- 07 - Scholte trabte vergnügt in der Stadt herum, und wo er einen Mann traf, der ihm als zuverlässig bekannt war, ...

Scholte trabte vergnügt in der Stadt herum, und wo er einen Mann traf, der ihm als zuverlässig bekannt war, Trautmann und Gellert, den Brauer Rotgeter und den Kesselflicker Rührdanz, den Torwärter Ollhöft und den Polier Lürs, den Schmied Prange und andere, bestellte er ihn auf den Nachmittag zum Kegelspiel nach Bäcker Oldenburg. Den Puppenspieler brachte er mit, der sollte allerlei erzählen aus der Welt da draußen, wie es überall in Mecklenburg und in Preußen, in dem losgerissenen Hannover und Westfalen und Hessen gärte, wie die Not am höchsten gestiegen und wie Gott am nächsten wäre. Allem Anscheine nach säße Napoleon mit seinem großen Heere in Rußland fest, der preußische und der österreichische Armeeteil, beide zum Glück oder durch eine Dummheit Napoleons abgesondert vom Hauptheere, hielten sich zurück und schonten sich. Alles legte sich gut an, und wenn es so fortginge, dann wäre die Zeit, das Joch abzuschütteln, nicht mehr fern. Wenn das nicht geschehe, dann würde Napoleon nach seiner Rückkehr ganz gewiß Mecklenburg zu Frankreich schlagen und noch einen guten Teil von Preußen dazu und alles wäre aus, dann müßte man für immer sich schinden und aussaugen lassen. Endlich zog er einige Blätter heraus, auf denen ein ganz neues Lied, von einem tapfern, kernfesten Deutschen gedichtet, stand und las es laut vor. Das begann:
  Wer ist ein Mann? Der beten kann
  Und Gott dem Herrn vertraut,
  Wenn alles bricht, er zaget nicht,
  Dem frommen nimmer graut.
und es schloß:
  So, deutscher Mann. so, freier Mann.
  Mit Gott dem Herrn zum Krieg,
  Denn Gott allein mag Helfer sein,
  Von Gott kommt Glück und Sieg.

Seine Stimme klang voll, er traf den rechten Herzenston, und zum Schluß verteilte er die Blätter, so viel er bei sich hatte, alle Hände griffen zu, jeder wußte, daß es sich um ein herrliches Gut handelte. Die viel gedrückten Leute, die im stillen schon die Hoffnung aufgegeben hatten, daß es je anders werden könnte in deutschen Landen, die fürchten gelernt hatten, daß es mit jedem kommenden Tage noch schlimmer würde, hörten plötzlich, daß es noch Männer genug gab, die entschlossen waren, ihre Zuflucht allein zu Gott und zu dem Stahl in der Faust zu nehmen und zu sterben für Gott und Vaterland, für Weib und Kind, für Freiheit und Recht, das alles nicht etwa in einem zweifelhaften Kampf, sondern mit der festen Aussicht auf den Sieg; das mutige Zeugnis von Ernst Moritz Arndt ließ ihre Augen aufleuchten und trieb ihnen das Blut rascher durch die Adern.
Der Bäcker Oldenburg war als Wirt hin- und hergegangen, bald hinausspähend, bald drinnen lauschend, nicht unzufrieden, daß niemand mit Bestellung kam, nur darauf bedacht, die Sicherheit seiner Gäste zu überwachen. Zuweilen, wenn man mit dem Kegelspiel säumte, warf er ein paar Kugeln, damit niemand draußen auf den Gedanken kommen könnte, als ob noch etwas anderes auf der Kegelbahn getrieben würde, als das wetteifernde Schieben. Jetzt kam er wieder herein und warf seine Kugel und schrie: „Schuh“ - leiser: „Kinder, Kinder, was macht ihr? - Herz aus dem Leibe! - Da ging eben ein Kerl hinter dem Stall weg. - Alle Neune! - Der hat hier gelauert oder wollte lauern, ich konnte ihn nicht erkennen. Nun macht, daß ihr nach Hause kommt. Feierabend!“ Die Versammlung löste sich auf.
Am nächsten Morgen ritten Gendarmen von der Wismarschen Garnison herein, besetzten die Tore und begannen auf den Puppenspieler zu fahnden. Ollhöft, der kurzer Hand abgelöst war, legte pflichtgemäß Protest ein gegen den Übergriff in städtische und herzogliche Rechte und wanderte dann ab, anscheinend, um bei der Behörde sich zu melden, in Wirklichkeit aber zu Scholte und mit diesem und dem Puppenspieler eiligst und heimlich hinten herum zu dem Brauer, weil man hoffte, in der weiten Brauerei irgend einen Unterschlupf zu finden. Aber kein Winkel schien sicher genug.
