- 05 - Sie schwieg, aber ihre leuchtenden Augen sprachen weiter. „Ja, wenn der Blücher und der York ...

Sie schwieg, aber ihre leuchtenden Augen sprachen weiter.
„Ja, wenn der Blücher und der York so ist -“ sagte der Schwarzseher von vorhin, aber er kam nicht weiter, denn nun begann der Rektor, der noch fortwährend seine Hand auf Evas Schulter hielt: „Ich bin der Lehrer der meisten unter euch gewesen, habe euch den Katechismus beigebracht und möchte mir’s ausbitten, daß, wenn ich jetzt anhübe zu fragen, ein jeder ihn noch wüßte. Es ist aber seitdem eine andere Zeit über uns gekommen, dergleichen noch niemals gewesen ist, darum reicht der alte Katechismus hier nicht mehr aus, und ich muß anfangen, einen neuen Katechismus zu lehren und neue zehn Gebote, aber nicht aus mir selbft, sondern aus Gottes Offenbarung, die er den Menschen gönnt, wenn sie sich in sein heiliges Wort einleben. Heute will ich euch eine neue Katechismusstunde geben, da merkt wohl auf.
Das erste Gebot heißt: Du sollst keine Sklavenketten tragen. Denn vor Gott sind alle Menschen gleich, wie sollten sie es nicht unter sich sein? Freier Dienst ist keine Sklaverei, denn alles Gemeinschaftsleben beruht auf gegenseitigem Dienst. Im freien Dienst kann auch der Geringste sein Haupt hoch tragen vor Königen und Herren. Aber ein Fürst, der nur um sich kriechen sehen will, liegt selbst von den schlimmsten Ketten im Innern gefesselt. Und wer den Nächsten mit Gewalt zum Dienste zwingt, der geht gegen Gott und ist ein Tyrann. Eure Ketten hat euch der Tyrann aufgelegt, und durch ihn seid ihr Sklaven geworden, ihr sollt jetzt eure Ketten sprengen und eure Häupter erheben, weil sich eure Errettung naht.
Das andere Gebot lautet: Du sollst die Ursache deines schmählichen Falles nicht immer auf andere abschieben, denn dein ist die Schuld, darum auch Gott seine Zuchtrute gebrauchte, um dich zu wecken. Als Österreich fiel, da bewundertet ihr den Volkszerstörer, und als Preußen fiel, da frohlocktet ihr über die Demütigung des großen Nachbarn. Und als die Franzosen sich festsetzten, da buhltet ihr um deren Gunst. Ihr wolltet mit dem großen Tyrannen gut auskommen und bedachtet nicht, daß, wer sich mit dem Teufel vertragen will, der gleitet mit ihm in die Hölle.
Und das dritte Gebot heißt: Du sollst Manneswehr haben und sie gebrauchen lernen. Jeder, der frei sein will, muß sich wehren können. Für einen Mann gehören sich nicht Worte, sondern Taten. Leeres Jammern schickt sich nur für den, der in der Sklaverei bleiben will. Ihr habt die Knochen und Muskeln von Gott erhalten, daß ihr sie gebrauchen sollt, und der würdigste Gebrauch ist jetzt das Führen der Waffen um der von Gott gewollten Freiheit willen.
Und das vierte Gebot heißt: Du sollst an deine gute Sache glauben, wie du an Gott glaubst, denn es ist noch mehr Gottes als deine Sache; so sollst du nichts auf die Hilfe von Kosaken und Preußen und Österreichern abschieben, sondern dich nur auf Gott verlassen und auf dich selbst, auf dein Herz und auf die Waffe in deiner Faust. Geht nicht gleich alles so, wie du es dir gedacht hast, so geht es so, wie Gott es gedacht hat, und der weiß es besser zu führen, als du. Die Rache ist sein, aber du bist das Werkzeug in seiner Hand, und darum muß und wird die gute Sache siegen.
Und das fünfte Gebot heißt also: Du sollst siegen,wenn du auch darüber sterben mußt. Du sollst nicht sagen: ?Ich will siegen oder sterben,? denn das Sterben ist dem ein bequemer Ausweg, der nichts Besseres mehr weiß, und ein Selbstmörder bringt das auch fertig. Du aber sollst an Frau und Kinder denken und was aus denen wird, die zurückbleiben. Soll es denn viel Witwen und Waisen geben, so sollen sie im sicheren Lande frei leben. Also mußt und sollst du siegen und im Sterben das freie Land sehen, damit dann noch nach Jahrhunderten Freie, die in dem glücklichen Lande wohnen, kommen und die Stätte, da du gefallen bist, mit Kränzen bedecken.
