herangedrängt und wollte hören, er stieg auf einen Stuhl und begann mit seiner vollen festen Stimme zu lesen:
„An die Patronen Samlerin in Gadebusch, das Mätchen von die Feldwache bei Kieslingswalde wie sie heisst daß weiß ich nich. - Mich jukts schohn lange in alle finger, mein libbes Mätchen, den ich mus Dihr doch schreiben, das ich mir von wegen meine Futerichkeit bei der brafen Feldwache seer gefuxt habe. Ich denke aber, Du bist keine sonne olle Zanzel nich undt trägst mich dos nnch. Denn dahzumal roochte mich manchmal der Kopp, undt gerate bei die Feldwache konte uns der verfluchte Sackermentswelscher am Ende noch in die Parade fahren. Aber wier haben den Schwerenotskerl ordenlich über den Löffel balbihrt, undt dat wird Dir auch gewislich seer freuen.
Na, mein libbes Mätchen, ich denk mir, Du bist nu widder zu Hause. Wenn die Gadebuscher Jungens nich alle Dämelaks sind, dan dürfen sie nich länger zauttern, dan gibt’s balldt Hochzeitt. Vielleicht bin ich den schohn widder heim, ich mögte da noch mahl ’n Kegel tanzen, ich schreibe nähmlich aus Engelland. Hier bei die Britten ist es nich so gemütlich wi in unsern alten gutten Meklenburg, ich mus hir immer herumfahren mit Ordens behangen wie ein altt Kutschpferd, die leutte sind so ufgeblaßen durch ihren grausahmen reigtuhm, die Frauenzimmer aus Rand undt Bandt, undt wollen mich immer küssen, aber ich bürste inen mit den Schnurrbahrt eklich in dat gesicht. Mancher mag hier bedauern, das er nich zwei Magen hat, die ewigen Plummbuddings undt Pastehten hängen einen zuletzt zum halse heraus. Da lobe ich mir doch dat meckelburgsche Suppessen undt Erbssen mit Speck und Pflaumen mit Klöße.
Sag der Mudder Scholte ville warme Grüsse, das ist eine ehrlige Frau undt ihr Kümmel schmeckt mir noch.
Blücher Feldtmarschall.“

Hei, das war ein Jubel! Immer wieder brach er aus mit Hurra und Hoch, und da der Mann an den Böllern glaubte, daß man endlich einen König gefunden, so tat er das Seine und feuerte, daß die Läufe hätten platzen können. Dreimal verlas der Vietlübber den Brief, dann händigte er ihn Eva ein und rückte zu ihr, um sich von ihren Erlebnissen, die sie so lange verschämt bei sich behalten hatte, erzählen zu lassen; es half ihr kein Erröten und Zaudern, er wußte alles herauszuholen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!