- 02 - Der Vietlübber war bei diesen Klagen auf dem Stuhl hin- und hergerückt, als wären sie ihm unbehaglich. ...

Der Vietlübber war bei diesen Klagen auf dem Stuhl hin- und hergerückt, als wären sie ihm unbehaglich. Jetzt setzte er plötzlich die Faust auf den Tisch. „Darum, daß wir die Knechtsseligkeit verlernen sollen, Herr Kammerherr, darum, daß wir unsere Säbel schleifen sollen und Pulver ansammeln und trocken halten. Glauben Sie nicht, daß der Vielfraß einmal platzen wird? Dann ist unsere Zeit da.“
„Um Gottes willen -“
„Nein, Herr Nachbar, um Gottes willen nicht, dem brauchen wir nicht zu helfen, der hilft sich selbst gegen die Höllenbande. Aber um der Menschen willen und um unserer selbst willen.“
„Herr Nachbar, die Wände haben Ohren.“
„Pah, meine Leute wissen es längst, was ich denke. Meinen Sie, daß es damit besser wird, wenn wir alle uns unsere Mauselöcher suchen? Unsere deutschen Fürsten und Könige, die bei Napoleon antichambrierten und sich von den Marschällen dümpeln lassen mußten, haben’s uns allerdings vorgemacht, das niederträchtige Wettkriechen beginnt nun wieder in Dresden. Da lobe ich mir denn doch den Braunschweiger Herzog, er ist der einzige, der dem Emporkömmling Trotz geboten hat.“
„Sprechen Sie doch leiser, Herr Nachbar, ich beschwöre Sie, bedenken Sie, was hat er davon gehabt?“
„Ja, Herr Kammerherr, das ist eine leidige Frage, ein Mann sollte sie nicht stellen. Sich selbst hat er behalten, er braucht nicht vor sich zu erröten, wenn er in den Spiegel sieht. Und wir - wir haben ein Vorbild von Mannesmut, an dem wir uns aufrichten können.“
„Die Zeiten sind seit 1809 doch andere geworden, das System ist von Napoleon jetzt durchgeführt, und seine Ketten halten fest.“
„Fest steht nichts in dieser Zeit, sagten Sie selbst nicht so? Auch der Bonaparte nicht und seine Ketten erst recht nicht. Haben Sie wohl gehört, daß man mit Erbsen die eisernen Bänder eines Fasses sprengen kann, wenn man sie zum Ouellen bringt?“
„Und die Erbsen?“ sragte der Kammerherr etwas spöttisch.
„Zum Teufel mit denen, die sich erst lange besinnen, ob sie zu sehr gequetscht werden, wenn die Massen aufquellen. Nichts für ungut, Herr Nachbar, es fuhr mir so heraus. In mir gärt und quillt es. O Himmel, der Kerl hat doch mittlerweile jedes kleinste Nest in Deutschland gepackt und geschüttelt, sollten denn nicht endlich einmal alle Deutschen zugleich auffahren?“
„Die Deutschen? Was meinen Sie damit? deren Zeit ist doch wohl gewesen, seitdem der Habsburger abgedankt hat.“
Der Vietlübber sprang vom Stuhl auf und ging unmutig auf und ab, dabei sein Blick auf die Wand, wo ein Säbel hing. Er nahm ihn ab und legte ihn auf den Tisch.
„Das ist deutsch,“ sagte er, „in Solingen geschmiedet.“ Und er nahm die Bibel vom Schrank und legte sie daneben und sagte: „Das ist deutsch und ist in Wittenberg geschmiedet.“ Und er nahm ein Bändchen, das daneben lag: „Das ist deutsch und ist in Jena geschmiedet. Diese drei können und sollen klingen, daß man es im ganzen Reiche hört. Dann werden Sie nicht mehr kommen und fragen ?Was meinen Sie mit deutsch?? Damit Sie aber sehen, daß ich nicht allein in Worten, sondern anch in der Tat ein Deutscher bin, will ich Ihnen die fünftausend Taler vorstrecken. Wäre ich ein Mecklenburger, dann würde ich wohl an den Indult denken und mein Geld im Kasten behalten.“
Der Kammerherr hüstelte etwas, dann stand er auch auf und rieb sich verlegen die Hände, endlich faßte er sich und sagte offen: „Das war eine bittere Lektion, Herr Nachbar, aber sie hat genützt. Das gut deutsche Geld nehme ich von Ihnen an, gewirkt hatte aber schon bei mir der deutsche Stahl, das können Sie mir glauben, ich bin nur nicht gewohnt, von solchen Dingen frei zu sprechen, in mir ist allmählich zu viel eingerostet, es klingt nicht gleich, wenn man daran schlägt.“
Beide gaben sich die Hand.
