- 14 - Dann schlug der Trommler seinen Marsch, die Trompeten riefen, das Regiment sammelte sich und zog ...

Dann schlug der Trommler seinen Marsch, die Trompeten riefen, das Regiment sammelte sich und zog schwatzend und lachend und höhnend von dannen.
Als Eva gegen Abend nach Hause kam, stieß sie auf die verwüstete Stätte und irrte zwischen den Trümmern herum. Sie konnte nicht jammern, nicht einmal mehr weinen, nur immer wieder suchen nach denen, die für alle Liebe einen so fürchterlichen Lohn geerntet hatten. Noch hatte kein Nachbar sich mit dem Hause zu befassen gewagt in Sorge, den Franzosen künftig verraten zu werden, nur aus einem Bodenfenster rief ihr jemand zu, wo sie die Eltern finden könnte.
Eva hatte kaum noch die Kraft die Treppe hinaufzusteigen, sie wankte in die Stube und fiel wortlos ihrer Mutter zu Füßen. Die zitterte am ganzen Leibe, aber sie hob sie auf, zog sie auf ihren Schoß und streichelte sie zart und liebevoll; da sie merkte, daß des Mädchens Glieder schlaff wurden, trug sie es mit fester Haltung an das Lager, das der Rektor ihrem Manne eingeräumt hatte, und sagte: „Da, Gellert! das erste Mal habe ich sie dir bringen können, da kam sie von der Straße. Und nun bringe ich sie wieder. Woher sie kommt, weiß ich nicht, aber ich sage ?Gesegnet sei ihre Liebe, und gelobt sei Gott.?“
Gellert richtete sich mühsam auf, er konnte kaum unter dem Verbande hervorsehen, aber es zuckte mächtig in seinem Gesicht, als er die schlaffe Hand faßte. „Nicht mal ‘ne Wurst kann ich ihr mehr geben, so arm sind wir geworden. Aber, Mutter, wir haben sie wieder, das macht alles gut. So, und nun will ich wieder aufstehen, denn das hat mir gefehlt.“
Da mischte sich ein dritter ein, der zur Seite getreten war. „Nichts davon, mein lieber Freund,“ sagte der Wundarzt Scholte, „zum Aufstehen ist noch immer Zeit. Was die Armut anlangt, na, du wirst am Ende noch in einer Ecke da was weggestaut haben.“
„Nichts,“ sagte Frau Gellert, „sie haben auch das gefunden, ich war schon da. Wir haben nichts mehr, als dieses Kind und unsern Gott, wir wissen nicht einmal, wo wir Obdach finden sollen, die Leute gehen in weitem Bogen um uns weg.“
„Sie sagen das nicht im Ernst,“ versetzte Trautmann schlicht. „Dreißig Jahre haben wir zusammengehalten, und so ein französischer Unhold sollte uns trennen?“
„Bin ich nicht auch noch da?“ rief Scholte erregt und schnob an seiner Nase und rieb und wand seine Finger, daß sie knackten, „es wird sich alles schon wieder einrichten lassen. Nur - wo ist unser Matthies?“
„Der ist entkommen,“ sagte Eva, „ich habe ihn weggebracht, und der Gerichtsrat Fromm hat ihn verraten.“
Hei, da fuhr der kleine Mann auf, seine Ohren wurden spitz, zehn neue Falten schienen plötzlich aus seinen Augenwinkeln zu schießen, er witterte förmlich wie ein Spürhund, und im Handumdrehen, durch zwei, drei Fragen wußte er alles, was mit Matthies geschehen war. Einige Male trabte er in der Stube auf und ab, reckte sich dann und klopfte pfiffig dem Rektor auf die Schulter, nickte ihm zu und flüsterte: „Dreimal, Herr Rektor, was sage ich, ein dutzendmal, hundertmal, tausendmal, sein ganzes Leben hindurch hat der nichts anderes getan, als spioniert und verraten, aber,“ nun hatte er plötzlich Evas Hand gefaßt und drückte sie kräftig, „er hat unter sich ein Pulverfaß und weiß es nicht, aber ich weiß es, und Sie haben eben eine Lunte angelegt, und ich, ich will sie anzünden, bums! das gibt einen Krach, als ob mal wieder ‘n französisches Schiff in die Luft fliegt.“ Er rieb seine Hände. „Möchte nur wissen, ob er mit heiler Haut davonkommt. Wenn Matthies hier wäre, dann gewiß nicht, der färbte ihn wohl noch mit anderem Blauholz, was, Herr Rektor? Und nun - und nun -“
Er sprang in gewaltiger Aufregung hin und her und suchte seinen Hut, als er ihn nicht gleich fand, rannte er geradezu barhäuptig davon, und der Rektor, der ihm den Hut nachtrug, traf ihn, als er mit einem Bündel Papiere in der Hand aus seinem Hause kam.