Und das sechste Gebot heißt: Du sollst deine Ehre rein erhalten. Die Ehre des Mannes ist sein böchstes Gottesgeschenk und geht über Gut und Leben. Wir hatten sie verloren, aber Gott eröffnet uns den Weg, sie jetzt wiederzugewinnen. Wer den nicht geht oder seine Ehre wieder verliert, der verliert Gott und sich selbst, er wird suchen und das Verlorene nicht wiederfinden können, und niemals kann er wieder ein glücklicher Mann sein. Was aber deine Ehre ist, das soll dir dein Gewissen, nicht deine träge Gewohnheit sagen. Nach diesem deinem Gewissen wirst du allein deinen geraden Weg als redlicher Deutscher finden und nicht zum Kampf gehen aus Habsucht, Ehrgeiz und Rachgier, sondern mit lauterem Herzen, wie zum Gottesdienst.
Und das siebente Gebot heißt: Du sollst den feigen Mann verachten. Wir sind von Gott nicht alle gleich stark und gleich mutig und trotzig gemacht, und doch bleibt bestehen, daß jeder, der aus Feigheit sich duckt und ducken läßt, ist wie ein Tier unter der Peitsche. Auch der Faule und Stumpfe ist ein Feigling. Wo Männer aus Feigheit kriechen und nennen’s Demut, und tun die Schande um, als wäre es ein Schmuck, da sollt ihr ihnen diesen falschen Schmuck abreißen, daß sie in ihrer Blöße offenbar werden. Wer jetzt nicht tut, was er kann, wer darauf wartet, daß andere ihr Gut und sich selbst für ihn opfern, und ernten will, wo er nicht gesät hat, der verdient Verachtung und soll als kein rechter Deutscher angesehen werden und darf nicht mit Männern an einem Tisch sitzen, sondern mag sich im Winkel verkriechen, wie ein geschlagener Hund.
Und das achte Gebot heißt. Du sollst die Frauen heilig halten. Ihr habt alle gesehen, wie die Franzosen die Frauen verachteten und mißbrauchten. Ein Volk, das die Frauen nicht hoch und heilig hält, das muß fallen. Denn von den reinen Frauen geht Weihe aus über ein Volk und von den ihrer Würde baren der Verfall. Auch die Frauen der Feinde sollen euch heilig sein, denn in jeder Frau sollt ihr noch die Heiligkeit sehen, die über eurer Mutter und Frau und Schwester leuchtet. Die armen Frauen, die hier bei uns durch den Feind verdorben wurden, die sollt ihr aufrichten, daß das Göttliche in ihnen wieder aufleuchten kann, denn nicht zum Richten sollt ihr euch erheben, sondern zum Erretten.
Und das neunte Gebot lautet: Du sollst Treue hegen gegen jeden deutschen Bruder. Sind wir auch vielfältig nach Mundart und Brauch, so sind wir doch einheitlich nach Stamm und Blut. Eine vielgliedrige Familie kann nur glücklich sein und bestehen durch gegenseitige Duldung und Achtung der Eigenart jedes Gliedes. Darum sollt ihr auf keinen Deutschen scheel sehen, weil er einen andern Glauben hat, denn wir haben einen Gott, und keinen sollt ihr verspotten wegen seiner Sitte, denn wir sollen sein „ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen noch Gefahr.“ Das gemeinsame Band, das alle umschließen muß, das heißt unser Vaterland. Und darum heißt
Das zehnte Gebot, das alle anderen zusammenfaßt: Du sollst dein Vaterland lieb haben. Was ist das für ein Land? Es ist nicht das Land, wo dein Vater wohnt - man nennt solches die Heimat - sondern das ist das Land aller deiner Vorväter, deiner Urväter Land. Dieses Land kannst du also nur finden in dem gemeinsamen Stammlande, das ist das ganze Deutschland. Gott hat es geschahen, indem er ihm die gemeinsame Sprache und Abstammung gab und ihm seine Berge und Wasser als Grenze setzte und das Volk darinnen erzog und seine Geschicke durchleben ließ; das ist das Land, über das seit den allerältesten Zeiten unserer Väter Pflug gegangen ist, ihr Schweiß und Blut, ihre Arbeit und Sorge haben’s in Jahrhunderten gedüngt und also geheiligt. Alle diese Vorväter leben in den Folgen ihrer Werke mit uns weiter, wir arbeiten für sie, wie sie für uns und wir alle für Gott.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!