- 16 - In Schwerin aber begann die Unruhe über die Nachricht von der Massenslucht der Seeleute, dem Übertritt ...

In Schwerin aber begann die Unruhe über die Nachricht von der Massenslucht der Seeleute, dem Übertritt auf die englifchen Schiffe oder der Zerstreuung durch das Land. Wie sollte man so dem Ansinnen des Kaisers nachkommen? Die Verlegenheit war groß und mußte nach Hamburg berichtet werden.
Aber es war noch ein anderer da, der auch nach Hamburg zu melden hatte, nur daß er die Sache umdrehte. Die Schweriner Regierung selbst, so hieß es, habe die Seeleute warnen lassen und zur Flucht getrieben. Es rege sich allerorten der Haß gegen den Kaiser, und besonders in Gadebusch seien die Leute aufsässig, der Schmuggel scheine ja augenblicklich nachzulassen, wohl nur, um den Überfall auf den Voltigeur vergessen zu machen, aber der Bürgermeister Koch begünstige die Aufsässigkeit, der Rektor Trautmann stachele mit bösen Reden an, die Maurer wären alle Todfeinde der Franzosen, der Schlachter Gellert mache es ihnen nach, besonders gefährlich sei dessen Frau mit ihrem gottlosen Mund, der Wundarzt Scholte sei mehr als verdächtig. Und in der Nachbarschaft scheine in Vietlübbe sich ein Mittelpunkt für die Sammlung der unzufriedenen Hetzer zu bilden.
Die Folge war wieder ein sehr scharfes Mahnschreiben von Hamburg an die Schweriner Regierung, die Koch ihrerseits zum Bericht über die Zustände in Gadebusch aufforderte. Er schrieb ganz ehrlich seine Meinung, aber ein Rat brachte ihm persönlich eiligst sein Schreiben zurück und bedeutete ihm vertraulich, daß derartige Schriftstücke für die Hamburger Regierung bestimmt wären. Da kam seltsamerweise nichts weiter vor, als daß der Bäcker Oldenburg Franzosen als sitzende Gäste bei sich abends über 10 Uhr hinaus dulde und in Strafe genommen sei; daß das Tischlergewerk sich beschwert habe, weil unter den Douaniers ein gelernter Tischler sei, der seine Mußezeit zur Anfertigung von Tischen und Bänken benutze; daß ein Schneidergesell mit brennender Tabakspfeife zwischen den Scheunen angetroffen wäre, er hätte sich auf das Beispiel der Franzosen berufen, die da alle Tage rauchten. Solche Dinge waren sehr wichtig und breit behandelt.
Im stillen hatte Koch den Auftrag erhalten zu erforschen, von wem aus der Stadt heimliche Berichte nach Hamburg gesandt würden. Fromm sorgte selbst dafür, daß sich der Verdacht auf ihn lenkte, obgleich der ehrliche Sinn des Bürgermeisters sich lange dagegen sträubte.
Als sich nach einigen Monaten herausgestellt hatte, daß der Schmuggel aus der Gegend völlig verschwunden, war das Kommando der Voltigeurs verlegt, und bald wurden auch die Douaniers nach einer Gegend hin beordert, wo sie nötiger schienen. Darauf war eines Tages Matthies wieder da, und es ging das Gerücht, daß er von einem englischen Schiff, das ihn gepreßt hätte, entflohen wäre. Fromm, der die Zwischenzeit für sich nach seiner Meinung sehr gut benutzt hatte und wiederholt allerlei Scharmützel mit Frau Gellert ausgefochten, der Eva oft scherzend auf der Straße angeredet und sie sogar kurze Strecken begleitet, der so allerlei für ein letztes Spiel gesammelt und bereitgelegt, knirschte in Wut, daß er sich von Scholte hatte übertölpeln lassen, und er schrieb ohne weiteres nach Schwerin, daß in Gadebusch ein junger Mensch, Matthies, mit dem Zunamen Trautmann, sich aufhalte, der wohl bei einem Wundarzt gelernt habe, aber der Wanderschaft nicht obliegen wolle, wie es doch der Ordnung gemäß sei; er treibe sich in den Stallungen anderer umher, beschäftige sich mit Pferden und benutze seine Muße, um angesehene Leute zu verhöhnen und zu kränken. Darum empfehle er, ihn entweder aufheben zu lassen für das Militär, das, wie man vernehme, verstärkt werden falle, oder nach Dömitz auf die Festung so lange zu bringen, bis er an geordnete Arbeit gewöhnt sei.
Das griff über in die Rechte des Magistrats, und Koch verfehlte nicht, in kräftiger Sprache herauszuheben, daß der Beschuldigte gerade in einer Zeit, in der die meisten verzagt gewesen, ihm treu zur Seite gestanden; wenn er jetzt nicht wandere, so erkläre sich das leicht aus der Not der Zeit. Es müsse wohl jemand aus persönlicher Feindschaft so gehässige und völlig unbegründete Anschuldigungen gegen den jungen Mann erhoben haben, vielleicht gerade deshalb, weil der ein so wackerer und aufrichtiger Vaterlandsfreund sei.