„Schön, schön, geben Sie her,“ Scholte setzte seinen Hut auf, nahm ihn aber sofort wieder höflich ab. „Guten Tag, Herr Gerichtsrat,“ sagte er, denn sein flinkes Auge hatte gesehen, daß Fromm eben um die Ecke kam. „Matthies läßt grüßen, er ist ganz heil vom Güstower Werder entkommen, das freut Sie doch? Sehen Sie ja zu Hause nach, ob da nicht ein Pulverfaß liegt, die Lunte ist schon angelegt, o Himmel, wenn die losgeht und der Dicke in die Luft fliegt!“ Er rieb sich die Hände wieder, denn er sah, daß Fromm ganz kreideweiß im Gesicht geworden war. „Nun kommen Sie mit, Herr Rektor, zum Bürgermeister, wir wollen mal sehen, ob wir nicht die Lunte etwas länger machen müssen, so daß sie vielleicht nach Schwerin reicht. Da geht er hin und taumelt ordentlich, und bald lernt er fliegen.“
Der Gerichtsrat war sofort umgekehrt, seine Knie zitterten in der Tat, um ihn wurde es einen Augenblick dunkel, ader er stützte sich und richtete sich wieder auf. Scheu sah er sein Haus von draußen an, ging in weitem Bogen herum und fand dann den Gerichtsdiener, der gerade zu ihm gehen wollte, der kam ihm recht. „Hör er mal, mein Lieber,“ sagte er, „da hat man mir gedroht, man will mich in die Luft sprengen. Seh er nach, ob da irgendwo ein Pulverfaß im Hause verborgen ist, hier sind die Schlüssel.“
„Alle Schlüssel, Herr Gerichtsrat?“ fragte der Diener, „überall soll ich nachsehen?“
„Überall, denn wenn ein Unglück geschieht, ist er dafür verantwortlich, hört er wohl? er ist gewarnt, er findet mich im Gasthaus.“
Der Mann ging nicht weit, er stieg, als er den Gerichtsrat um die Ecke verschwinden sah, stracks in den Weinkeller und kramte verschiedene Flaschen beiseite unter eine Kellerluke, so daß er sie in der Nacht bequem von außen mit der Hand erreichen konnte, trank dehaglich eine Flasche aus und meldete darauf, daß er nichts Verdächtiges finden könnte. Nun wagte der Gerichtsrat sich nach Hause. Je näher er kam, um so zögernder wurden seine Schritte. Wenn nun doch - - - „Guten Abend,“ sagte der Knecht des Posthalters, der vorüberfuhr.
„Wohin sollst du noch so spät fahren?“ fragte Fromm.
„Extrapost! Der Bürgermeister will eilig nach Schwerin, heißt es, das geht die Nacht durch, morgen früh wieder hier.“
Abermals fühlte Fromm, daß seine Glieber schlaff wurden, er mußte sich an die Mauer lehnen und sich so gleichsam entlangfühlen. War er betrnnken? es drehte sich vor ihm alles. Nein, der alte Schwindel war’s, der ging vorüber, das wußte er. Er schloß sorgsam die Haustür zu, drinnen setzte er sich. Was bedeutete das nur? der Wundarzt so frech? und der Bürgermeister so eilig? und Matthies entkommen?
Matthies war ein fürchterlicher Mensch, in seiner Rachsucht gar nicht zu berechnen; und war da nicht der alte Trautmann mit Scholte gegangen? der alte Anbiederer und Heuchler mit dem Pascher zusammen? und in der Richtung nach dem Bürgermeister zu?
Pah, wegen Matthies konnte und durfte ihm niemand ein böses Wort sagen, der nicht zugleich den großen Kaiser beleidigen wollte. Aber das Pulverfaß? wenn Matthies - - o Gott, ob sich da nicht etwas unten regte? Es raschelte so an der Außenwand. - Fromm fuhr auf und wollte zur Tür hinaus; doch nein, Matthies durfte sich gewiß hier nicht wieder sehen lassen, so lange die Gegend voll Franzosen war, und wenn auch - lächerlich - ein Pulverfaß konnte er in ganz Gadebusch nicht finden. Was sollte dann die Rede von Scholte? Wenn der seiner Sache nicht ganz sicher gewesen, so hätte er nicht so frech gewinkt.
Herr Gott, da lief jemand draußen, warum hatte der es so eilig wegzukommen? - Nein, es war der Nachtwächter. - Was für eine entsetzliche Nacht!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!