„Meine Familie ist nach Mühlen-Eichsen übergesiedelt,“ fuhr der Kammerherr fort, „dort unten im Süden lagen wir zu sehr vor dem Zug, aber wie man sagt, wird es hier bald nicht anders sein. Wir bekommen wieder Einquartierung?“
„Ja, Herr Kammerherr, diesmal wohl übermäßig große, der Durchzug nach Rußland beginnt, der Bonaparte hat Schwedisch-Pommern, gewalttätig, wie er ist, mitten im Frieden besetzt, um eine Etappenstraße an der Ostsee zu haben, die führt gerade hier durch; doch wenn wir nur die Offiziere in günstiger Stimmung halten können, brauchen wir uns um die Mannszucht nicht zu sorgen. Vielleicht kommen wir um einen Ball nicht fort.“
„Das ist mir lieb, daß Sie das vorschlagen, lieber Herr Nachbar, man hört, daß das Mittel allerorten angewandt ist. Aber nach dem, was Sie sagten -“
„O, ich bin doch nicht von aller Vernunft verlassen,“ rief der Vietlübber lachend. „Mir sagte neulich mein Kuhfütterer ?Mit Eien un Kleien kann man ok ‘n bösen Bullen still kriegen.? - Nun, wir wollen dem Bollen die Binde vor die Augen legen, und dann, wenn die Zeit da ist, wird es an der Axt nicht fehlen.“
Am nächsten Tage ritt er nach Gadebusch, um den Brief, durch den er das Geld in Hamburg bestellte, selbst sicher auf die Post zu bringen, er benutzte die Gelegenheit bei Koch vorzusehen. „Wie geht’s denn hier, Herr Bürgermeister?“ fragte er. „So wie man sagt, immer auf zwei Beinen, den Kopf nach oben?“
„Wer hat den Kopf jetzt noch oben, gnädiger Herr?“ lautete die gedrückte Antwort.
„Nun fangen Sie auch an. Lange pries man hier die Franzosen aus vollen Backen, das Geld flog doch nur so herum.“
„Ja, es war fliegendes Geld, bei keinem wollte es bleiben, und die Besonnenen ekelten sich überhaupt davor. Allmählich ist es auf zwei oder drei übergegangen, die es zu bannen verstanden.“
„Wer sind denn diese?“ fragte der Vietlübber. „Es ist gut, wenn man weiß, wo das Geld sitzt, man könnte gelegentlich dort anklopfen müssen.“
„Gott bewahre Sie davor, der Gerichtsrat hängt an mehr als einem Gutsbesitzer wie ein Blutegel, und Nathan ist der Bader, der ihn ansetzt.“
„Pfui Teufel, nur keine Blutegel, lieber einen tüchtigen Schmiß, wenn doch Blut gelassen werden soll. Und Ihre Gadebuscher?“
„Hungern, gnädiger Herr, und wenn’s noch lange dauert, beginnt das Verhungern. Vom Lande kommt kein Geld, keiner läßt arbeiten. Dazu Lieferungen über Lieferungen, die Stadt leiht nun schon zum dritten Male in Hamburg, aber es wird nicht weit reichen. Jetzt noch die Rekrutierung, die jungen Leute sind auf und davon, Stellvertreter lassen sich nicht auftreiben, die Regierung drängt, und ich bin am Rande meines Rates.“
„Vortrefflich, Herr Bürgermeister, gerade so mußte es kommen, die Leute wollten ja nicht eher die Augen aufmachen. Wir beide verstehen uns, Sie meine ich nicht, Ihnen will ich vielmehr sagen, daß ich morgen einige Sack Roggen schicken werde, lassen Sie sie denen zukommen, die’s nötig haben. Wenn man Sie fragt, sagen Sie nur, es wäre gut deutsches und kein französisches Korn, dann wird es besser bekommen. Die Leute wittern das Kommende, an uns ist es, sie fest mit der Nase drauf zu stoßen.“
Er ging durch die Straßen, redete hier und da ein gutgelauntes Wort, bezahlte Rechnungen, obgleich noch viel Monate bis Neujahr waren, dann begegnete er Eva, sie grüßte und eilte vorüber.
„Ei gar,“ sagte er vor sich hin, „wie sieht denn die aus? Da ist etwas nicht richtig, muß doch mal nachfragen.“
Frau Gellert empfing den Vietlübber, der selten vorbeiging ohne ein lustiges Wort, mit freundlichen Knixen.
„Was ist denn los?“ sagte er, „ich will Ihnen den Text lesen. Lassen Sie mir die Eva hungern? Der kann man ja das Vaterunser durch die Backen lesen. Und so scheu ist sie geworden.“
„Gnädiger Herr,“ lautete die Antwort, „da ist einer - nun ja, ich habe die Zieherei nicht mehr leiden mögen, das ist nichts und hat nichts, und ist angesteckt von, Ihnen kann ich es sagen, von dem Hoffieren mit fremden Waren.“
Der Vietlübber pfiff durch die Zähne. „So, so, das sind noch nicht die schlimmsten. Freilich, Sie haben recht, die Zieherei mit einem, der solche Gänge macht, taugt nichts. Aber darum brauchte das Mädchen doch nicht so scheu über die Straße zu huschen.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!