VI. Ein verhängnisvoller Tanz.

Der Frühling des Jahres 1812 war gekommen. Der Vietlübber Herr stand auf seinem Hofe und sah dem Austreiben der Kühe zu, da kam der Kammerherr angeritten, ein zuspringender Knecht nahm ihm das Pferd ab und leitete es in den Stall, während der Gutsherr den Nachbar herzlich begrüßte und in die Stube führte. Er stellte einen Tabakskasten auf den Tisch und einen Teller voll Tonpfeifen daneben. Der Kammerherr zögerte, abzulehnen wagte er nicht, denn es war bekannt, daß er gern rauchte, und doch traute er dem Kraute nicht so recht. Der Vietlübber, der es wohl bemerkte, lachte, nahm gemütlich Stahl und Stein und schlug Feuer. „Sie können’s immer wagen,“ sagte er dabei und bot den brennenden Zunder all. „Bei Hof hat man ihn nicht besser.“ Der Kammerherr entschloß sich, rauchte und sog mit Kennermiene den Rauch ein. „In der Tat, ein ganz vorzügliches Kraut,“ versetzte er, „darf man nach der Quelle fragen?“
„O freilich,“ lachte der Vietlübber wieder, „vielleicht Havana oder auch Varinas oder dort irgendwo herum, wo Neger in den Pflanzungen schwitzen, und sonst?“ Er zuckte vielsagend die Achseln.
„Das ist eine seltene Sache in dieser Zeit,“ begann der Kammerherr wieder, „überhaupt jede Kolonialware. Ich habe ein Pfund Zucker kürzlich mit einem Scheffel Weizen bezahlt.“
„Ich hatte es billiger,“ war die Antwort.
„Und einen Anker Rotwein mit fünfzig Scheffeln Hafer. Wie soll man das auf die Dauer gut machen?“
„Man trinkt einfach keinen Rotwein. Es heißt ja, daß der Rheinwein vom letzten Herbste sehr gut ausgefallen ist.“
„Muß noch einige Jahre lagern, bis er trinkbar wird,“ sagte der Kammerherr.
„Bis dahin hilft uns unser eigengebrautes Bier,“ war die Antwort. „Sie können’s gleich beurteilen.“
Ein Mädchen brachte eine Kanne und zwei Gläser und schenkte ein. Wieder konnte der Kammerherr aus Überzeugung loben. „Sie sind gut versorgt, Ihre Mamsell versteht sich auf das Brauen.“
„Gut versorgt, Herr Kammerherr, ja,“ sagte der Vietlübber schmunzelnd, „besser als mit einer Mamsell, das besorgt meine Frau; die Mamsell kränkelt schon lange und wegjagen ins Elend? Das bringen wir nicht fertig, zumal bei diesen schlechten Zeiten.“
„Daß Sie das so ruhig aussprechen können, Herr Nachbar.“ Der Kammerherr lüftete etwas am Hals, rückte unruhig auf dem Stuhle und sprang endlich auf. „Die ewigen Einquartierungen im Lande, erst die Brigade d’Alton, dann die Division Frionet, nun redet man wieder von neuen Lasten. Dazu kein Absatz von Korn, man mag den ganzen Boden voll liegen haben, kein Mensch will kaufen, zehn Groschen ein Scheffel Roggen, wer kann dabei oben bleiben? Mein Gott, was sehe ich?“ Er war ans Fenster getreten und fuhr nun in ernstlicher Bestürzung zurück. „Die gnädige Frau selbst?“
„Ja,“ sagte der Vietlübber, „anders tut sie es nicht, die Milchwirtschaft besorgt sie selbst, gestern, als ein Mädchen krank war, hat sie sechs Kühe gemolken.“
„‘s ist eine fürchterliche Zeit,“ rief der Kammerherr ächzend, „und sie wird immer schlimmer. Wer kann das Ende absehen?“
„Nun,“ sagte der Vietlübber, „das da ist nicht schlimm, meine Frau würde es in guten Zeiten nicht viel anders machen; bei der großen Wäsche, beim Schweinemästen und Schlachten und im Winter beim Spinnen geht sie voran und leitet alles selbst, greift fest mit zu. Ihr fällt die Krone davon nicht ab und - nun, ich merke es in der Kasse sehr wohl.“
„Sie Glücklicher!“ rief der Kammerherr und warf sich wieder auf den Stuhl. „Was haben Sie dazu gesagt, daß der Rempliner Graf trotz seiner 99 Güter unter Kuratel gestellt ist?“
„Mit dem Oberjägermeister von Moltke auf Schorssow soll es ähnlich stehen,“ sagte der Vietlübber, „und so wackelt es noch bei vielen. Aber wir haben ja jetzt den Indult,“ setzte er etwas spöttisch hinzu.
„Fest steht nichts in dieser Zeit. Indult? ja, den haben wir; mein lieber Herr Nachbar, können Sie es glauben, da kündigt mir jemand eine Hypothek von fünftausend Talern.“
„Es mag wohl selbst mit ihm Matthäi am letzten sein,“ sagte der Gutsherr, „man kann es ihm dann nicht verdenken.“
„Nein, nein, ich weiß ja, daß es mit ihm so steht, er muß das Geld haben. Aber der Indult sagt, daß ich keine Kapitalien auszuzahlen brauche.“
„Hm, hm.“ Weiter sagte der Vietlübber nichts.
„Ich bin schon herumgeritten und habe gefragt und angeklopft und gebeten -“
„Was? Sie auch, Herr Kammerherr? Sie haben außer den beiden Eichsen noch manche prächtige Güter und dabei -“
„Alle, die Geld haben, lassen es bei sich liegen, behalten es im Kasten, und ich muß sagen, sie tun recht daran, denn sie haben es da sicherer als bei höchsten Zinsen auf einer Hypothek. Diese Zeiten stürzen die Existenzen massenhaft. Es ist furchtbar, was dieser Wüterich und Menschenschlächter da vernichtet, ohne das Geringste aufzubauen. Aus unserm Lande müssen über tausend Mecklenburger Soldaten ihm nach Rußland folgen, warum, sagen Sie mir warum?“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!