- 11 - Eva hatte bei dem gewagten Sprung keinen Gedanken gefaßt, aber frühere Übung und die Geschmeidigkeit ...

Eva hatte bei dem gewagten Sprung keinen Gedanken gefaßt, aber frühere Übung und die Geschmeidigkeit ihres ganzen Leibes vereinigten sich, um sie ungeschädigt auf dem harten Boden der Tüsche anlangen zu lassen. Sofort schnellte sie empor, und ohne weiter zu überlegen, lief sie davon. Ins Haus zurück durfte sie nicht, zu keinem Bekannten die Zuflucht nehmen, um nicht noch mehr zu gefährden. Da fuhr ihr die Erinnerung an ihr altes Versteck durch den Sinn, auf den bekannten Schleichwegen hinter den Häusern und durch die Gärten huschte sie in der mondhellen Nacht dahin, so leicht und geräuschlos, daß ein Begegnender sie für eine Geistererscheinung hätte halten können. Nun war sie an dem Speicher hinter dem Hause des Gerichtsrats; wenn es sich nur jetzt so sügte, daß das Brett nicht durch unglücklichen Zusall inzwischen befestigt war - sie tastete, es hing locker, flugs schob sie es beiseite und schlüpfte hinein. Ein Schreckensruf entfuhr ihr, drinnen war jemand. Sie sah in den Mondstrahlen, die durch die Fugen fielen, deutlich eine Gestalt. Matthies! Sie vergaß alles und jauchzte laut und sprang aus den Geliebten zu.
Fast aber wäre sie gefallen, denn Matthies war ihr hastig ausgewichen. „Du?“ sagte er heftig. „Du wagst es noch zu kommen? Bleib mir vom Leibe!“
„Matthies! Mein Matthies!“ So voll Liebe und voll Entzücken und voll Glück klang ihre Stimme, aber er hörte von dem allen nichts.
„Nenne mich nicht dein, ich will’s nicht hören, ich bin’s nicht. O pfui, pfui!“
Sie stand ganz starr und sah ihn entsetzt an, es kam ihre alte Not, daß sie in größter Herzensbedrängnis nicht reden konnte, nur die Arme breitete sie gegen ihn aus, und so ging sie, nein, taumelte sie einige Schritte vorwärts.
„Laß mich!“ zischte er, „wage es nicht mich anzurühren. Geh du wieder zu deinem Franzosen, und wenn er deiner überdrüssig ist, dann such dir andere, und wenn sie dann auf der Straße hinter dir herrufen -“
Sie fiel an die Wand. „O weh,“ hauchte sie, „das war nicht gut.“
Er lachte greulich. „Das war nicht gut? Merkst du das jetzt auch, da es zu spät ist? Mit deiner Schande mich erkaufen? O pfui! Mich ekelt’s vor meinem eigenen Leben noch mehr, als vor dir. Mag kommen, was will, ich bleibe nicht mit dir in einem Raum. Zurück - zurück -du - o du -“
Er war hinausgesprungen, und Eva war allein. Sie sank an dem Platze, wo sie gestanden, nieder und lag gegen die Wand gelehnt, nur zuweilen erzitterte ihr Körper. So verging eine lange Zeit. Endlich bemächtigte sich ihrer nach der furchtbaren Aufregung gänzliche Erschlaffung, und sie schlief ein.
In der Frühe des nächsten Tages erwachte sie davon, daß jemand draußen vorsichtig an die Bretter klopfte, eine Stimme flüsterte ihren Namen, sie hörte, daß es Hinnick war, plötzlich fiel ihr ganzes Elend wieder auf sie, sie konnte nicht antworten, nur leise wimmern.
„Eva, weine nicht, sie haben ihn nicht, er ist glücklich hinüber zum Güstower Werder, da liegen keine Franzosen.“
„Bring meinen Eltern Nachricht, daß ich sicher untergebracht bin,“ bat Eva, er sagte es zu und verschwand, denn es war ihm, als hörte er irgendwo ein Geräusch.
