- 04 - „Wo ist denn der Rektor geblieben?“ fragte Frau Scholte. „Der ist wohl still beiseite ...

„Wo ist denn der Rektor geblieben?“ fragte Frau Scholte.
„Der ist wohl still beiseite gegangen,“ antwortete Gellert, „wissen Sie, es wird wegen seines Matthies sein, er hat lange keine Nachricht von ihm.“
Die Mutter merkte, daß Eva auf ihrem Schoße zusammenzuckte, sie winkte den andern mit den Augen. Komm, Kind, ich will dir deine Stube zeigen,“ sagte sie, und oben sprachen Mutter und Tochter sich in der Stille recht herzlich aus.
Frau Scholte ging, ihr Pferd zu besorgen, sie erhielt noch das Geleit der Masse, der die Erscheinung immer vou neuem gewaltigen Eindruck machte. „Kinder, ich danke euch,“ sagte sie gelassen an ihrer Tür, „wenn ich mal ’n Jubiläum feiere, dann bitte ich mir eure Kehlen aus, laßt sie bis dahin nicht einrosten,“ und sie ging hinein.
Wenn die Gadebuscher gehofft hatten, nunmehr spannende und abenteuerliche Kriegsgeschichten zu hören, dann wurden sie enttäuscht, weder Eva noch Frau Scholte mochte von dem Erlebnis bei Kieslingswalde reden, Blüchers hartes Wort lag darüber, und wenn er es auch in der ersten Wallung sofort zurückgenommen hatte, so mahnten doch alle bisherigen Erfahrungen mit dem kleinstädtischen Klatsch zur Vorsicht.
Tage und Wochen vergingen. Allmählich kehrten die heim, die der Krieg verschont hatte. Der erste Freiwillige, der Schuster, war schon länger da, den hatte bei Sehestädt eine Kugel getroffen und für einige Zeit lahm gemacht. Dann trafen zwei Grenadiere ein, die auf dem Wege zum Rhein erkrankt waren und länger im Lazarett gelegen hatten, hernach noch vereinzelt Entlassene; mancher aber kam nicht wieder, der hatte nach dem fünften Gebote des Rektors gehandelt. Zuletzt erschien Hinnick und zwar gleich mit Jochen, als ob sich das so gehörte. Er war mit den Husaren bis Paris gekommen und dann mit einigen andern in die Heimat geschickt, um Pferde, die für den Feldzug unbrauchbar geworden waren, dazu noch Beutepferde abzuliefern. Jochen hatte einen Fleischschuß durch die Hüfte bekommen und lange gehinkt, so daß er ganz ausgeschlossen wurde, und Hinnick hatte ihn für ein Billiges erstanden. Still, wie seine Art war, plante er, ihn vor einen Einspänner zu spannen und sich als Fuhrmann zu ernähren. Natürlich sollte gerade er den Gadebuschern am meisten berichten, aber je ungestümer man ihn drängte, um so mehr kapselte er sich ein. Nur Eva verstand es, ihn unter vier Augen zum Reden zu bringen, und was sie erfuhr, war dazu angetan, sie in froher Erwartung vorweg sehen zu lrassen. Daß Matthies genesen würde, stand für sie gar nicht zur Frage, nachdem er in seinem letzten Briefe aus Neu-Ruppin, den er schon selbst geschrieben, gemeldet hatte, daß die Schulterwunde zu verheilen beginne und er auf baldige Heimkehr hoffe.
Inzwischen war der Frühling vergangen und der Sommer herangekommen. Die mecklenburgischen Truppen, die so lange in Frankreich zurückgelassen waren, um das Innehalten der Friedensdedingnngen zu sichern, näherten sich der Heimat, schon stand der Tag ihres Einzuges in Schwerin fest. Und ebenso fest stand in Gadebusch, daß man diesen Tag auch in der Landstadt in ganz besonderer Weise begehen und so gleichsam Krieg und Sieg zum festlichen Abschluß bringen müßte. Nach längerem Erwägen entschied man sich dafür, den Königschuß, den man in den bösen Zeiten abgetan hatte, wieder in sein altes Recht einzusetzen, denn es schien der Zeit am würdigsten, daß die Männer mit der Waffe in der Hand feierten. Die Vorbereitungen verscheuchten Frau Scholte aus der Stadt, Hinnick hatte ihr gelegentlich von dem ehrenvollen Tode ihres Mannes erzählt, und sie hielt es nicht für wohl anständig, sich jetzt dem rauschenden Vergnügen hinzugeben. So war sie nach Anklam abgefahren, um ihre dortigen Angelegenheiten zu ordnen und ihr Gewese zu verkaufen.
Die Gadebuscher suchten für ihre Feier alle Erinnerungen wieder hervor, es gab einen großen Zug, der unter Böllerschlägen zum alten Festplatze in den Buchen hinausmarschierte, geführt von dem alten Stadtmusikus, der freilich nur mit Mühe zu seiner Trompete noch eine Klarinette aufgetrieben hatte, für die große Trommel waren Bewerber genug da.
