- 05 - Die Hausfrau eilte in ihrer Unruhe in die Küche, wo mittlerweile schon aufgeräumt wurde. ...

Die Hausfrau eilte in ihrer Unruhe in die Küche, wo mittlerweile schon aufgeräumt wurde. „Könnten wir nur irgendwie die Gedanken ablenken,“ seufzte sie. „Du glaubst nicht, welche entsetzliche Stimmung herrscht, der Wein macht es immer schlimmer, und mein Mann will durchaus nicht, daß getanzt wird.“
„Ich weiß etwas,“ rief Eva schnell, „ich kann allein tanzen, das kann er dann nicht mehr verbieten, wenn es unvermittelt kommt.“
„Wenn das nur gut aufgenommen wird,“ sagte die Hausfrau bedenklich überlegend.
„Es sieht aus wie eine Gefälligkeit dieses Hauses, und die Franzosen will ich schon herumkriegen, die sollen’s anerkennen.“
„Du kannst es freilich, aber ich fürchte -“
„Ei, ich fürchte mich nicht im geringsten,“ lachte Eva. „Im Nu bin ich im Anzug, ein passendes Kleid habe ich mitgebracht. Wenn der alte Kutscher Ihnen diese Schale mit Eingemachtem reicht, dann setzten Sie sich flink an das Klavier und spielen das Menuett, das wir einmal übten, damals wußten wir freilich nicht, wozu der Scherz noch gut sein sollte.“
Die Hausfrau ging zurück, sie war durch den Vorschlag wohl gewonnen, aber nicht ganz beruhigt, zumal sie nicht vorher erfahren konnte und wollte, wie ihr Mann die Sache aufnehmen würde.
In der Gesellschaft war es eher noch schlimmer geworden. Einige Herren hatten angefangen, Mademoiselle Clothilde scherzhaft den Hof zu machen, die nahm die Huldigung als ernst gemeint hin und kehrte alsbald eine Hofdame des ancien régime heraus, sie wollte ihre Überlegenheit in den höfischen Formen vor diesen Emporkömmlingen zeigen, deren Lagerton sie schon verdrossen hatte, zugleich ließ sie doch ihre Eitelkeit durchblicken und verteilte ihre freundlichen Blicke hinter ihrem Fächer heraus gar nicht sparsam. Das reizte die Jugend noch mehr zu spöttischer Huldigung, der Hausherr ärgerte sich sichtlich, daß die Französin so umdrängt und lächerlich gemacht wurde. Die Luft war aufs äußerste gespannt, jeden Augenblick konnte das Unwetter ausbrechen, da schlug die Hausfrau einige muntere Akkorde an und begann einen Tanz zu spielen, und zur Türe herein glitt Eva.
Sie hatte ein leichtes großgeblümtes Kleid an, das gerade die Füße freiließ und in den halblaugen Ärmeln den Händen freie Bewegung gönnte, eine Schärpe war faltig statt des Gürtels umgebunden, der hübsche Spitzenkragen der Hausfrau um Nacken und Schultern geworfen und ein schlichter ländlicher Strohhut aufgesetzt, ganz als ob sie von einem Spaziergange käme. Und ganz in drolliger, verlegener Überraschung trippelte sie näher, faßte mit den Fingerspitzen ihr Kleid und machte einen Knix, wobei ihre Augen schelmisch nach allen Seiten leuchteten. Schon dieses Auftreten war so anmutig, daß es sofort alle bezauberte. Dann begann sie sich leicht, gleichsam unentschlossen zu wiegen, und nun tanzte sie, erst schüchtern, dann lebhafter, endlich mit vollendeter Kunst. Kein Schritt war berechnet, jede Bewegung zeigte gleichsam die völlige Harmlosigkeit eines Kindes, das am Tanze für sich selbst seine Freude hatte und an Zuschauende gar nicht dachte.
Gerade so nahmen alle sichtlich die Vorführung auf, auch hier brach sich die harmlose Freude am Schönen nach der ersten Überraschung Bahn, selbst der Gutsherr gestand es sich, daß Eva im rechten Augenblick für diese Gesellschaft das Rechte getroffen habe.
