- 04 - Aber die Offiziere erfuhren durch ihre Burschen von dem kleinen allerliebsten Fräulein, das mit überraschender ...

Aber die Offiziere erfuhren durch ihre Burschen von dem kleinen allerliebsten Fräulein, das mit überraschender Grazie und Beweglichkeit wie eine Französin das Küchenregiment führte, und kamen unter allerlei Vorwänden und mit höflichen Anliegen, draußen standen die Burschen und freuten sich, wenn sie mit einem roten Kopfe wieder abzogen. Und von den Offizieren erfuhr der Oberst bald Genaueres über das Küchenwunder.
Ladoucette war im kräftigen Mannesalter, einige tiefe Narben im Gesicht standen ihm gut; er hatte sich in den letzten zehn Jahren nur auf Schlachtfeldern bewegt, trotzdem verließ ihn nicht die vornehme Sitte, in die er von klein auf hineingewachsen war, aber in ihm lebte das Feuer eines Südfranzosen, und wenn er es auch zu bändigen gewohnt war, so flammten seine schwarzen Augen in dem schmalen schnurrbärtigen Gesicht alle Augenblicke, so oft sie auf die junge Hausfrau trafen. Die blieb stets kühl und sicher und bewegte sich mit so ruhiger weiblicher Würde unter den Fremden, daß jeder ihre Unnahbarkeit erkannte und gelten lassen mußte. Dem Obersten war es also nicht unwillkommen, daß seine Gedanken eine Ablenkung fanden, und als er Eva einmal auf der Treppe traf, griff er siegesgewiß zu.
Sie schrie nicht, aber sie biß, und zwar gleich so kräftig biß sie in die schmale feste Hand, daß diese loslassen mußte, der Oberst hatte hernach unter verdrießlichem Lachen längere Zeit zu kühlen. Das Erlebnis war rasch genug vorübergegangen, aber der Frauenkenner schnalzte doch in der Erinnerung für sich mit den heilen Fingern, sah dann aus dem Fenster auf das Treiben der Soldaten und merkte, daß seine Gedanken ganz andere Wege gingen.
Der Gutsherr hatte sich mit Höflichkeit gewaffnet und kam so erträglich mit den Fremden aus; sein kräftiger Schritt, der entschlossene Ton der Rede, sein Kopf mit der starken Nase und dem kurz gehaltenen Haar und den grauen festen Augen ließen indessen jedermann merken, daß er nicht gewohnt und gewillt sei, sich Ubergriffe bieten zu lassen. Mit seiner Jägerschlauheit spürte er bald, daß das Verhalten des Obersten ihm gegenüber von besonderen Absichten oder Plänen geleitet wurde, er war deswegen doppelt scharf auf der Hut, ließ es an nichts fehlen und bequemte sich sogar dazu, sein gewandtes Französisch herauszukehren, was sichtlich guten Eindruck auf die jüngeren Offiziere machte. Der Oberst blieb gegen ihn kühl abweisend und hochmütig, das verdroß ihn heftig. Nur auf das inständige Bitten seiner Frau, die in dem Verhalten Ladoucettes ein sich zusammenziehendes Unheil ahnte und in sich selbst und ihrer Zurückhaltung die Ursache suchte, ließ er sich herbei, mit dem Plane eines Balles zum Vorschein zu kommen. Das zündete wieder unter den jungen Offizieren, sie empfahlen dringend, die übrigen Kameraden des Regiments dazu einzuladen.
„Ich habe nur Sorge, daß es uns nicht gelingt, die nötige Anzahl der Damen zusammenzubringen,“ sagte der Gutsherr.
„Sind denn die Familien der Nachbarschaft so spärlich versorgt?“ fragte ein Lentnant.
„Das wohl nicht,“ lautete die Antwort, „aber es steht zu fürchten, daß besonders die jüngeren Damen in dieser unruhigen Zeit nicht gern über die Landstraße fahren.“
„O, was das anbelangt, das macht keine Sorge,“ warf ein anderer fast höhnisch hin, „die werden kommandiert zum Dienst.“
„Wir haben Widerspenstige schon einmal vier Meilen weit durch Eskorte herbeiholen lassen,“ bemerkte erklärend der Oberst.
„Unter diesen Umständen werde ich natürlich den Gedanken an den Ball fallen lassen,“ entgegnete der Hausherr mit trockenem Ton.
„Das werden Sie nicht mehr können, mein Herr,“ versetzte der Oberst in ähnlicher Weise.
„Ich bin neugierig zu erfahren, warum nicht,“ fragte der Hansherr gleichmütig.
„Weil wir alle eine Beleidigung darin sehen müßten.“
„Die Beleidigung ist von denen ansgegangen, die in so unritterlicher Weise den freien Entschluß deutscher Frauen zu beeinslussen gewagt haben.“
„Sie erwarten, daß wir zu diesen Worten schweigen werden?“ sagte der Oberst, einige Offiziere fuhren auf, er verwies sie durch eine Handbewegung zur Ruhe.
