- 11 - Inzwischen hatte Gellert mit Trautmann im Verein geforscht und beraten und festgestellt, ...

Inzwischen hatte Gellert mit Trautmann im Verein geforscht und beraten und festgestellt, daß Eva nicht nach Vietlübbe geflüchtet war, sondern zum Steintor hinausgegangen, angeblich einen ihr bekannten Bauern in Güstow zu besuchen. Da machte sich denn Gellert dorthin auf und hatte vor dem Dorfe einen wunderlichen Anblick. Der Schulze stand gerade am Wege, als ein einzelner Kosak herankam, der einen Franzosen mit sich führte. Neben dem Schulzen hielt er an und bot ihm ein Paar guter Schuhe zum Kauf, die er dem Franzosen abgenommen hatte. Aber der Schulze schüttelte den Kops. Da zog der Kosak seinem Gesangenen die Unisorm aus und bot diese an. Als das auch vergebens war, besah er sich den Rock genauer, die langen Schöße gefielen ihm nicht, so gab er dem Franzosen sein Pferd zu halten und begann mit dem Messer die Anhängsel abzuschneiden, um sich eine Jacke zu schaffen. Die Gelegenheit nutzte der Gefangene, machte sich an den Bügel und stieg auf. Obgleich der Schulze, der das sah, dem Kosaken Wink über Wink gab, blieb der ruhig bei seiner Arbeit und nickte nur schlau dem Bauern zu; als der Franzose eine Strecke entfernt war, psiff er gellend, sofort stand das Pferd und wollte wenden, es entspann sich ein hartnäckiger Streit mit dem Reiter, der das Tier so erbitterte, daß es jedesmal, wenn der versuchte abzusteigen, nach seinem Fuße herumbiß, und so kam es zuletzt mit dem Franzosen wieder an. Ruhig langte der Kosak nach seinem Kantschu, holte sich den Gefangenen vom Pferd und versetzte ihm einige klatschende Hiebe. Der Schulze sah belustigt zu, aber plötzlich nahmen seine Züge scharfe Spannung an, er sprang vor, sah dem Franzosen ins Gesicht und erkannte ihn wieder, der war erst am Tage vorher mit einigen Reitern in Güstow gewesen und hatte dort fidel gehaust. Rasch wandte sich der Bauer an den Russen und bedeutete ihm, daß er ihm seinen Gefangenen abkaufen wollte, der Kosak verstand ihn, empfing grinsend eine bare Mark und reichte zugleich seinen Kantschu herüber. Und bevor der Franzose wußte, was werden sollte, faßte der starke Schulze den schmächtigen Mann im Genick und zog ihn vornüber und drosch nun kräftig drauf los. „Das ist für mich - das ist für meinen Hahn - das ist für meinen Knecht - das ist für den Branntwein - da hast du Fleisch da hast du Wein - da hast du Geld - einen Taler -zwei - drei - vier - fünf Taler -,“ so zählte er ihm allein was ihn geärgert hatte, her, und schloß dann mit dem kräftigsten Schlag: „Und das ist für alles im Überschlag, daß du dich nicht über Vergeßlichkeit beklagen kannst.“ Dann ließ er den Franzosen laufen. Der ging sehr gedrückt über Feld, aber er kam nicht weit, denn der Kosak trabte ihm nach, fing ihn ein und zog weiter mit ihm ab.
„Das hast du herrlich fertig gebracht, ohne alle Hilfe,“ sagte Gellert.
Der Schulze rieb sich behaglich die Hände. „Es hat mir für lange gut getan.“
„Ihm da auch,“ antwortete Gellert und ließ unbestimmt, wen von den Abziehenden er meinte. Dann fragte er sofort nach Eva. Ja, die war vor dem Dorfe gewesen, aber wieder umgekehrt, als sie Franzosen darin entdeckt hatte.

Wohin nun? Vor Gadebusch traf Gellert einen Bekannten, der hatte Eva in Wakenstädt gesehen. Als er dort ankam, war die Nacht nahe, das Mädchen aber war nicht im Ort. So wanderte er am nächsten Tage weiter und suchte und fand und verlor die Spur; in Lützow wollte jemand sich entsinnen, daß ihn ein Mädchen wie Eva nach dem Wege nach Schwerin gefragt habe, ein anderer wollte gehört haben, daß bei Gottesgabe preußische Reiter gesehen wären, und Gellert nahm an, daß sie dort am Ende nach Matthies hatte fragen wollen.


