- 15 - Es war, als sollte der Pascherführer nicht zur Ruhe kommen, denn eines Tages ließ gar der Gerichtsrat ...

Es war, als sollte der Pascherführer nicht zur Ruhe kommen, denn eines Tages ließ gar der Gerichtsrat ihn um seinen Besuch bitten.
Fromm war sichtlich abgefallen. Ihm war es gewesen, als ob man ihn auf der Straße nicht mehr bereitwillig grüßte, Ollhöft hatte ihm einmal den Rücken gedreht, bei einem Besuch, den er bei Gellert gemacht hatte, um sich nach Evas Befinden zu erkundigen, war er jämmerlich abgefahren, Matthies hatte ihm geradezu finster ins Gesicht getrotzt und seine Mütze nicht gerührt. Wer weiß, ob nicht irgend etwas sich gegen ihn vorbereitete, und dem wollte er begegnen. Sollten um eines solchen Burschen willen seine schönsten Anschläge auf Eva zerscheitern? Er mußte wieder frei Luft holen können, und dazu mußte Matthies fort.
Fromm nahm den Wundarzt mit Aufbietung all seiner geschmeidigen Freundlichkeit auf, setzte sich mit ihm zu einer guten Flasche, klagte ihm sein schlechtes Befinden und wollte seinen Rat wissen, ob zu empfehlen wäre, das schlechte Blut einmal wieder abzulassen, oder ob eine andere Kur in Aussicht zu nehmen. Und so ganz nebenher kam dann heraus: „Übrigens kann ich Ihnen Glück wünschen zu der Heilung des Franzosen. Die Leute wissen nicht genug davon zu reden.“ Er schenkte gemütlich ein.
„Ja, die Leine reden,“ sagte Scholte.
„Sie sagen das so gleichgültig, ich denke, Sie werden sich auch wohl selbst schon Glück dazu gewünscht haben.“
„Glück kann man immer gebrauchen,“ war die Antwort. „Ihr Wohl, Herr Gerichtsrat!“
„Man hat’s nur nicht immer, diesmal ist es noch gut abgegangen, prosit, Herr Schotte.“
Der Angeredete begann etwas zu merken, aber er war aus seiner Hut und hielt sich wie ein Fuchs, der unvermutet jemandem begegnet. Nur seine kleinen Augen spähten wie halb verborgen gelegentlich hinter dem Glase hinüber.
„War der Matthies auch in jener Nacht dabei?“
„Wobei?“
„Tun Sie doch nicht so, Herr Scholte, Sie wissen schon, was ich meine.“ - „Meinen Sie das mit dem Soldaten? ja, da half er, er hat einen guten Griff zum Anfassen und Aufheben; prosit, Herr Gerichtsrat.“
„Es ist ein ekelhafter Bengel,“ fuhr der Gerichtsrat heraus, „ich kann ihn nicht mehr sehen.“
„Ja, das glaube ich gern,“ bemerkte Schotte trocken.