Nur zwei waren in dem Kreise, die wurden von anderer Stimmung beherrscht. Der Oberst Ladoucette hing gleichsam mit heißen Blicken an der feinen Gestalt, ein Glutstrom fuhr durch ihn hin, er hatte Mühe, seine Haltung zu bewahren, und Mademoiselle Clothilde war sichtlich verdrossen, daß ihre einstige Schülerin die Kunst, die sie ihr beigebracht hatte, gerade jetzt dazu anwandte, ihre schönsten Triumphe, die sie so lange entbehrt, zu durchbrechen. Sie sagte also mit einem Ton, der durch das Schweigen der anderen recht gelangweilt klang: „Recht schön, o ja, recht schön. Ich sah den Tanz einmal von der großen Guimard tanzen, auch nicht besser, aber die tanzte ihn auf einem Tisch.“
Eva hatte den Eindruck, den sie hervorgerufen, wohl bemerkt, und die Freude daran hatte sich ihrer allmählich bemeistert und sich zu einer Art Rausch gesteigert. Kaum hatte Mademoiselle Clothilde ihre mißgünstige Bemerkung gemacht, da war es, als wäre eine leichte Sylphe vom Boden auf einen Stuhl und von da auf den nächsten Tisch geflogen, und Eva tanzte nun auf dem schmalsten Platz anmutig weiter. Die Hausfrau merkte an der Bewegung, die durch die Zuschauer unwillkürlich lief daß etwas Besonderes hinter ihr vorgehen müßte, sie warf einen raschen Blick zurück, erschrak und ließ den Tanz nun rasch ausklingen.
Rauschender Beifall löste die frohe Spannung, der Oberst schnellte empor und bot Eva die Hand, um sie vom Tisch springen zu lassen, aber er fing die leichte Erscheinung auf, riß sie an sich und küßte sie heiß, Eva vermochte sich gar nicht zu wehren. Sofort stand der Hausherr ihr zur Seite.
„Herr Oberst,“ sagte er und legte seine Haud schützend dem Mädchen auf die Schulter, „es scheint, daß Sie im Lager verlernt haben, die Pflichten eines Gastes zu beachten, das Fräulein steht unter meinem Schutz.“
Der Oberst hatte sich gefaßt und entgegnete mit höflichem Verneigen: „Ja, mein Herr, ich habe mich und ich habe dieses Haus vergessen, alles verschwand vor der Zauberin. Aber ich bitte jetzt ab, legen Sie mir eine Buße auf, welche Sie wollen, mein Fräulein, ich will sie leisten, nur verzeihen Sie einem Soldaten, daß er sich einen Augenblick nicht beherrschen konnte.“ Während er so sprach, konnte er wohl seine Stimme lenken, aber seine Augen flammten auf Eva, so daß sie davor erschrak und in Verwirrung davon eilte. Rufe des Bedauerns begleiteten ihr Verschwinden, dann begann man über das Gesehene zu sprechen, der Bann war von den Gemütern genommen, denn der Oberst hatte ja seine verletzende Handlung sofort kavaliermäßig nach aller Ansicht ausgeglichen.
Die Hausfrau eilte Eva nach und traf sie weinend auf ihrem Zimmer. „Der Unverschämte!“ schluchzte sie zornig, „selbst der jüngste Leutnant hielt sich in achtungsvoller Entfernung.“
„Eva, Eva,“ rief die Hausfrau, „es ist ein schrecklicher Mensch, in dem lauert die Bestie. O Gott, wie soll ich dich vor ihm sichern, du mußt fort, so schnell es geht, man weiß nicht, wessen man sich bei ihm zu versehen hat.“
„Ja,“ sagte Eva, die sich rasch faßte, „ich glaube auch, es wäre das beste, ich machte mich heimlich davon. Aber was soll nur hier werden? wie wird die Küche besorgt?“
„Darauf kommt es jetzt nicht an, deine Sicherheit steht voran. Den Kutscher kann ich nicht missen beim Aufwarten, aber Johann soll Auftrag erhalten, sofort anzuspannen und dich nach Gadebusch zu fahren, gehen kannst du nicht, das ist zu unsicher, hier mußt du unter allen Umständen fort.“ Sie bestellte das Nötige und begab sich dann wieder zur Gesellschaft.
Der Oberst war ans Fenster getreten und starrte hinaus, in ihm flammte die einmal entfachte Leidenschaft, er bemühte sich sie zu bekämpfen, um sich nicht zu verraten, allerlei Anschläge schossen ihm durch den Sinn; da sah er, daß ein Wagen aus dem Schauer gezogen wurde, von den Anwesenden wollte niemand fahren, er erriet sosort den Zusammeuhang, und ohne sich lange zu besinnen, ging er hinaus, um seinem Burschen eine knappe scharfe Anweisung zu geben, dann trat er anscheinend gleichmütig wieder zur Gesellschaft zurück. Er sah bald, daß er das Richtige getroffen, denn Eva, die die Langsamkeit Johanns kannte, hatte sich zur Abreise möglichst schnell gerüstet und eilte nun über den Hof auf den Wagen zu. Der Hausherr, der durch seine Frau benachrichtigt war, beobachtete ihn gerade jetzt argwöhnisch, aber Ladoucette schien ganz verändert, es war, als sei auch von ihm der Bann gewichen, denn mit Lebhaftigkeit beteiligte er sich an dem Gespräch, das über die Tanzkunst weg auf das Theater und die Liebhaberei des Rempliner Grafen für die Bühne übergeglitten war.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!