Aus einem Winkel des Hofes ober löste sich eine kleine dicke Gestalt, der Gerichtsrat stand da und sagte vor sich hin: „Eva? - Güstower Werder? - Was heißt das, und wie kommt die hierher?“ Er war lange nicht in dem Speicher gewesen, nur altes Gerümpel stand da, und an diesem Teile der Wand, das wußte er wohl, war ein Verschlag, der ganz leer war und durch einen Riegel verschlossen werden konnte. Eva war drinnen? Und auf dem Güstower Werder? Natürlich Matthies war da, den Patrouillen im ganzen Ort suchten, sie hatten ihn eben erst in der Frühe angehalten, als er vom Spiel mit den französischen Offizieren aus dem Gasthaus heimgekehrt war, und gleich darauf war die verdächtige Gestalt an ihm vorbeigehuscht, der er gefolgt war. Matthies war das nicht gewesen, und wie kam Eva hierher? Schlau, schlau war sie immer und nun war sie drinnen, war natürlich allein, zu fürchten hatte er nichts.
Leise schlich er in den Speicher, wahrhaftig, der Riegel war nicht vorgeschoben.
Eva war nach der Nachricht von dem glücklichen Entkommen ein wenig von ihrer Not befreit, sie erwog den eckigen, trotzigen Sinn des Geliebten und dachte schon daran, daß sie ihn von ihrer Unschuld mit Leichtigkeit überzeugen könnte, sie mußten beide nur warten, bis die Franzosen fort waren. So stand sie auf und suchte eine Stelle, wo sie in etwas erträglicher Lage die Zeit verbringen könnte. Da glitt der Gerichtsrat leise durch die Tür und stand selbst überrascht vor ihr, faßte sich aber bald.
„Ei, ei,“ sagte er, „das ist ja ein unvermuteter Besuch bei mir und das in so stiller Zeit? Da könnte ich am Ende hier ganz gut nachholen, was ich anderswo immer vergeblich versucht habe.“
„Ich muß es schon dulden,“ versetzte Eva, „ich bin hier in unerlaubter Weise eingedrungen.“
„Das macht nichts, das macht nichts, Fräulein Eva, Ihnen steht ja mein ganzes Haus offen, sobald Sie nur wollen, aber Sie wichen mir immer aus, wenn ich es sagen wollte.“
„Jetzt kann ich nicht anders, ich muß es anhören,“ sagte Eva gefaßt.
„Das freut mich ganz gewiß, Sie glauben nicht, wie es mich freut. Machen Sie mich heute noch zum glücklichsten aller Gadebuscher und sagen mir nur das eine, daß Sie meine Frau werden wollen. Sehen Sie, ich bin ein alter Junggeselle, die Abende sind mir unheimlich einsam geworden. Wie schön wäre es, wenn Sie mir die versüßen wollten.“
„Ich höre weiter,“ sagte Eva gelassen.
„Ich gebe zu, es ist hier eigentlich nicht der Ort davon zu reden, aber wollen Sie es mir verdenken, wenn ich die Gelegenheit benutze?“
„Das tu ich freilich,“ versetzte Eva.
„O, o,“ wehrte er ab, „Sie sind so feinfühlend. Ich bin es ja auch, ja, aber -“ ihn verwirrte ihre Art. „Ich bin ein offener Mann, Eva, ich bin eine treue, ehrliche Haut, Sie kennen mich, sagen Sie doch nur etwas.“
„Ich sprach ja schon.“
„So, so - ja, ja hm, hm - was sagte ich doch - ich bin ein Mann in gesicherter Stellung und kann eine Frau ernähren, ich sage gut, reichlich ernähren - -“
„Futtern also, fahren Sie nur fort.“
„Hegen und pflegen und reich machen und -“
„Kaufen? Für wie viel doch? Sind das wirklich fünfzigtausend?“
„Um Gottes willen, wie Sie so sprechen können, das haben Sie alles von Matthies gelernt, den gottlosen Mund will ich dem aber endlich einmal stopfen, mit dem er alles begeifert.“
„Ach, Herr Gerichtsrat, Sie sollten doch wissen, daß er zuweilen auch Schönfärberei treiben kann. Daß ich es kurz sage, Sie wollen meine bedrängte Lage hier mißbrauchen, um mir ein Verlöbnis abzugewinnen. Das sieht Ihnen ähnlich, und ich sage es offen, um allem ein Ende zu machen, ich verachte Sie. Ich, Herr Gerichtsrat, bin verlobt, und mein Geliebter ist mein Stolz. Nun lassen Sie mich allein oder jagen Sie mich davon. Rufen Sie die Franzosen über mich, bis zum See sind nur wenige Schritte, und der See ist tief.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!