Da begann man in Schwerin aufzuhorchen und sich vor dem Gerichtsrat bei seinen häufigen Besuchen sorgsam zu hüten, man ließ ihn merken, daß es in dieser schweren Zeit für jeden Beamten geraten sei, sich möglichst immer auf seinem Posten zu halten und unnütze Reisen zu vermeiden. Sehr bedrückt kehrte er das letzte Mal zurück und grübelte, woher es komme, daß der Wind so plötzlich bei der Regierung umgesprungen sei.
Ganz heimlich, ganz vorsichtig, ganz beharrlich und zäh war ein anderer auf seinen Spuren, der um so gefährlicher war, weil er in seiner Rachsucht niemals ermüdete. Kaum daß Matthies damals fortgegangen, war Scholte sofort wieder dem Schutzjuden zu Leibe gerückt mit der Forderung, nunmehr alles daran zu setzen, den Verräter herauszubringen und womöglich Beweise gegen ihn zu schaffen. Nathan hatte längst seine Schlüsse gemacht, von Hamburg aus waren die Maßregeln gegen die Schmuggelei ergangen, in Hamburg mußte man einsetzen. Er benutzte aber Scholtes Stimmung, um sich von dem die nötigen und wohl auch überschüssige Geldmittel zu verschassen zwecks Bestechung durch Vermittlung von Hamburger Bekannten. Mit Geld war von den französischen Beamten, die ihre Stellung zur möglichst raschen Bereicherung ausbeuteten, alles zu erlangen. Und es vergingen nur wenige Monate, da waren die Berichte, die Fromm nach Hamburg geschickt hatte, sämtlich in Nathans Händen, aber als er sie gelesen, war er in einer sonderbaren Versassung; seine Hände bebten, sein Bart fuhr zitternd auf und ab, aber seine Augen stachen gleichsam auf die Papiere und funkelten unheimlich. So fand ihn Scholte.
„Hast du sichere Nachrichten?“ sragte er und wollte die Briefe ergreifen. Nathan zog sie aber zurück und rief: „Gott du gerechter! Hab doch immer ihn gehalten für ‘nen ehrlichen Mann, hat. ich gemacht Geschäfte mit ihm ein-, zwei- und dreimal und nun - großer Gott, was für Briefe, was für meschante Briefe.“
„Was hast dn dafür gegeben?“ sragte Scholte.
„Was ich gegeben habe, das habe ich gegeben, hat man mir doch geschickt die Briefe, die können machen den Mann kapores, weiß Gott, sie können ihn rungenieren.“
„Dann gib sie her, du hast sie doch für mich gekauft.“
„Hab ich gekauft? Ja, ich hab gekauft, es ist ein Geschäft. Aber da ist noch einer dabei, der steht da so!“ Er schlang die Arme vor der Brust ineinander. „Ein gewaltiger Mann, wahrhaftiger Gott, ein fürchterlicher Mann, einer, der den Nathan kann machen hin mit so einem Zeichen.“ Er strich über die Briefe.
„Pah, dein Napoleon wird viel nach dir nachfragen,“ lachte Scholte, „wenn du ihm nicht selbst dich in den Weg stellst. Was könnte ihn denn hierbei verdrießen? Die sie verkauft haben, werden schon den Mund halten.“
Nathan beugte sich vor und flüsterte: „Da steht’s am Rand ?Man sende der Schweriner Regierung eine scharse Note. Napoleon.? Er hat das Blatt gehabt in der Hand.“
Der Namenszug allein schon bereitete ihm sichtlich Todesangst. „Wird er nachfragen, wo geblieben sind die Papiere, dann ist der Nathan kapores.“
„Lächerlich,“ rief Scholte verächtlich. „Gib mir, was mein ist, die Briefe und die Gefahren die dabei vermacht sind.“
Nathan wog die Blätter und schwankte. „Willst du mir geben zwanzig Prozent von wegen der Gefahren - -“
„Ich will,“ sagte Scholle ungeduldig und riß die Briefe an sich und durchflog sie rasch.
„Gott ewiger, will mich nicht begreifen der Mann! Wenn der Gerichtsrat sich wendet an Napoleon mit der Beschwerde -“
„Er wird sich hüten, der rührt für solche Leute keine Feder.“
„Wird die Schweriner Regierung bezahlen die Papiere mit fünfzig Prozent, werd ich erhalten die Hälfte Profit?“
„Nichts mehr, die Briefe sind mein,“ rief Scholte und schwenkte sie triumphierend. „Wenn mir die Zeit gekommen scheint, dann will ich sie gebrauchen. Gut ist, daß wir wissen, vor wem wir uns zu hüten haben. Aber sollte da noch ein anderer sein? Hier steht nichts drin von unserm letzten Zuge, keine Denunziation. Hat man dir den Brief vorenthalten, um ihn sich extra bezahlen zu lassen? oder hast du ihn beiseite gebracht?“
„Pfui, pfui, will ich sein hin, wenn ich noch hab ‘n Brief, wahrhaftiger Gott, will ich verschwärzen!“
„Ehe ich irgendwie vorgehe, muß ich den letzten Angeber kennen. Bis dahin gilt es reinen Mund halten, hörst du wohl?“ Nathan nickte, und sie besprachen sich darüber, daß es geraten wäre, die Hand zunächst von Geschäften zu lassen, bis alles klar gestellt sei.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!