- 03 - Als aber der General Morand seine Truppen aus Pommern auf der Mecklenburger Landstraße auch ...

Als aber der General Morand seine Truppen aus Pommern auf der Mecklenburger Landstraße auch durch Gadebusch führte, da hörte er schon laute Flüche und Verwünschungen, und der Nachtrab mußte wieder das Spottlied hinnehmen, das ihn erst begleitet, dann mit erstaunlicher Schnelle überholt hatte und vorangeeilt war:

  Es irrt durch Schnee und Wald daher
  Das große, mächt’ge Franzenheer.
  Der Kaiser auf der Flucht,
  Soldaten ohne Zucht.
  Mit Mann und Roß und Wagen,
  So hat sie Gott geschlagen.
  Trommler ohne Trommelstock
  Kürassier im Weiberrock
  Fähnrich ohne Fahn’,
  Flinten ohne Hahn.
  Mit Mann und Roß und Wagen,
  So hat sie Gott geschlagen.


  Feldherrn ohne Witz
  Stuckleut ohn’ Geschütz,
  Flüchter ohne Schuh.
  Nirgends Rast noch Ruh,
  Mit Mann und Roß und Wagen,
  So hat sie Gott geschlagen.

Einzelnen Nachzüglern hängten sich die Jungen johlend an die Pferdeschwänze, sie sahen sich scheu um und wagten erst jenseits der Brücke zu drohen und ihre Wiederkehr zu verheißen. Man lachte ihnen nach, denn der Herzog hatte sich vom Rheinbunde losgesagt, und der mußte doch wissen, daß Thron und Land ihm sicher waren.
Wer aber sollte die sichern? Wer sonst als die Russen. Flink wie immer waren sie da, die Kosaken, die von Tettenborns Schar ausschwärmten, das Land rein fegten und Auskehr hielten, so daß kein Franzose mehr im verstecktesten Winkel plündern konnte; sechs Mann kamen eines Tages durch das Tor geritten, so gelassen, als wäre ihr Kommen ganz selbstverständlich. Auf kleinen mageren Pferden, mit Stricken als Steigbügel, mit verrosteten Pistolen in den Halftern, krumm und mit hochgezogenen Knien, einige ohne Sattel, so ritten sie langsam die Straße zum Markte, im Nu war die ganze Stadt lebendig, der Ruf „Kosaken“ trieb die allerältesten Leute, die sich sonst nicht mehr von ihren Sessel rührten, vor die Tür, überall Jauchzen und Frohlocken, die Massen drängten sich heran und schoben gerade zu die Pferde vorwärts. Und die Reiter mit dem unendlich struppigen Bart, der wohl noch nie einen Kamm geführt hatte, grinsten gemütlich und schwenken zutraulich ihr abgeschabten Pelzmützen. Der Bäcker Oldenburg hatte gerade eine Hochzeit auszurüsten, der nahm in seiner Herzensfreude den mächtigen Topfkuchen und brachte ihn heran, brach ihn in Stücke und reichte ihn den Fremden. Hei, die hatten bald genug zu tun, alle Gaben in ihre weiten Taschen, die allein bei ihren Lumpen fest waren, zu vel:-senken, Flaschen voll Branntwein, Speck, Mettwürste, Brot, alles verschwand.
„Dobri wutki,“ ( Guter Schnaps.) rief ein Kosak und trank, bis seine Augen vor Seligkeit schwammen. „Wo Franzuski?“ fragte der zweite. „Nicht Furcht, Kosak nicht plutt (Schurke.) versicherte. der dritte. Der vierte sagte: „Padi sjuda,“ (Komm her.) griff hinunter und hob einen kleinen Jungen, der so recht frisch und keck zu ihm emporsah, vor sich in den Sattel, der fünfte setzte sich gar einen auf die Schulter. Der sechste, anscheinend der Führer, ritt vor das Rathaus, klopfte dem Bürgermeister auf die Schulter und sagte: „Molodez Kanerad!“(Wackerer Bursche.) und zeigte in die Ferne und schimpfte „tschort“ (Teufel.) und „schubiak“ (Lump.) hinter den Franzosen her. Mit offenem Munde nahm man diese fremdartigen Laute entgegen, manchem fiel wieder der Besuch von 1805 ein, und er besann sich der Bedeutung einzelner Wörter, so bewahrte man sie als seltene Geschenke noch jahrelang auf.
Plötzlich hörte man einen Schreckensschrei. Ein Weib, das eben vom Herde, wo es die Erbsen vor dem Anbrennen hatte schützen müssen, angerannt kam, entdeckte ihren Jungen auf den Schultern des Kosaken, wie er munter zuckelnd und hopsend sich an den wüsten Haaren festhielt, sie reckte beide Arme hinauf, nötigte ihn von seinem Sitz herunter und lief mit ihm zur nächsten Türstufe. Dort hockte sie nieder und begann emsig an seinem Körper, vornehmlich in den Haaren zu suchen. „Sechs Stück!“ rief sie triumphierend. „Die hab ich noch rechtzeitig erwischt!“ Die Kosaken grinsten verständnisvoll. „Pascholl, pascholl!“ Langsam wandten die Reiter ihre Pferde, und so ging der Zug wieder zum Tor hinaus.
Nur eine stand da und sah ihnen mit Tränen nach. Pascholl! Wo war der, der einst mit ihr so fröhlich bei dem Ruf gelacht hatte? Zu einem Liebeswort war ihnen beiden der fremde Laut geworden, das man in Gegenwart anderer aussprechen konnte, ohne daß jemand den tieferen Sinn ahnte. Sollte sie den niemals wieder mit dem alten Klange hören? mit dem Herzenston, nach dem sie sich nun schon ein langes Jahr hindurch vergebens gesehnt hatte?
Die Massen, die den Kosaken das Geleit gegeben hatten, fluteten zurück und schoben sie achtlos beiseite. Alle waren voll von dem Erlebten. Nun war doch endlich alles abgemacht, nun mußte alles weitere bald geschehen. Ja, was denn? Daraus wußte niemand Antwort, aber geschehen mußte etwas. Schon der zweite Sonntag brachte es. Da klangen die Glocken am frühen Morgen eine halbe Stunde eher, man wußte, ohne daß es jemand deutete, daß der entscheidende Augenblick da war, und was irgendwie gehen konnte, drängte sich ins Gotteshaus, die Bänke voll, die Gänge voll, bis zu den Türen hinaus standen sie. Der Pastor hielt seinen Gottesdienst und verlas dann nach der Predigt langsam, bedächtig, eintönig den Aufruf, den der Herzog an seine Mecklenburger richtete, sich zu erheben, zu den Waffen zu greifen und sich in die Bataillone einreihen zu lassen, zu opfern und zu sammeln für die Befreiung des Vaterlandes. Der Vorleser schloß, wie er begonnen, und fügte pflichtgemäß einige Worte daran, aber er wog sie sorgfältig ab, um nichts zu sagen, was nach irgend einer Seite hin Anstoß erregen konnte, denn er war in der schweren Zeit ein ängstlicher Mensch geworden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!