- 10 - „Hscht, hscht, kleine Unvorsicht, wer spricht davon zweimal hintereinander, einmal ist schon zu viel. Ollhöft? ...

„Hscht, hscht, kleine Unvorsicht, wer spricht davon zweimal hintereinander, einmal ist schon zu viel. Ollhöft? mir fiel das auch neulich auf, wie er umgeschlagen war. Sollte er die Wagenladung erkannt haben? wohl gar auch der Korporal? Pah, die ist weg, die findet keiner mehr. Es war reichlich keck, aber gerade das ist es, was Freude macht.“
„Nein, er sprach von etwas Kommendem, Matthies, ich bitte dich, tu mir die Liebe und laß die Hand davon.“
„Morgen, Herz, morgen verspreche ich dir alles, was du willst, nur heute habe ich Eile.“
„Matthies, du verbirgst mir etwas, was habt ihr vor?“
„Nichts, Kind, das Geschäft, weißt du, und darum laß mich gehen.“
„Ich will nicht als Kind von dir behandelt werden,“ rief Eva und machte sich los, „ich will wissen, was du vorhast.“
„Weiter nichts? und deshalb hast du mich herangeflötet? ich will dir morgen alles sagen.“
„Nein,“ rief sie und stampfte mit dem Fuße, „du sollst nicht, ich will es nicht! Wenn du mir nicht versprichst, daß du von allem dem lassen willst, dann hast du mich auch nicht lieb, so sieh doch meine Angst.“
„Mit dir ist heute nichts anzufangen.“ Matthies drehte sich um, und hurtig, ehe es Eva vermutete, war er in dem Nebengarten verschwunden. Sie stand und weinte ihre heißen Tränen in ihrer Ratlosigkeit und wollte eben um die Ecke biegen, da fuhr sie zurück, ein fremder Mann stand vor ihr.
„Hßt, hßt,“ sagte er, „die Mademoiselle braucht nicht zu schreien, ich bin ein ehrlicher Mann, ein Mann, der die Welt kennt. Der junge Herr war nicht so freundlich, wie es sich gegen solche Schönheit schickt.“
Eva war zurückgefahren und hatte unwillkürlich die Hand abwehrend ausgestreckt.
„Hm, hm,“ räusperte der Fremde sich verlegen. „Ich bin ein Mann von Bildung, ich verrate nichts, kann ich bei meiner Ehre versichern.“
„Um Gottes willen!“ Eva sah ihn entsetzt mit weitgeöffneten Augen an.
„Keine Sorge, Mademoiselle, ich bin ein Mann, der mit Kavalieren verkehrte und vor Königen stand, ich habe einst einen ganzen Hof bezaubert, Mademoiselle, und entzückende Briefe (er küßte sich die Fingerspitzen) flogen mir zu, ich bekenne noch heute, daß die Schönheit die Welt beherrscht. Und ich (er verneigte sich nach allen Regeln der Kunst) liege auch hier ihr zu Füßen.“
„Laß der Herr mich gehen,“ preßte Eva hervor, ,,ich beschwöre den Herrn.“ Der Fremde vertrat ihr den Weg.
„Was für ein Bär war das, der eben davon tappte?“ fragte er zudringlicher. „Mich deucht, er sprach von einem Unternehmen -“
„Ich muß fort, ich will fort!“
„Ja, ja, obwohl sogleich der Tag fahl und grau hier sein wird. Der Bär hat der bezaubernden Mademoiselle weh getan; ich zürne ihm, ich bin ihm ernstlich gram darum. Ich wollte Madenioiselle wohl Genugtuung verschaffen, wenn Madenioiselle mir nur sagen wollte, wo ich ihn finden kann, was er vorhatte. Sagte er nicht so etwas von heute? oder von morgen?“
Während er so lauernd sprach, hatte Eva ihn angestarrt, nun fuhr sie auf: „O pfui - pfui! ein Spion? Aus dem Wege! Laß mich los! Wag es! wag es - du! Rühr mich nicht an, sonst -“ Sie hob die kleine Faust und schüttelte sie flammenden Auges gegen ihn, da prallte er zurück Eva schoß an ihm vorbei und eilte davon. Er aber stand und sah ihr bestürzt nach.
