VIII. Der Sturm bricht los.

Wieder einmal stand Ollhöft vor dem Tore, aber er sah nicht mehr nach den Krähen, sondern er horchte hinaus, Iven neben ihm knurrte und murrte.
„Sei ruhig,“ sagte er zu dem Hunde, „ich höre es gern.“
Ein Wagen kam die lübsche Straße herunter und wollte über die Brücke fahren. „Fritz, wohin geht die Reise?“ fragte Ollhöft den Knecht, der fuhr.
„Die Landstraße ist bei den Wasserlöchern zugeschneit,“ antwortete dessen Begleiter, der Brauknecht, vom Wagen. „Der Brauer ist dran, wir sollen ausschaufeln und Schnee fahren.“
„Wird nicht viel helfen, Stoffer,“ sagte Ollhöft, „morgen weht es wieder zu, das ist dieses Winters Art, gesegnet sei er dafür.“
„Du bist wohl nicht gescheit?“ antwortete Stoffer. .,Was siehst du hier und siehst da hinaus? andere kriechen hinter den Ofen und frieren doch noch krumm.“
„Ja, es ist ein prächtiger Winter,“ versetzte Ollhöft und rieb sich die Hände, „ich freue mich dazu, er macht meinem alten Leibe warm.“
„Ich glaube eher, daß dir die Kälte auf den Kopf geschlagen ist,“ rief Fritz, „selbst die Krähen jammern nicht einmal mehr und sitzen stumm da, bis sie tot vom Ast fallen.“
„Das sind die dummen deutschen Krähen,“ antwortete Ollhöft, „aber die französischen, die Saatkrähen sagt man ja, die sind alle nach Osten geflogen, da haben sie nun reichen Fraß. Hört nur, was heult da drüben?“
„Es ist ein Hund in Jarmstorf, den friert,“ lautete die Antwort, ,,es klingt greulich.“
„Gerade deswegen stehe ich hier und horche. Ähnlich habe ich einmal im schlesischen Gebirge die Wölfe heulen gehört, und nun denke ich, wie sie wohl in Rußland heulen werden.“
„Hinter den Franzosen her?“ fragte Stoffer, „da gruselt’s einen, wenn man daran denkt.“
„Nein, mitten drunter, das ist es ja. Ich sage euch, die haben’s bequem mit dem Fressen, sie brauchen nur zuzulangen.“
„Gott bewahre, du siehst schon am hellichten Tage Gespenster.“
„Was ich sehe und höre, weiß ich, wer aber glaubt’s? Moskau ist abgebrannt, der Reisende, der gestern abend von Schwerin kam, hat es ganz gewiß bestätigt, die Franzosen haben kein Obdach gehabt und sind umgekehrt, und das bei diesem Winter und dann auf dem Marsche ohne Proviant und Quartiere. Nun? glaubt ihr’s von Wölfen und Krähen? wohl bekomm’s ihnen.“
Er wandte sich ab und ging in sein Häuschen zurück.
„Wenn man ihn so hört, dann kann es einem immer kalt den Rücken hinunterlaufen,“ sagte Fritz.
„Er wird schon recht haben, man munkelt’s überall,“ bemerkte Stoffer.
„Und wenn er recht hat, und wenn die Franzosen da drüben zugrunde gehen?“ fragte Fritz und schwenkte erregt seine Peitsche.
„Dann kommen wir dran!“ lautete die kurze Antwort, die zwischen zusammengelassenen Zähnen hervorgezischt wurde. „Vorwärts, es ist kalt, wir müssen uns endlich einmal warm machen.“
Sie fuhren bis zu der zugewehten Stelle und sahen sich um, wohin sie den aufgeladenen Schnee am bequemsten wegschaffen könnten, denn an ein einfaches Aufschaufeln war nicht zu denken. Ein wenig zurück lag ein großes Wasserloch im Grunde, dort war Platz. Während sie so überlegten, kamen drei französische Reiter die Landstraße daher, ihre Pferde waren sehr abgetrieben und arbeiteten sich nur mühsam durch den Schnee.
