- 04 - „Wärst du damals um Rat zu mir gekommen, so hätte ich weiter nichts tun können, als mit dir beten. ...

„Wärst du damals um Rat zu mir gekommen, so hätte ich weiter nichts tun können, als mit dir beten. Alles andere lag dann allein auf dir. Aber darum kannst du auch nicht erwarten, daß irgend ein anderer Mensch dich hernach ganz versteht und begreift. Ich würde zum Beispiel sagen, daß eines Weibes Ehre, und wäre es die einer schlichten Frau von der Straße, so hoch steht, daß sie niemals als Opfer für irgendetwas gefordert werden kann, müßte ein Mann, müßten zehn Männer vielleicht darum sterben, niemals dürfte ein Weib ihr höchstes Gut hergeben, auch wenn sie alte damit retten könnte. Nächst der Hoffnung auf die Seligkeit bildet die Ehre die Grundlage eines Menschenlebens. Kein Soldat darf sich feige zeigen, kein Mann sein Ehrenwort brechen, um die Geliebte zu retten. Ein Weib kann wohl für den, den sie liebt, sterben, aber niemals sich entehren lassen. Tut ein reines Mädchen es doch, so würde ich sagen, daß es fehlgegangen, aber in Hochherzigkeit und Opferwilligkeit, die wir Frauen eigentlich zuerst würdigen müßten, die wir zugleich am besten wissen, daß die Verirrung durch das ganze Leben hin zu büßen ist, und daß erst im Tode Befreiung gefunden wird. Unsere Frauen hier bleiben freilich bei dem kurzen Entscheid stehen, daß die freiwillige Dahingabe des höchsten Frauengutes nur Schande bringt.“
„Ich auch,“ sagte Eva, „ich hatte darum auch das Messer bei mir, das mir mein Vater gegeben hatte.“
„Ein Messer, um den Oberst zu erstechen?“ fragte die alte Frau überrascht.
„Oder mich! ich weiß nicht, was geschehen wäre, ob er oder ich. Aber da sah ich das Fenster und sprang hinaus.“
Die Bürgermeisterin faßte Eva sanft und bog sie zurück, so daß sie ihr in das Gesicht blicken konnte. Kindliche Augen sahen sie vertrauensvoll an. Allmählich breitete sich ein glückliches, schönes Lächeln über die Züge der forschenden Frau.
„Da rede ich und rede ich und hätte eigentlich von Aufang an tun müssen, was ich jetzt tue.“ Sie zog Eva empor und küßte sie herzlich. „Über das Geschwätz der Weiber wirst du dich wegsetzen, die reden noch zwei Wochen so, und dann kommt etwas anderes dran.“
„Ja,“ sagte Eva, „das habe ich würdigen gelernt. Aber meine Eltern sitzen zu Hause gebeugt und quälen sich für mich und für sich.
„Deine Mutter auch? und ist doch eine so starke Frau?“
„Ja, aber hier findet sie ihre Grenze, denn sie hat mich zu lieb.“
„Schick sie mir her, Kind, wir Frauen müssen in dieser Zeit doppelt fest zueinander halten, wo die Männer durch Arbeit für das Gemeinwesen und den Kampf mit der Not ganz in Anspruch genommen sind. Dein Vater muß gerade in diesen Kampf hinein, das Stilliegen ist seine Qual, mein Mann soll ihm Scholte aus den Leib schicken, der richtet sonst in seiner Rastlosigkeit wieder neue Dummheiten an. Und du, Kind, du kommst immer zu mir, wie heute, wenn du etwas auf dem Herzen halt, mit dem du nicht allein und mit Hilfe deiner Eltern fertig werden kannst? Mir ist die Nähe deiner frischen Jugend eine Wohltat.“ Die edle Frau wußte sofort die richtigen Heilmittel zu finden und sandte, trotzdem sie in ihren Lehnstuhl gebannt war, das Leben von sich aus.
Scholte erhielt durch den Bürgermeister die Nachricht, daß man hoffen dürfte, Gellerts Schaden wenigstens zu zwei Drittel aus der Sublevationskasse zu ersetzen, nur daß das noch einige Zeit dauern könnte. Aber dem Wundarzte genügte die Sache, er begann zu traben und schleppte den Schlachtermeister in die Trümmer des Hauses; trotz dessen Widerstrebens kroch er mit ihm alles durch, lobte die alten eichenen Ständer, entdeckte, daß die Mauern sich rasch ausbessern ließen - pah, das war eine Kleinigkeit, zum Winter alles wieder instandzusetzen. Dachsteine mußten auswärts gekauft werden, die waren in Gadebusch augenblicklich nicht zu haben, die paar fehlenden Sparren könnte Gellert selbst annageln, also nur nicht herumhocken, sondern selbst Hand anlegen. Der Schlachter halte Bedenken wegen der hohen Kosten, die am Ende herauskommen müßten, da wurde Scholte ungeduldig. „Ach was, so rede du noch, wozu habe ich denn das Geld? Mich prickelt es immer vor Verlangen, dem Bonaparte Streiche zu spielen, obgleich er so protzig tut, darum bauen wir das Haus gerade dem Bonaparte zum Trotz, da zieht ihr ein und habt euch alle drei.“
Zuweilen machte Scholte, wenn er so flink die Treppen herunterkam, einen Seitensprung zu Mademoiselle Clothilde, erkundigte sich nach Fräulein Evas Befinden, schwatzte und lachte, wenn er sie sah. Da hing eine Guitarre an der Wand, die hatte er einst gern gespielt in seinen jüngeren Jahren. Mademoiselle reichte sie ihm hin und sagte: „Ein rechter Mann bleibt immer jung.“ Scholte war wirklich etwas verlegen, weil Eva ihn erwartungsvoll ansah, aber er überwand das und griff einige Akkorde, es ging noch, nun sah er die beiden Frauen lustig und listig an, begann mit einem ganz hübschen Tenor ein Schelmenlied zu singen und klimperte erträglich dazu. Ihn lohnte ein lebhafter Beifall, und glücklich lachend trabte er davon.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!