- 15 - „Warum hast du dir denn eine solche ausgesucht?“„Ich sie ausgesucht? sie hat mich ausgesucht, sie ...

„Warum hast du dir denn eine solche ausgesucht?“
„Ich sie ausgesucht? sie hat mich ausgesucht, sie hat mich vor den Altar geführt, sie hat mich geheiratet, wie das alles gekommen, mag Gott wissen. Ich sage dir, sie ist eine prächtige, gutherzige, fleißige, ehrliche, treue Seele - halt - da klopft jemand, mach nicht auf, laß sie nicht ein.“
„Nein, nein, sei nur ruhig, irgendwo schlug im Wind ein loser Laden.“
„Alter Freund, hier diese Schuldscheine gibst du morgen an Gellert, er hat sie ausgestellt. Wenn ich sie mitnehme, könnten sie in unrechte Hände fallen, und Gellert soll sie mir aufheben, bis ich selbst sie fordere. - Den Schein da gib an meine Frau, es steht geschrieben, daß ich ihr das Haus mit allem darin überweise, ich glaube, sie hält wirklich etwas von mir; wenn sie nur nicht so unmenschlich stark wäre.“
So ordnete er rasch und umsichtig das Nötige, und am nächsten Morgen in aller Frühe machte er sich heimlich aus dem Tor.
Es war aber noch ein anderer da, der sehr bald seinem Beispiele folgte. In der Tat kam im Laufe des Vormittags neue Einquartierung, wie Scholte zu Nathan gesagt hatte, und ihm folgten, auf Deserteure fahndend, einige Gendarmen, die sich bald nach dem Einreiten bei ihrem Quartierswirt erkundigten, ob da nicht ein Jude Nathan in der Stadt wohnte, weil sie an ihn durch Geheimorder gewiesen waren als an einen willfährtigen Auskunftgeber. Der Wirt hatte nichts Eiligeres zu tun, als zu Nathan zu laufen und ihm zu sagen, daß Franzosen da wären und ihm nachfragten. Der Jude, der schon eine trostlose Nacht in tausend Ängsten verlebt hatte und allerlei für seine Flucht bereit gemacht, schickte sofort einen Tagelöhner, der gerade bei ihm arbeitete, aus, um zu erfahren, ob die Tore frei wären. Gemütlich ging der Mann zu Ollhöft und sagte ihm seinen Auftrag, und der erwiderte kurz und bündig: „Ja, frei wären die Tore, aber die Juden, die hinaus wollten, sollten sich vorsehen.“
Das entschied, Nathan beschwor den Tagelöhner ihn zu retten, gegen Zusicherung von einem Taler. Ja, ja - gewiß und wahrhaftig der Mann antwortete nicht, weil er ganz überrascht von der Freigebigkeit war - er wollte ihm zwei Taler geben, drei vier - fünf Taler hinterher, wenn er ihn sicher aus dem Tore gebracht.
„Nein,“ entschied sich endlich der Mann, „lieber gleich bar vorweg, und dann weiß ich nichts Besseres, als ich stecke dich in den Sack, lege dich auf die Schubkarre, fahre dich durch das Tor und gebe dich für ein Kalb aus.“
Das ging an, das leuchtete ein, er erhielt seine fünf Taler, Nathan kroch in den Sack und wurde auf die Karre gelegt.
Am Tore stand Ollhöft und dachte an das Erlebte und an den flüchtigen Scholte. Da knurrte der Hund neben ihm und fuhr auf die Karre los, beschnüffelte sie und bellte wieder.
„He, du da, halt einmal an, was hast du in dem Sack?“ fragte Ollhöft mißtrauisch.
„‘n Kalb,“ sagte der Mann und stellte die Karre hin, aber er setzte ein schlaues Gesicht auf, zwinkerte mit den Augen und machte die allbekannten Bewegungen des Juden, wenn der in Erregung war, nach.
Ein grimmiges Lächeln flog über Ollhöfts Gesicht. „Ein Kalb?“ sagte er, „ein fettes oder ein mageres?“
„Ja, das kommt darauf an, mancher sagt mager,. mancher fett.“
„Wir wollen schon sehen, das hört man aus Erfahrung am Ton.“
Er faßte seinen Stock, erspähte eine gewisse Rundung, die den Sack ausbauschte und führte einen kräftigen Schlag darauf.
„Böööh,“ schrie es im Sack.
„Es ist wohl ein mageres,“ sagte Ollhöft, „oder sollte es doch ein fettes sein?“ Abermals ein kräftiger Schlag.
„Bööööh!“
„Da hätte ich doch gewettet, es sei ein mageres, aber es schreit fett.“ Wieder ein Schlag.
„Bööööh!“
„Ei was, soll ich mich heute morgen an solchem Kalb ärgern? Ist es fett, dann will ich es nüchtern prügeln.“
Damit drosch er mit Aufgebot seiner Kraft auf das Kalb los, bis es nur noch eben wimmerte.
„So, nun zieh ab, das kann frei passieren. War das ‘n Jude gewesen, dann hätte ich am Ende die Franzosen fragen müssen, ob der aus der Stadt weichen dürfe, denn die scheinen mal wieder hinter irgendetwas her zu sein.“
Damit gab er das Tor frei, und draußen in der sicheren Ferne kroch Nathan ächzend aus seinem Sack und hinkte jammernd davon.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!