- 14 - Sie ließ dem zitternden Mädchen ein paar freundliche Liebkosungen zukommen. „So geht’s ...

Sie ließ dem zitternden Mädchen ein paar freundliche Liebkosungen zukommen. „So geht’s nicht mit Ihnen. Jetzt helfen Sie mir mal flink Feuer anmachen, die Franzosen werden sich ja wohl ein einzigmal wieder an ihre sogenannte Höflichkeit erinnern und warten, bis wir ihnen Platz machen.“
Bald brannte das bereitliegende Holz, und Frau Scholte legte ein paar Mauersteine, die sie auf dem Herde fand, auf einen Dreifuß und machte sie heiß. „‘n Sack mit Häcksel hab ich auf dem Wagen, Kleining, gehen Sie dach mal hin und holen ihn uns her. Nein, nein, ohne Sorge, zu essen habe ich noch Besseres für uns unterwegs. Sehen Sie zugleich nach, ob das Schauer vorbei ist, es scheint mir so. Bringen Sie mir auch meine Feuerkieke mit, die unter dem Sitz steht.“
Die große Frau nahm die Pferdedecke vom Boden auf und besah sie um und um. „So ‘n Talener zwei ist sie noch wert, heil und ganz, und wenn sie ‘n bißchen stark nach Pferden riecht, das macht sich ganz natürlich.“ Aus der Lade zog sie ein großes Tuch, pruste auch das auf seinen Wert und zählte die ganze Summe auf den Tisch. „Bar Geld lacht.“ Dann steckte sie die heißen Steine in den Häckselsack und füllte die Kieke mit glühenden Kohlen.
Draußen hielt ein Einspänner mit einem tüchtigen Pferde davor. „Die Plane fehlt noch, Kleining, die besorgen wir uns in der nächsten Stadt, dann laß es regnen, was es will.“ Eva mußte die Füße in den Häckselsack stecken bis auf die heißen Steine, wurde möglichst hoch im Sack zugebunden, oben mit Decke und Tuch verhüllt. Frau Scholte detrachtete sie befriedigt, stieg dann selbst auf, schob sich umständlich das Kohlenfaß unter und fuhr davon. „Da oben bei Retschow hin hat’s heute etwas gegeben zwischen den Franzosen und Vegesack, sagte mir jemand unterwegs und wollte wissen, daß die Parlewus verhauen wären. Da bin ich umgekehrt, denn wenn einer Haue gekriegt hat, dann ist er hinterher nicht immer liebreichen Gemütes. Und nun, Kleining, woher Sie kommen, das weiß ich, aber wohin Sie mit Ihren geliehenen fünfzig Talern wollen, ist vor meinen Augen verborgen. Übrigens hat der Rektor prompt bezahlt wie ‘n geriebener Geschäftsmann, den hat diese Zeit auch zurecht gemacht, sonst wandelte er immer in andern Legionen.“
„Ich will in den Krieg,“ war die Antwort, „ich hasse die Franzosen und will gegen sie kämpsen.“ Eva hatte sich selbst wieder gefunden.
„Im Krieg sind wir mitten drin, und vor kurzem hatten wir ‘ne merkwürdige Art zu kämpfen, so mit Heulen und Zähneklappern. Na ja, wir haben unsere Kampfesart schnell geändert und flüchten gerade vor ihnen, wie mir scheint.“
„Ich will nach Rostock und die Mecklenburger suchen und da ist -“
„Da ist Matthies Trautmann, ein strammer Kerl, das muß ich sagen, hat ‘ne kantige Stirn und weiß, was er will; zu dem geht es also hin, meinetwegen, wenn Sie nicht fürchten, daß ich Ihre Rivalin werde. Das Kämpfen lassen Sie ihn nur besorgen, er tut’s für zwei, und wenn ich ihn bitte, für drei. Natürlich will ich auch kämpfen, aber ein Gewehr halte ich mir dabei hundert Schritt vom Leibe, das Knallen fällt mir auf die Nerven. Ich will Schinken und Mettwurst in diesen Munitionswagen laden, und damit schieße ich so von hinten herum. Sie sollen mal sehen, wie so ‘n Sukkurs unsern Soldaten Beine macht, die reißen mit erneuten Kräften am Drücker, und das holt dann ganz anders hin. Halt prrr! was ist das? Da haben wir die Bescherung.“
In der Dunkelheit und im Eifer der Erörterung hatte Frau Scholte nicht auf die Zeichen geachtet, und als sie um die Ecke bog, befand sie sich gerade mitten in dem Zuge, der die französischen Verwundeten vom Gefechtsplatze fortschaffte. Ein Umkehren war gar nicht möglich; wollte sie ihren Wagen nicht in den Graben gedrängt sehen, so mußte sie mit fort.