„Was wollen wir Versteck spielen. Ich ärgere mich, so oft ich ihm begegne, er zieht so spöttische Gesichter. Befreien Sie uns doch endlich von ihm, hier tut er nicht mehr gut, der muß in eine festere Zucht.“
„Was soll ich dabei machen? Mir folgt er auf ein Wort, ich kann nicht über ihn klagen.“
„Aber Sie hören, daß ich Grund habe, und Sie wissen’s auch. Weg soll er!“
„Weg? ich kann ihn doch nicht wegschicken, wenn ich keinen Grund habe?“
„Ich will Ihnen einen Grund geben,“ sagte Fromm, „ich lege hier hundert Taler für Sie hin, wenn Sie auf das eingehen, was ich vorschlage.“
„Der Grund leuchtet ein,“ sagte Scholte, „aber was schlagen Sie vor?“
„Ich war kürzlich in Schwerin, da hörte ich, daß der Kaiser für seine Flotte 3.000 deutsche Matrosen aus den Küstenländern verlangt, Mecklenburg soll 600 davon stellen. Und das weiß man ja, daß die Matrosen viel lieber auf englische Schiffe gehen. Verstehen Sie mich?“
„Was hat Matthies damit zu tun?“
„Sie wissen Bescheid an der Küste, Sie kennen eine Menge stellenloser Matrosen.“
„Das gerade nicht; ich habe wohl den und jenen in Behandlung gehabt -“
„Den und jenen! Meinetwegen. Und der und jener wird sich aufmachen und weggehen, und der und jener nimmt gern einen Batzen mit, und der und jener bringt’s fertig, den Matthies mit sich zu nehmen; mit List oder Gewalt. Machen Sie nicht solch einfältiges Gesicht, es sind schon eher Matrosen für die Engländer gepreßt, und die Seelenverkäuferei hat sich immer noch gelohnt. Hier biete ich die Mittel, fort mit dem Menschen auf die englische Marine. Da mag er’s ja noch zu etwas bringen, ich meine bis zu einer Raanocke.“
„Wäre schon möglich,“ sagte Scholte übersehend. „Soll ich das Geld als Vorschuß betrachten? oder ist es Geschäftsanteil oder was sonst?“
„Machen Sie damit, was Sie wollen, nur schaffen Sie Matthies fort. Was Ihnen weiter zufällt oder den Engländern, geht mich nichts an. Handschlag darauf, daß er weg soll!“
Scholte erhob sich, schlug ein und steckte das Geld gelassen bei.
„Weg soll er, ob er dann dort bleibt, kann ich nicht verbürgen.“
„Das lassen Sie Sorge der Engländer sein.“
Draußen schüttelte sich der Wundarzt heimlich vor Lachen.
„Matthies,“ sagte er daheim zu seinem Lehrling, „jetzt höre mich an und versuche es mich zu begreifen, ohne daß ich dir breit und lang darlege, was getan werden muß. Ich weiß aus sicherer Ouelle, daß man demnächst auf Napoleons Befehl 600 Matrosen an der mecklenburgischen Küste gewaltsam ausheben wird für die französische Marine, gutwillig wird keiner gehen. In Hamburg und an der Wesermündung sind sie schon am Werk, 3.000 Deutsche will er im ganzen haben.“
„Der verfluchte Hund,“ sagte Matthies knirschend, ,,das sollen wir alles so still mit ansehen?“
„Fällt uns nicht ein,“ versetzte Scholle und neigte sich zu ihm und flüsterte. „Du sollst hin und sollst sie warnen. Was, das gefällt dir? Gut, hier sind 100 Taler, unsere Pascher in Boltenhagen weißt du anzufinden, denen steckst du’s zuerst, und dann laß sie tun, was sie wollen. Zieh die Küste entlang bis hinaus nach Ribnitz.“
Matthies’ Augen funkelten vor Freude. „Die Douaniers sind überall,“ sagte er, „sie könnten mich fassen, wenn ich ohne Ausweis herumziehe.“
„Hab ich bedacht, du sollst deinen Lehrbrief haben, ich schreibe dich auf, wenn es auch bis zum Ablauf deiner Zeit noch einige Monate sind. Daraufhin kannst du wandern, und keiner wird dir etwas anhaben können. Ich habe noch einen andern Grund, der Franzose besinnt sich noch einmal plötzlich auf dich. Ist hier die Luft rein, dann erhältst du Nachricht. Trage Sorge, daß du allerorten dich zunftgemäß meldest und den Ausweis bekommst.“
„Wann muß ich gehen?“ fragte Matthies.
„Sofort morgen früh. Hast du einen Brief zu bestellen, so besorge ich ihn. Besser, du versprichst mir, daß du mir allein schreibst, du weißt, daß die Franzosen überall die Möglichkeit haben, Briefe heimlich zu öffnen und zu lesen. Also schreibe nur harmlose Dinge, wo du bist, wie es dir geht. Ich bringe es schon zu denen, die es wissen sollen.“
Nach einigen Tagen erhielt der Gerichtsrat die beruhigende Nachricht, daß Matthies besorgt und ausgehoben sei, und atmete befreit auf.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!