Nun knallten die Schüsse, es klapperten die Würfel im Blechbecher, rollte die Kugel im Trulltrull. „De Jäger is noch ganz allein unbesett’t.“ ,,Denn mi den Jäger.“ „So nu man blot noch de Has, wer will den Hasen?“ Den’n will ick“ „Dat is recht, wer nich wagt, de nich winnt. Ümmer ran, de Adebor is noch nah, de Adebor, de gewinnt ganz gewiß.“ Der Geruch von Spickaal schwebte über dem Platz, und neben ihnen schimmerten die gelben Stuten, gerade so einladend im Äußern und so zäh im Innern wie einst. Aber es wollte sich doch nicht die rechte Festfreude einstellen, man war der Not und des Druckes noch nicht ganz Herr geworden.
„All nicht wie sonst,“ sagten die Älterleute, ,,noch hat keiner einen Knopf geschossen.“ „All nicht wie sonst,“ murrten die Spickaalweiber, „keiner will ’ne Mark anlegen, sie kaufen die dünnen oder nehmen gar mit Bäcker Oldenburg seinen Heringen vorlieb.“ „All nicht wie sonst,“ seufzten die alten Schützen und sahen ratlos um sich. Es war doch alles am alten Platz, ringsum standen die schlanken Spitzpappeln als herrlicher Rahmen, Kleinschmidt und Schömig schoben das alte Karussell mit alter Gewandtheit, schwitzten gehörig und ließen ihren Durst stillen, alles wie es sein mußte. Die Schützenbrüder gingen in alter ruhiger Würde in weißen Hosen, den Zweispitz auf dem Kopfe und die lange Pfeife im Munde, umher oder führten ihre Frauen, die den Sonnenschirm in alter Weise hielten, zur Bude zum Einsetzen oder zur Erfrischung. Die alte Trommel ging um und rief den Beginn eines neuen Ganges beim Schießen aus, es horchten die Jungen, ob sie den Aufschlag der Kugel an der Scheibe hören könnten, die Mädchen bettelten den Müttern einige Dreilinge ab für Zuckerkringel und einen Schilling für einen unglaublich mageren Spickaal, den man recht gut für einen Federhalter ansehen konnte. Alles wie sonst, aber es wollte keine so frische, laute, harmlose Festfreude zum Durchbruch kommen wie einst.
Trug etwa der Stadtdiener Seiffert die Schuld? Er hatte sich zu viel mit Schnäpsen traktieren lassen und nicht darauf acht gegeben, daß einige Bettler, die durch das Schießen von der Landstraße hergelockt waren, sich überall lästig machten. Der Bürgermeister fuhr ihn deswegen hart an und mahnte ihn an seine Pflicht. Da raffte er sich zusammen und säuberte den Platz, führte auch zwei Widerspenstige sofort in sicheres Quartier und wanderte dann durch die einsamen Straßen, um nach andern Verdächtigen auszuspähen, denn dem Bürgermeister wollte er es zeigen, daß er noch der alte wäre.
Oder trugen die drei Parzen die Schuld, die in ihren schmutzigen Kleidern, mit zerlumpten Umschlagtüchern angetan, sich in der Menge bewegten und durch ihre mißgünstigen Blicke und boshaften Bemerkungen manchem die Stimmung verdarben? Waren sie an ein Trulltrull getreten, so konnte der Besitzer keinen sonstigen Spieler heranlocken, er mußte sich ein hämisches Wort gefallen lassen und fluchte hinter ihnen her. Die Spickaalweiber schimpften sich mit ihnen herum, denn als jemand sich endlich einen guten Aal kaufte und auf ihre gierigen Blicke nicht achtete, höhnten sie laut über seine Happigkeit und weckten so die mundfertigen Gegnerinnen. So hatten sie allmählich ihr Gift über den Platz ausgespritzt und standen nun seitwärts von Bäcker Oldenburgs Stand, der auch nicht gerade lustig darein sah, denn er hatte wenig zu tun, sein Bier, zu dem extra Doppelmalz genommen war, wollte nicht munden, sein berühmter Magenbitter stand in der ersten Flasche noch über die Hälfte, sein Heringstubben war dreiviertel voll, und seine Stuten trugen umsonst die Rosinen dick auf dem Rücken. Er hatte einen scharfen Blick und ein feines Gehör, und wie er so anscheinend gleichgültig am Baum lehnte, hörte er den drei Weibern zu, die ihren bittern Zungen freien Lauf ließen. Dabei spielten Eva Gellert und der Offizier und das Marketenderleben eine bedeutende Rolle, denn die Bedrohte war soeben mit ihrer Mutter auf dem Platz erschienen, Gellert war ihnen in seiner Würde als Schützenhauptmann entgegengegangen und hatte sie zu Oldenburgs Stand geführt und beriet nun die wichtige Frage, was man sich für billiges Geld an reichlichen Genüssen schaffen könnte. Den Bäcker beunruhigte die lange Dauer der Beratung nicht weiter, er schlenderte gleichgültig zu seinem Schenktisch und mische zwischen einen großen Schnaps Bittern eine gefährlich.- Dosis Rhabarbertropfen, die er für einzelne Kunden bereithalten mußte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!