„Sitzen Sie ganz still, Kleining,“ flüsterte sie, „die Leute haben genug mit sich zu tun, lassen Sie mich nur machen. Das einzige, was hier Gefahr bringt, ist Ihr liebes Gesicht, das ducken Sie nur ins Tuch, als ob Sie Zahnweh hätten, im übrigen sehen Sie aus, wie ‘ne pummelige Bauersfrau, und Ihre Decke bringt Sie in den richtigen ländlichen Geruch.“
Die Fuhrleute, die anfangs geflucht und gespottet hatten, beruhigten sich, als der Wagen nicht weiter störte, und der Zug ging in dem tiefen Wege langsam vorwärts. Über ihm quoll strahlend der Vollmond hinter den abziehenden Wolken hervor. Nach einer Weile stillen Fahrens, die Frau Scholte benutzt hatte, um sich über die nächste Begleitung zu unterrichten, flüsterte sie: „Setzen Sie sich mal recht fest hin, daß Sie nicht verlängst hintenüber fallen, haken Sie Ihre Beinings getrost bei mir an, es gibt ‘ne Überraschung, der dort auf dem Wagen vor uns, der kleine Mann, der bei jedem Ruck in die Höhe fliegt, der heißt Scholte und ist mein Mann, ich kenne ihn von hinten an jeder zappeligen Bewegung. Ich freue mich natürlich sehr auf ihn, denn ich will’s ihm eintrichtern, daß er unter die Franzosen gegangen ist. Wo hat er das nur bloß schon erfahren, daß ich auf preußischer Seite stehe?“
Der Zug hielt, Kommandos schollen, die Wagen wurden auf einem günstigen Platze, der überall von Bäumen geschützt war, aufgefahren; in kurzer Zeit waren Posten ringsum aufgestellt, Wachtfeuer qualmten und loderten, die Sorge für die Verwundeten begann, um den Einspänner kümmerte sich niemand. Langsam fuhr Frau Scholte vorwärts bis in die Nähe einer Gruppe, die leichter Verwundete bildeten, sie hockten unter einem Baum am Feuer und sprachen französisch, bei ihnen war der Wundarzt mit Verbinden beschäftigt.
„Scholte,“ sagte die große Frau ruhig, „ich will nach links sehen, sieh du nach rechts. Wie kommst du unter die Franzosen?“
Der Angeredete fuhr zusammen, sein Pflegling schrie auf, da faßte er sich und sah nach rechts und sagte: „Wahrscheinlich gerade so wie du, gegen meinen Willen.“
Nach einer Weile begann die Frau wieder, indem sie mit der Peitsche über dem Pferde fuchtelte, als ob sie zu dem spräche: „So komm mit mir, ich hab ‘n Wagen hier.“
„Die Posten lassen mich nicht durch,“ schall es nach einer Weile Besinnens, ein französischer Fluch folgte seinem Satze.
„Ich fahre geradeaus unter die dicke Buche, den Einspänner findest du schon heraus. Komm nur, das weitere macht sich bei deiner Pfiffigkeit.“
Bald hatte Scholte mit kunstgerechter Hand den Kreis versorgt, alle hatten sich behaglich zurückgelehnt, er tat, als sähe er sich nach neuer Arbeit um, so gelangte er hinter den Stamm. „Finden die Franzosen mich in deinem Wagen, dann geht es mir schlecht,“ flüsterte er. „Wer sitzt da neben dir?“
„Eva Gellert, geliebter Mann, aber sei nicht bange, sie erhebt keine Ansprüche. Flink hier herauf, krieche mir unter den Rock, da hast du bequem Platz, und es sieht dich niemand.“ Scholte besann sich nicht lange und war alsbald verschwunden. „Au!“ rief es leise von unten her. „Na, du brauchst deine Nase nicht gerade in die Feuerkieke zu stecken,“ schalt Frau Scholte und trieb das Pferd an. Der Posten musterte den Wagen genau, stellte fest, daß er nur zwei Frauen führte, und ließ ihn passieren.
„Scht, sitz still,“ sagte die Lenkerin in sich lächelnd. „Wo haben sie dich abgefaßt?“
„Bei Retschow, wo heute geschlagen wurde, verband ich Verwundete zu weit nach vorn, da griffen sie mich bei einem Vorstoß.“
Frau Scholte kannte ihren Mann und nickte befriedigt. „Weißt du, wo der Weg von hier aus nach Rostock geht?“
„Was wollt ihr in Rostock?“ klang es ächzend, „es sitzt sich hier herzlich schlecht, laß mich hinaus.“
„Still, still! Wir wollen Matthies Trautmann suchen und mit ihm in den Krieg ziehen.“
„Der ist gar nicht in Rostock, ist unter die Strelitzer Husaren gegangen und mit ihnen zum schlesischen Heer zum alten Blücher.“
„Nicht weinen, Kleining, das paßt sich nicht für eine Kriegerin. Prrr, halt! Das will überlegt sein, Blücher wollte ich längst gerne sehen. Scholte, komm heraus. Da steht ein Wegweiser, ich kann ihn von hier nicht lesen, es ist zu dunkel.“
Der kleine Mann gehorchte und sprang behende vom Wagen. „Von hier unten geht es auch nicht,“ sagte er, kletterte hinauf und las für sich die vier Arme. Dann glitt er wieder ab und zeigte einen Weg entlang. „Eilte Meile bis Behrendshagen, da könnte man die Nacht bleiben, morgen über Bützow auf Güstrow zu, wo man den Weg nach Schlesien wahl erfragen könnte.“
„Gut, steig wieder aus, du kannst dich sehen lassen.“
„Von Franzosen gibt es hier nichts mehr, da könnt ihr ruhig sein.“
„Also rasch, rasch, daß wir unter Dach kommen, das Pferd wird müde.“
„Mein Testament liegt zu Anklam auf dem Gericht.“
„Was soll der Unsinn? Herauf mit dir.“
Sie wartete, aber er kam nicht, er war in der Dunkelheit spurlos verschwunden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!