„Was war das?“ murmelte er. „Sie ist doch tot, ich habe sie doch liegen sehen. Sie schüttelte die Faust gegen mich - so - so, die kleine Faust, und sie kann immer noch so schrecklich drohen. - Das kommt nun zum zweiten Male. - Nein, nein! Mich sollst du nicht wieder finden,“ fuhr er im Gehen fort, „ich will nur schnell meinen Botenlohn verdienen, und dann geh ich, dann geh ich“
Eva war auf ihr Zimmer geeilt, sie bebte am ganzen Leibe und starrte entsetzt auf die Tür in der Erwartung, daß jeden Augenblick der Fremde eintreten müßte. Unwillkürlich hob sie abwehrend die Hände, endlich brach sie zusammen und fiel weinend auf ihr Bett.
Das war der Mann, den sie einmal bei einem fürchterlichen Auftritte gesehen hatte, als er den Arm gegen ihren alten Lehrer erhoben, sein Bild hatte sich so eingeprägt, daß es sie durch die Monate und Jahre wie ein unheimlich drohendes Wesen verfolgt hatte. In ihre glücklichsten Augenblicke hatte diese Erscheinung sich eingedrängt; immer war es ihr gewesen, als ob von ihm noch einmal großes Unheil über sie kommen müßte, und doch war er ihr fremd. Fremd? nein, nein, da stand irgend etwas in fernster Kindheit - und er stand dabei - aber Eva konnte nicht erdenken, was das gewesen, die Erinnerung an ihre traurigen Tage, da sie als Findelkind umgetrieben, war erloschen.
Sie benetzte ihr Kissen mit Tränen, lag lange in Angst und Sorge und konnte sich nicht beruhigen. Plötzlich richtete sich auf.
Was hatte der furchtbare Mann gesagt? Wo ich ihn finden kann, was er vorhat - heute - morgen? - Was bedeutete das? Morgen morgen hatte ja Matthies gesagt und hatte so große Eile gehabt. Sie strich sich über das Gesicht und versuchte ihre Gedanken zu sammeln. Morgen war Matthies von allem frei und heute noch nicht? Heiliger Gott, dann hatte er heute, noch in dieser Nacht, etwas vor, und der Fremde hatte es erraten, und so lauernd hatte er sie angesehen.
Es dämmerte schon stark, noch war es aber nicht zu spät, noch konnte sie warnen. Sie warf sich ihr Tuch über und eilte ins Nachbarhaus, Matthies war nicht da, sein Pflegevater war schon seinen alten Gang ins Gasthaus am frühen Winterabend gegangen. Sie überlegte kurz, und vorsichtig suchte sie den Wundarzt, dessen Wohnung war leer, weder von Scholte noch von Matthies ein Zeichen, daß sie in der Nähe waren.
Einen Augenblick stand sie ratlos auf dem Hausflur und rang die Hände. Nein, jetzt nicht das klare Denken verlieren, da das Schicksal des Geliebten in ihrer Hand lag. Ollhöft hatte sie gewarnt, der hatte schon oft seine Zuverlässigkeit bewiesen, der mußte raten.
Der Torwärter saß in seinem Stübchen, hatte eingeheizt, daß der Ofen bullerte und die Scheiter krachten und zuweilen Funken blitzend herausfuhren. Um die Passanten brauchte er sich wicht mehr zu kümmern, das Tor war bei sinkender Dämmerung vorschriftsmäßig geschlossen. Seine Pfeife brannte, aber das Behagen wollte nicht aufkommen. Der Korporal hatte ihm für den Abend seinen Besuch zugesagt, dann aber die Schustertochter geschickt mit der Meldung, daß er dienstlich verhindert sei. Das störte die Gemütlichkeit, der Alte hob den Kessel mit Wasser aus der Ofenröhre und stellte ihn fort, da sprang Iven auf, bellte kurz und legte sich wieder hin. Eva stand in der Tür.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!