„O nein, ich versichere Sie, ich erwarte etwas ganz anderes,“ versetzte der Gutsherr, sah den Offizieren lächelnd ins Gesicht und freute sich der augenblicklichen Verblüffung. Der Oberst zog die Brauen finster zusammen. „Das wird sich finden, im übrigen muß ich Ihnen sagen, daß ich Auftrag erhalten habe, als ich hierher kam, auf den Besitzer von Vietlübbe zu achten, weil er der Umtriebe gegen den Kaiser äußerst verdächtig sei. Und nun frage ich Sie, wollen Sie den Ball geben?“
„Würde ich etwa durch einen Ball weniger verdächtig?“ fragte der Vietlübber. „Ich will Sie nicht im Zweifel lassen, den Ball gebe ich nicht.“
In diesem Augenblick wurde es auf dem Hofe lebendig, einige Wagen rollten, Pferde kamen im Trab heran, französische Offiziere aus der Nachbarschaft hatten die jungen Damen des Kammerherrn veranlaßt, einen Ausflug zu machen und unterwegs die Damen und Offiziere aus Goddin und Frauenmark abgeholt; nun jagten sie unter Lachen und Scherzen heran und umschwärmten die Wagen, die Damen begrüßten die junge Frau und wollten sie zur Teilnahme bewegen, alle ließen sich aber überreden, zunächst einzukehren und mit einem Imbiß vorlieb zu nehmen. Im Nu war das ganze Haus gefüllt, und die unteren Räume hallten wider von Lachen und Scherzen und lustigen Wortgefechten.
„Um Gottes willen, Eva, was fangen wir an?“ sagte die Hausfrau, als sie das junge Mädchen gelegentlich auf ihrem Schlafzimmer beiseite nehmen konnte. „Ich vermochte mich nicht zu entschließen mit ihnen zu fahren, aber nun haben wir sie auf dem Halse. Wenn das nur gut geht.“
„Das wird schon alles gut gehen, gnädige Frau,“ meinte Eva, „Vorräte sind genug da, ich schicke schnell ins Dorf und laß noch einige Frauen heraufholen, die mit angreifen können, die beiden Mädchen sind ja willig und flink.“
„Das ist es nicht, nein, es ist schlimmer. Zwischen meinem Manne und dem Oberst ist etwas vorgefallen, die sehen sich mit so abweisenden Blicken an, und ich fürchte, daß meinen Mann dieser Auszug der jungen Damen nur noch mehr geärgert hat.“
„Da ist es ja ein Glück, daß die Gesellschaft so unvermutet dazwischen kommt, das wird ablenken,“ tröstete Eva mit Überzeugung.
„Gott gebe es,“ versetzte die Hausfrau. „Fange nur an in der Küche, ich komme bald zur Hilfe. Schicke Johann und laß den Wein heraufholen, den mein Mann für die Einquartierung bestellt hat, er wird sich ja nicht zu ungeschickt gebaren. Clothilde mag in meiner Abwesenheit mich vertreten und die nötigen Aufmerksamkeiten erweisen.“
„Die versteht es ausgezeichnet,“ sagte lächelnd Eva, „sie wird sich freuen, wenn so viel junge Herren sich bemühen werden, ihr Aufmerksamkeit zu erweisen.“
Sie glitt zur Tür hinauf, die Hausfrau bezwang ihre Angst und kehrte zur Gesellschaft zurück. Einige drängten zu einem Picknick am See, andere redeten vom Tanzen, die Hausfrau widersprach und wollte zunächst im Hause für die Bewirtung sorgen, sie mußte ihre Augen überall haben. Der alte Rutscher war im Aufwarten nicht ungeübt, die Mädchen faßten rasch genug zu, sogar der Knecht Johann fiel nicht über seine eigenen Beine, wie sonst seine Sitte war, die Gäste konnten bald zugreifen, das alles hätte sie beruhigen tonnen, aber ihre Angst wuchs mehr und mehr. War es der Umstand, daß die jungen Mädchen sich nach ihrem weiblichen Empfinden nicht genug zurückhielten? Sie erachteten es vielleicht für ihre Pflicht, die Einquartierung gut gelaunt zu halten, so lachten und scherzten sie fröhlich, als ob man Landsleute und keine übermütigen Bedrücker und Sieger in der Heimat sähe, saßen in etwas leichter Haltung da und nahmen das Zutrinken und die flachen derben Lagerwitze, die allmählich zum Vorschein kamen, gar nicht übel auf. Eine nahm eine Laute und begann zu klimpern, eine andere tänzelte zum Klavier und griss einige Akkorde, sie sollte singen und trällerte ein französisches Lied. Aber es lag in der Lustigkeit etwas künstliches, Unnatürliches, sie fühlten es alle, und je mehr sie sich bemühten um den harmlosen Ton, um so ungemütlicher wurde die Lage.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!