- 12 - Sie wandte sich ab und atmete auf, denn ihr war da ja unwillkürlich die letzte Rettung vor Schmach und ...

Sie wandte sich ab und atmete auf, denn ihr war da ja unwillkürlich die letzte Rettung vor Schmach und Schande aufgetan. Was machte es ihr, daß er draußen den Riegel vor die Tür schob. Da rief er giftig durch die Spalte: „Nein, Sie bleiben hier, aber den Matthies, den Sie hätten retten können, verderben Sie, den sollen die Franzosen sich vom Güstower Werder holen.“
Er überzeugte sich, daß alles am Verschlage festsaß, die Bretter waren nicht wurmstichig, das Eisen war nicht vom Rost zerfressen, einen Ausweg gab es hier nicht. Flugs machte er sich auf die Straße, rief den ersten Soldaten an und hetzte ihn mit seiner Nachricht davon.
Eva war durch die Ereignisse der letzten Zeit so mitgenommen, daß ihr flinker Geist zu versagen drohte. Sie preßte die Hände vor den Kops; den Güstower Werder kannte sie aus den Streifzügen, die sie als Kind mit Matthies unternommen hatte, dahin führte eine Fahrstraße von einer und ein Fußpfad von der andern Seite durch die Wiesen; wenn die Franzosen auf beiden Wegen anrückten, konnten sie die paar Häuser dort mit Leichtigkeit absperren, ein Entkommen gab es dann nicht.
Sie lauschte vorsichtig, draußen war alles still in der Morgenfrühe - doch horch, da begannen Männer zu laufen, hörte sie nicht die Tritte? hörte sie nicht rasche Befehle?
In Angst fühlte sie nach dem Brett, o Gott, es war fest, nein, Hinnick hatte es nur in seiner Fürsorge kräftig eingeklemmt, und als sie rüttelte, ließ es sich verschieben. Sie spähte durch die Lücke und huschte dann hinaus und hinunter zum See. Wiederholt bückte sie sich geschmeidig hinter den Büschen und Gestrüpp, wiederholt trat sie entschlossen tief in den weichen Grund und atmete auf, als sie das Bruchholz am Nordende erreicht hatte. Nun durch die Buchen, nach raschem Ausblick quer über den Weg wieder durch Holz, dann im Bogen um die Abdeckerei herum, endlich stand sie an den Wiesen, durch die frei und ungedeckt die Fahrstraße führte.
Noch war nach Gadebusch hin alles still, halt, da bewegte sich etwas auf dem Wege, da blitzte es in den Strahlen der Morgensonne auf Waffen, das waren Reiter, die herankamen - eine ganze Schar, sie wußte, wohin die wollten, nun galt es zu laufen, man mußte sie von drüben bald entdecken und Verdacht schöpfen, und wenn die Pferde jagten -
Sie eilte vorwärts, überall war es sonst noch still, nur einige wachsame Kibitze fahren auf und umkreisten sie, und dann hörte sie deutlich die Huftritte galoppierender Rosse. Nun war sie dicht an den beiden Gehöften - aber wo war der Gesuchte? Sie schrie laut, sie schrie schon von fernem „Pascholl, pascholl!“ Da hob sich aus einer alten Streumiete ein Kopf, Hinnick sprang auf, Matthies folgte. „Sie kommen, sie kommen!“ schrie Eva.
Überall ringsum waren Wiesen, auf dem Fußpfade zu entkommen war nicht möglich, jagende Reiter mussten sie dort unbedingt einholen.
Also quer durch die Wiesen auf den Neddersee zu, vielleicht daß es dort gelang, im Weidengestrüpp und Schilf sich zu verbergen, im Notfall watete man bis an den Mund hinein oder schwamm querdurch - doch nein, Eva war ja dabei.
Die reitenden Gendarmen hatten sie längst entdeckt und sofort als geübte Verfolger ihren Plan gemacht, einige jagten rechts ab, die andern kamen gerade heran, denn links lag der morastige Einfluß der Radegast. Die drei wehrlosen Flüchtlinge suchten vergebens am Ufer Deckung, da rief aus dem Schilfe jemand leise: „Hier heran, hier ist der Kahn.“ Der Fischer, der früh aufgestanden war, um nach seinen Netzen zu sehen, nahm sie auf, er selbst trat in das Wasser und hockte nieder. „Ihr könnt ihn doch regieren?“ Damit verschwand er.