„Hilft alles nichts,“ entschied Ollhöft endlich, „er muß hinein in eine leere Tonne, die wird zugemacht und dann durch die Straße und das Tor gerollt, er muß sich drinnen so lange mit Armen und Knien anstemmen, sonst geht er kopfüber.“
„Ich will schon rollen,“ sagte der stämmige Brauknecht.
Im Tore rief man ihn an: „Halte-là, monsieur, où allez-vous?“
„Zum Wasser will ich, wohin denn sonst? Die Tonne ist leck, sie soll anziehen.“
,,Vraiment à l’eau, le tonneau coule,“ übersetzte ein Gendarm, „monsieur passe.“
So entkam der Bedrohte. Die Franzosen stachen mit Bajonetten in die Heuböden, krochen in die Winkel, langten mit dem Schieber sogar in Oldenburgs Backofen und fanden immer gerade die richtigen Häuser heraus. Aber den Gesuchten fanden sie nicht und zogen endlich drohend und fluchend wieder ab.
Nathan, der am Abend zuvor schon auf Geschäftsgängen mit einem Packen über Land gegangen war, sah nach seiner Rückkehr Scholte bei sich, er sollte erzählen, was die Leute draußen dächten, und da hatte er erfahren, daß die Küste nicht so scharf beobachtet würde, es wäre alles, was irgend an Soldaten entbehrlich schien, immer wieder nach Rußland nachgefordert, und die Zurückgebliebenen ließen wohl mit sich reden, Scholte sollte also wieder das alte Geschäft eröffnen, aber der wollte nicht und hatte allerlei Ausrede. Nathan gedachte ihm die Sache lockender zu machen, er hatte Bestellungen in großer Menge gesammelt und ging hinaus, um aus einem Versteck die Liste zu holen. Scholte lief in dem kleinen Raum herum, stand dann vor den Hausierwaren still, die auf einem Bort zusammengepackt lagen, seinem Ordnungssinne gefiel es nicht, daß ein Pack Zwirn etwas vorstand, er wollte ihn zurechtschieben und wurde nicht damit fertig, ungeduldig riß er ihn heraus und sah, daß ein Zettel darin steckte. Ahnungslos nahm er ihn und las: „Le capitaine Arolles à Wismar atteste à monsieur Nathan de Gadebusch, qu’il est un loyal ami des Français.“ Datiert aus einem der letzten Tage. Scholle las den Zettel noch einmal und steckte ihn wieder an seinen Platz, pfiff durch die Zähne und ließ seine Finger knacken. Seine Erregung konnte er vor dem zurückkehrenden Nathan nicht verbergen, und da er fürchtete, sich bei längerem Bleiben zu verraten, so brach er ab und trabte davon.
Nathan warf einen raschen Blick auf seine Zwirnbündel und überzeugte sich, daß dort alles in Ordnung war, dann schalt er hinter Schotte her. „Pfui, was will der Mann? warum hat der Mann den meschanten Zug im Gesicht? Ist er geworden meschugge? Dreihundert Prozent, und der Mann will nicht machen das Geschäst? Will ich ihm gönnen das Profitchen, und er will nicht? Ich weiß, was er will, heiraten will er, pfui, pfui, der Nathan sagt, er soll nicht heiraten, er soll frei bleiben für das Geschäft. Und der Nathan weiß, was er weiß.“ Er rieb sich die Hände und war anscheinend sehr gewiß, daß er doch noch seinen Willen kriegen würde.
Es vergingen manche Wochen des Herbstes unter den Arbeiten zur Wiederherstellung des Hauses rasch, einzelne Möbel, die zerschlagen waren, ließen sich leimen, für die fehlenden sorgte Scholte bereitwilligst durch Vorschuß, auch arbeiteten die beiden Eheleute sehr einträchtig und kräftig mit, und wenn auch Eva nicht die schwereren Lasten zu heben vermochte, verstand sie doch durch allerlei flinke Handreichung tüchtige Dienste zu leisten. So konnte das Haus endlich bezogen werden, und die Familie war wieder unter eigenem Obdach. Das wies sich als sehr wertvoll aus, denn das Wetter wurde schon im Oktober recht kalt, und bald setzte sogar harter Frost ein, wie ihn so früh noch niemand erfahren.
Ollhöft hatte viel Arbeit, das Land war voll von Strolchen, die durch die Kälte umgetrieben wurden, die Unsicherheit mehrte sich allerorten, Klagen über Mordanfälle liefen oft ein, man sagte von organisierten Banden, die teils durch entlaufene Soldaten, teils durch allerlei zugezogenes Gesindel, das man anderswo vertrieben hatte, gebildet wurden. Da sollten die Torwärter strenge Aufsicht führen und keinen in die Stadt lassen, der sich nicht gehörig ausweisen konnte. Aber dem Wärter des Lübschen Tores wurde die Amtsführung jetzt besonders schwer, denn ihn verlangte darnach, von einem, der vor den Franzosen in die Ferne geflüchtet war, zu hören.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!