- 13 - Alle waren vergnügt und lobten Eva, daß sie so tapfer sich gehalten hätte, dann begannen sie Gewehre ...

Alle waren vergnügt und lobten Eva, daß sie so tapfer sich gehalten hätte, dann begannen sie Gewehre und alles, was sonst an Ansrüstung brauchbar war, zu sammeln und die Leichtverwundeten als Gefangene zu entwaffnen. Eva fragte nach Matthies, keiner kannte ihn, keiner hatte von ihm gehört, sie wußten nur, daß die Hauptschar der Mecklenburger bei Rostock unter Vegesack stand und ein Treffen erwartete. Da warf sie nur noch einen scheuen Blick auf die Toten und machte sich dann davon. Unterwegs mußte sie lange mit einem geheimen Grauen ringen, es war ihr, als ob die Gefallenen ihr folgten, der Offizier, der ein Loch gerade vor der Stirn hatte, voran und zerschossene, bluttriefende Gestalten zornig drohend hinter ihm her, und sie begann zu laufen. Aber da stand sie plötzlich entschlossen still, sah festen Blickes zurück und schüttelte das Grauen ab. Der mutigen Deutschen wollte sie gedenken, die den Feind zurückgeschlagen hatten und ihres Sieges so froh und so freundlich gegen sie gewesen waren. In der Mitte solcher Männer würde sie sich geborgen fühlen, ach, daß doch Matthies dabei gewesen wäre! Wo war er nur? In diesen unaufhörlichen Gefechten blieb auch manch wackerer Mann; wenn er - nein, nein, das durfte und konnte nicht sein, sie hatte ja auch ein Anrecht an sein Leben.
Wieder wurde ihr am Abend ein Obdach von freundlichen Landsleuten gegönnt, die sie warnten vor dem einsamen Weiterziehen, es läge etwas in der Luft, die Franzosen seien zu rührig und hätten es gewiß auf Rostock abgesehen, wohin in aller Eile die Regierung von Schwerin aus verlegt war. Aber gerade diese Auskunft trieb Eva am nächsten Tage weiter, sie mußte ja vor den Franzosen dort sein, um noch Matthies zu finden. Es begann zu regnen, anfangs in Schauern, dann in anhaltenden Güssen: daran hatte sie bei ihrer hastigen Flucht nicht gedacht, nun war sie bald durchnäßt, und immer mußte sie auf Wegen gehen, auf denen das Wasser in Rinnsalen dahinfloß. Ermüdet, hungernd, zitternd vor Frost sah sie mit beginnender Dämmerung einige Häuser auftauchen.
Sonst hatte sie freudig darauf geachtet, daß um diese Zeit der Rauch aus den Schornsteinen aufstieg, ein Zeichen, daß die Hausfrauen alle bei der Rüstung des Abendbrotes waren, diesmal sah sie kein Merkmal des Lebens. Als sie vorsichtig näher schlich, entdeckte sie, daß das Dorf wie ausgestorben war, die Türen zu den Ställen standen offen, keine Kuh brüllte, kein Pferd stampfte, kein Grunzen im Kofen - sie getraute sich kaum weiter, unheimlich war ihr das Ganze. Aber die Erschöpfung machte sich so nachdrücklich bemerkbar, daß sie es wagen mußte, in die nächste offenstehende Tür zu treten.
Drinnen Todesstille, die geradezu fürchterlich war; zwei Betten, eins davon benutzt und nicht aufgemacht, eine umgeworfene Wiege, Sielengeschirr neben einem großen Stiefel und einer Pferdedecke am Boden, die Lade geöffnet und zerwühlt, Schubladen herausgerissen daliegend - kein Zweifel, die Bewohner waren alle in größter Haft geflohen. Waren die Franzosen schon dagewesen? kamen sie erst? Eva fühlte, daß ihre Gedanken in dieser zerfahrenen Umgebung sich verwirrten, das Blut wich aus Händen und Füßen, sie empfand da ein seltsames Prickeln, dann lag es rot vor ihren Augen. Einen Augenblick mußte sie wohl im Ohnmachtsanfall dort gesessen haben, dann war es ihr, als ob sie irgendwo ein Poltern hörte. Sie erwachte allmählich, setzte sich fester und horchte - in der Tat, unter dem Bett rührte sich etwas, da stöhnte oder winselte und klopfte es, vorsichtig schob sich eine spitze Schnauze heraus, ein Hund! ein lebendes Wesen! Sie lockte, der struppige Köter kam näher, auch ihn mochte nach Gesellschaft verlangen, denn er ließ sich willig streicheln, richtete sich auf, schnob am Tisch und an der Tischlade, sah Eva an und wedelte mit dem Schwanze. Eva zog die Lade heraus - da war Brot, und ein Messer lag daneben. Im Trieb des Hungers langte sie zu und aß und gab auch dem Hunde sein Teil, ja sie fand den Mut, sich noch weiter umzusehen. In einem Wandschrank stand eine Schale mit Milch, auch davon machte sie kräftig Gebrauch. Dann aber besann sie sich, daß sie sich an fremdem Eigentum vergriffen hatte, fiel auf ihren Platz zurück und schlug die Hände vor das Gesicht.
Draußen fuhr ein Wagen vor, jemand klopfte mit einem Peitschenstiel an den Laden und rief etwas, klopfte wieder und ungeduldiger und schalt; der Hund antwortete bellend, eine Frauenstimme ließ sich hören: „Gott sei Dank, da ist doch wenigstens ein lebendiges Wesen, ich muß näher nachsehen, ob hier sonst alle verhext sind.“
Eva horchte, die Stimme war ihr bekannt, es polterte auf der Diele, dann trat jemand in die Stube, die schon in Dämmerung lag. „Da muß man erst auf den verflixten Wegen Kahn fahren lernen, und wenn man meint, man komme in ‘n Hafen, dann behandeln sie einen wie ‘n Korsaren.“
Da stand sie mitten in der Stube, so mächtig und breit in der Gestalt und Haltung und mit der Peitsche in der Hand, daß der Hund offenbar geängstigt wieder unter das Bett schoß, Eva war emporgefahren und starrte die Erscheinung wortlos an.
„Na, Kind, deine Eltern sind wohl ausgerückt und haben dich hier vergessen? schadet nichts, gib mir nur an, wo ich unterziehen kann, das andere findet sich.“
„Frau Scholte!“ Die Angerufene stand einen Augenblick verblüfft da, kam dann mit bedächtigen Schritten näher und drehte Eva mit kräftigem Ruck dem letzten Schein zu, der durch das niedrige Fenster drang.
„Nun hört doch alles auf und dann noch verschiedenes! Unser Kleining! Da muß ich doch rein das Stillschweigen kriegen, und das will schon was sagen!“ Sie prüfte bedächtig weiter. „Quatschnaß - und geheult hat sie auch, und bebbern tut sie, daß die Stube wackelt. Es soll mich gar nicht wundern, wenn sich da aus einer Ecke ein Geist herausrappelt, denn es riecht hier richtig nach Tausend und eine Nacht. Kennen Sie das, Kleining? Ich will Ihnen daraus unterwegs erzählen, jetzt machen Sie sich fertig und rauf auf den Wagen. Hier bleiben geht für Sie nicht an. Das hat weiter nach Norden zu heute geknackert und gebrummt, daß das so ne Art hatte, umsonst sind hier auch nicht alle ausgerissen, ich wittre Pulverdampf, und der schlägt mir auf die Brust. Brrr, das ist ja der reine Scheuerlappen, so klatschig.“ Eva hing ihr am Halse.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!