Matthies und Hinnick ergriffen die Ruder und trieben mit raschen Stößen den Kahn schräg über den See. Aber die Reiter schwenkten sofort, suchten eine Weile hin- und herreitend, fanden eine Furt in der Radegast und festen Grund und jagten rascher vorwärts, als man rudern konnte. So mußten die Flüchtlinge die Richtung ändern und nahmen die Länge des Sees. Das Wasser zischte vor dem Kahn aus, einer der Verfolger schoß, aber die Kugel flog vorüber, die andern waren genötigt am Ausfluß der Radegast sich einen neuen Übergang zu suchen, das machte Schwierigkeiten, die Pferde sanken wiederholt ein; der Kahn stieß ans Ufer. Wieder ein Schuß! Die drei liefen über den Acker. Da kam gerade gemütlich pfeifend der fleißige Vorknecht aus Klein-Hundorf mit seinen zwei Pferden heran, um zu pflügen.
„Hilf uns,“ rief ihn Matthies an, „die französischen Gendarmen sind hinter uns, gib uns die Pferde.“
„Der Satan soll sie holen,“ rief der Knecht. Von drüben kamen drohende Zurufe, ein Schuß, sie hatten den Übergang gefunden. „Kriegt mich bei der Gurgel und nehmt sie euch.“ Der Knecht setzte sich scheinbar zur Wehr und wurde niedergeworfen, Hinnick und Matthies waren mit einem Satz auf dem Rücken der Pferde. „Nimm sie vor dich,“ sagte Matthies, „deins ist stärker.“
Sie hatten den Vorteil, daß sie die Gegend genau kannten. Langgestreckt zog sich an der Radegast ein Kiefernbestand hin, der zuweilen bis an den vielgekrümmten Flußlauf stieß, hier und da war Bruchholz eingesprengt, das Ganze war so dicht, daß Reiter nicht hindurchdringen konnten. Auf einem alten Dohnensteige trabten sie eine Weile dahin, dann ließen sie die Pferde laufen in der Annahme, daß sie ihren Heimweg schon allein finden würden, und nachdem sie eine Weile durch das Dickicht gedrungen waren, machten sie in einem sichern Versteck halt und horchten.
Sie hörten Zurufe, die Verfolger waren offenbar auf den Hufspuren bis zum Dohnensteig gedrungen. War noch einer oder der andere im Eifer abgestiegen? Hier und da Stimmen, einmal ganz nah, man hörte das Krachen der Zweige unter den Tritten, das Sackerieren und Fudern wegen des trockenen Untergezweigs, dann klang es ferner und ferner, die Rufe verhallten, und alles wurde wieder ruhig. Sie warteten besonnen noch lautlos eine Weile, weil vielleicht die Schlauheit der Verfolger ihnen einen Hinterhalt legen konnte. Aber alles blieb still, nur ein Hase kam langsam gehoppelt, sah sie verdutzt an und machte sich dann mit schneller Wendung davon, selbst der Häher, der anfangs offenbar die Franzosen mit seinem Geschrei begleitet hatte, verstummte.
Matthies stand auf. „Wir gehen dort hinaus,“ sagte er kurz, „du wartest am besten hier noch ein paar Stunden, dann kannst du bequem über die Landmühle nach Gadebusch zurückkehren.“
„Matthies, nimm mich mit,“ bat Eva leise.
„Nein,“ entschied er scharf, „wir haben nichts mehr miteinander zu schaffen.“
„Matthies,“ sagte Eva weich und innig, „hör mich doch an, ich beschwöre dich, ich bin ja dem Oberst weggelaufen - ich -“
Matthies lachte hart. „Lüge du nur zu, du hast ja Zeit zum Nachdenken gehabt.“
„Ich bin aus dem Fenster gesprungen,“ rief sie wie eine Verwundete.
Er aber sagte rauh: „Warum nicht auch durch den Schornstein geklettert? Was warten wir, laß uns gehen.“
„Um Gottes willen, so glaube mir doch, Matthies,“ schrie sie verzweifelt auf, „ich sprach die Wahrheit, der Oberst hat mich nicht angerührt.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!