Wirklich fand er in Gottesgabe alles voll von Reitern der Lützowschen Freischar. Das Gesinde hatte viel zu schaffen, die willkommenen Gäste, die hinter dem Rücken der französischen Armee so kecke Streifzüge machten, zu versorgen, und konnte ihm nur im Vorbeigehen Auskunft geben, daß Eva nicht dagewesen. Der Wachtmeister, den er nach Matthies fragte, kannte den Namen nicht, aber begann nun seinerseits den Gadebuscher über die Gegend auszuholen, und da er Gefallen an ihm fand, so überredete er ihn, die Nacht dort zu bleiben, auf dem Heuboden wäre neben den Reitern Platz genug, vielleicht hätte der Major noch allerlei zu erfragen, was ihm von Wert wäre. Gellert aber wollte sich Erlaubnis vom Gutsherrn erbitten, und so begleitete ihn der Wachtmeister ins Haus.

Im großen Wohnzimmer waren die Adjutanten und Offiziere bei der Familie versammelt, ein schlanker junger Leutnant saß am Klavier und spielte und sang ein Lied. .,Das hat er gestern abend in Kirch-Iesar gedichtet,“ flüsterte der Wachtmeister, „das fließt ihm nur so zu, und immer ist es voll Kraft und Glut.“ Auf allgemeines Bitten wiederholte der Sänger das Lied, einige Genossen fielen ein:

  „Du Schwert an meiner Linken,
  Was soll dein heit’res Blinken?
  Schaust mich so freundlich an,
  Hab meine Freude dran,
  Hurra, hurra, hurra.“

„Er ist der Lützower Stolz und aller Liebling,“ flüsterte der Wachtmeister. „Sieh ihn nur an, wie ihm die Augen leuchten, und wie es bei den andern zündet. Wie oft, wenn wir müde und verdrossen über das ewige Hin- und Herreiten am Wachtfeuer lagen unter Qualm und Regenschauern, durchnäßt bis auf die Haut, hat er uns mit seinen Liedern aufgerüttelt, daß wir lebendig wurden wie unter lauter Sonnenschein.“
Gellert blieb die Nacht auf dem Heuboden, ging am nächsten Morgen früh davon, zunächst nach Lützow zurück, und da er dort nichts weiter erfahren konnte, wandte er sich traurig heimwärts, bog aber unterwegs nach Bendhof ab, weil der Pächter des dortigen Stadtgutes ein guter Bekannter war und Eva am Ende zu ihm geflüchtet sein konnte. Der Bendhöfer hatte das Mädchen nicht gesehen, aber sein Knecht wollte wissen, daß es vorbeigegangen, wahrscheinlich auf Rosenow zu. Nachdem sie gegessen, machten sich beide dorthin auf den Weg. Aber in Rosenow wußte niemand von der Gesuchten.
„Komm, komm,“ rief plötzlich Gellert, „das müssen wir sehen, da sind die Lützower über die Franzosen her.“
Man hörte lebhaftes Schießen und Trompetenschall.
„Oder auch umgekehrt,“ sagte der Bendhöfer, „ich werde kein Narr sein und mir dort ein Loch im Rock holen, meine Frau würde ein nettes Gesicht machen.“
„Aber Mensch, sie könnten uns am Ende dort gebrauchen,“ schrie Gellert erregt.
„Ja, wenn dein Stock losginge und mein Knüppel aus der Scheide fahren könnte, aber so?“
Beide horchten. Ein Signal! der Lärm schwieg, dann fielen vereinzelte Schüsse, wieder eine Pause, Trompetenschall und vermehrtes Schießen und dann alles still.
„Das ist unheimlich hier zuzuhören,“ rief Gellert.
„Ich gehe hinüber, in den Rosenower Fichten ist es, das muß ich sehen, hier kann man ja in der Aufregung den Schlag kriegen.“
Er eilte vorwärts, langsamer folgte der Bendhöfer.
Mitten auf dem Wege am Gehölze stand ein langer Wagenzug, neben dem an 200 gefangene Franzosen unter Bewachung von Kosaken sich drängten. Die Lützower aber hatten sich alle um einen Mittelpunkt gesammelt. Da lagen einige Gefallene tot am Boden, darunter der kühne Sänger des Schwertliedes.
„Ich habe mit ihm gestern geprahlt,“ sagte der Wachtmeister, müde vom Kampf sich auf den Arm Gellerts stützend, „da ist nun mein Bescheid darauf. Mir ist, als wäre mit ihm plötzlich Licht und Leben von uns Lützowern gegangen. Komm, ich kann’s nicht ertragen.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!