„Du, das scheinen wieder Marodeure zu sein, die sehen so abgerissen aus,“ sagte Fritz, „sie winken.“
„Wer weiß, was für Unheil die angerichtet haben und anrichten wollen, kümmere dich nicht um sie, sie gehen uns nichts an.“
Aber die Reiter kamen näher, hielten neben den beiden Wagenpferden an und musterten sie, dann stiegen zwei ab und gaben dem dritten die Zügel; bevor die verblüfften Knechte begriffen, was sie beabsichtigten, hatten sie schon die Pferde abgesträngt und machten sich nun daran, ihre müden Gäule abzusatteln, um die wohlgenährten Gadebuscher für sich aufzuzäumen. Anfangs sahen die beiden Knechte sich verblüfft an, dann schoß ihnen das Blut ins Gesicht, Stoffer wandte sich hin und her, und als er weit und breit keinen Zuschauer bemerkte, griff er in die Tasche, holte heimlich sein großes Klappmesser heraus und zeigte es dem andern, der nickte und folgte seinem Beispiel. Bevor die beiden Ränder es sich versahen, die spottend und lachend sich mit ihrer Beute beschäftigten und die Deutschen, die immer so knechtselig sich alles gefallen ließen, gar nicht beachteten, holten die festen Fäuste zum wütenden Stoße aus und rannten die Messer den Räubern tief in den Rücken, so daß die mit einem Fluch auf den Lippen auf den Schnee fielen. Der dritte hatte die steifgefrorenen Hände an den Zügeln, er wollte nach seinem Säbel greifen, aber die Knechte warfen ihn aus dem Sattel, das Messer saß ihm in der Kehle und erstickte sein Pardon.
Abermals sahen die Knechte sich um - nirgends ein Mensch zu erblicken. Rasch huben sie die im Sterben zuckenden Körper auf den Wagen, warfen Sättel und Gepäck dazu, fuhren zu dem Wafserloch und wälzten die Toten auf das Eis und deckten sie mit dem Geschirr zu.
„Die Mantelsäcke sind schwer,“ flüsterte Fritz, „da ist viel Geld drin.“
„Laß es drin,“ lautete Stoffers feste Antwort, „wir wollen keine Räuber sein wie sie, wir haben uns nur gegen Raub gewehrt.“
So packten sie alles zusammen und schaufelten Schnee darüber. „Wenn’s taut, geht das zugrunde,“ bemerkte nach vollendetem Werke Fritz. „Was fangen wir mit den Pferden an?“
„Das arme Getier kann einen jammern, aber was hilft es?“ Stoffer gab den Pferden einige Hiebe und jagte sie davon, sie kehrten um und gingen langsam und müde ihren Weg zurück. „Unsere Hand muß rein bleiben.“
„Ja, rein! ‘s hat sich was,“ lautete die Gegenbemerkung. Der Knecht rieb sich die Finger mit Schnee, begann auch den Wagen von Blutspuren zu säubern. „Das muß weg, wenn’s überhaupt wieder weggeht, wenn’s mir nur nicht mein Lebtag anklebt. Ich sehe sie noch immer liegen, eben noch springend lebendig, und dann kamen wir so von hinten - war das wohl ein ehrlicher Kampf?“
„Pah, die haben genug geschunden, warum sollten auch wir uns schinden lassen? Wozu haben wir unsere Faust? Das hat hier lange genug so gedauert, endlich muß man den Kopf doch wieder hoch kriegen.“
„Dies ist wohl nicht der Weg dazu,“ sagte Fritz seufzend. „Gott gebe es, daß wir den richtigen finden und das bald.“
„Du bist und bleibst ein drucksiger Kerl,“ schalt Stoffer, „die machen sich nicht mehr mausig, und Ollhöft sagt, daß die andern von Wölfen und Krähen gefressen werden; was zurückkommt, schlagen wir hier tot, davon darf nichts nach Frankreich.“
Fritz sprach nicht mehr, er begann den blutigen Schnee aus dem Wege auf den Wagen zu schaufeln, und dann arbeiteten beide angestrengt, um Wagen um Wagen voll über den Toten abzulagern, bis diese unter einem hohen Schneehügel lagen und die letzten Spuren vertilgt waren. Die am Nachmittag kommenden Arbeiter folgten ihrem Beispiel, und so lagen die Fremden, bis der Schnee taute und das Eis schmolz und sie spurlos in dem Wasserloch verschwanden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!