- 08 - Beide standen auf, gingen dem Hunde nach und sahen auf den Sand. Der Korporal bückte sich, nahm einige Körner ...

Beide standen auf, gingen dem Hunde nach und sahen auf den Sand. Der Korporal bückte sich, nahm einige Körner auf und prüfte sie mit der Zunge, dann blickte er völlig verblüfft den Torwärter an, schüttelte den Kopf und ging auf seinen Platz zurück. Ollhöft prüfte auch, pfiff dann, Iven sah verlangend noch weiter aus, aber gehorchte und legte sich unter seinen Herrn, der bestürzt vor sich hinstarrte und seine Pfeife in der schlaffen Hand hatte. So dauerte das Stillschweigen eine Weile, der Korporal beobachtete ihn heimlich mit scharfen Blicken unter seinen buschigen Brauen heraus, dann sagte er leise und fest: „Sagtest du nicht, Kamerad, der Rekrut da sei dir ans Herz gewachsen?“ Ollhöft nickte wortlos. „Dann gib ihm einen Winik, daß er nie, hörst du wohl - nie solche Fuhre wieder fährt, daß er nie - ich sage es dir ganz im Ernst - nie wieder mit dergleichen sich befaßt. Hier wird’s jetzt anders, auf mein Wort, und es wäre schade, wenn so etwas auf den Galeeren verdürbe. Hscht, kein Wort! Ich weiß, daß du nicht eingeweiht warst, sonst hättest du ihn nicht angehalten, du wirst auch zu keinem Menschen von der Sache reden. Ich hasse dieses Spionieren, aber der Kaiser befiehlt’s und ich?“ Er zuckte die Achseln.
Nach einer Weile fragte er. „Weißt du, wie es auf den Galeeren zugeht? ich kann’s dich lehren.“ Er machte den Knöchel am rechten Fuß frei und zeigte eine tiefe Narbe. „Ein Jahr trug ich hier den eisernen Ring, wurde nachts mit der schweren Kette an die hölzerne Pritsche augeschlossen und mußte am Tage an dem Krahn gehen und arbeiten, daß ich glaubte, ich würde im Joch sterben. Wer lag, wurde mit Peitschen aufgetrieben oder zu Tode geschleppt. Ich kam später frei, aber mein Blut, das fünfmal auf dem Schlachtfelde geflossen ist, hat bis jetzt die Schmach nicht abwaschen können, ich muß darum auch immer so um die Menschen wegsehen.“ Aber den Invaliden sah er doch fest an.
Ollhöft reichte ihm die Hand und sagte: „Du warst unschuldig verurteilt, Kamerad.“ Da zuckte ein Freudenschimmer über das bärtige Gesicht des Franzosen, und er antwortete: „Ich danke dir, und nun sind wir zum zweiten Male quitt.“
Ollhöft stelzte schweren Schrittes seiner Torstube zu, aber es litt ihn nicht lange drinnen, er sah, was kommen würde, und zergrübelte seinen alten Kopf, wie er das Unheil abwenden könnte. Denn daß bei den Franzosen etwas im Werke war, daß sie nur auf der Lauer lagen, um einen großen Fang zu tun, war ihm sofort klar geworden. Von dem Erlebnis mit dem Korporal zu reden, verbot ihm seine Ehre, denn der Franzose hatte ihm ohne weiteres vertraut. So konnte er es auch nicht über sich gewinnen, mit Matthies zu sprechen, als der nach einigen Stunden mit leerem Wagen zurückkam. Er hielt an und rief ihm ein Scherzwort zu, Ollhöft antwortete ihm nicht, sondern deutete nur mit seinem Stock die Straße entlang und sagte: Marsch!“
Der Tag ging hin, die Nacht quälte den Alten mit ihrem Schweigen und ihrem Mahnen an seine Pflicht und seine Liebe, und der nächste Morgen fand ihn wieder in trübem Sinnen auf seiner Bank. Da kam gegen Mittag Eva daher, sie hatte einen Auftrag an den Schuster, Ollhöft winkte ihr mit dem Stock und kommandierte. „Antreten!“ Sie setzte sich zu ihm und wartete auf seine Anrede, aber er sah von ihr weg und rauchte, daß ihn die richten Wolken umzogen.
„Es hat die Nacht wieder tüchtig gefroren,“ sagte Eva, die seine Weise kannte, er antwortete nichts und rauchte weiter. „Das kommt in diesem Jahre zeitig genug, hoffentlich hast du deine Feuerung im Stall, daß du nicht wieder wie im vorigen Jahr frieren mußt.“ Ollhöft schwieg und sah sie nicht an. „Du bist wohl heute nicht gut am Kops? ich will noch einmal anfragen, wenn ich zurückkomme.“
„Still, nicht räsonniert,“ zuckte er auf, „wie stehst du mit Matthies?“
Das fuhr so heraus, daß Eva ganz verwirrt wurde. „Ich denke,“ sagte sie, „daß alles gut ist.“
„Nichts ist gut,“ knirschte der Alte und warf seine Pfeife in die Ecke, daß sie zersprang.
„Was ist denn los?“ fragte Eva bestürzt.
„Was los ist? Der Teufel ist los, sage ich dir, und in den Jungen ist er gefahren. Und das willst du leiden?“
Eva vermochte nichts zu entgegnen, hatte die Hände in den Schoß gelegt und sah den Alten still aus weiten Augen an, das war so ihre Art in der Not.
„Ja, da sperr die Augen auf wie ein Scheunentor, das hättest du früher tun sollen. Kreuzdonnerwetter, Mädchen, wie komm ich alter Krüppel dazu, daß ich mich mit so etwas befassen muß.“ Noch immer konnte Eva nichts hervorbringen.
„So sprich doch! Du weißt ja drum. Pascher ist er,“ zischte er ihr zu. „Und das neue Kommando wird hier im Handumdrehen rein Haus machen; dann schleppt er sein Eisen auf den Galeeren, und du ringst die Hände und weinst dir die Augen aus, und ich -.“ Er schluckte, und es fuhr etwas durch seine alten Runzeln, was ihm unbequem war, er mußte sich die Stirn glatt streichen.
Eva atmete auf. „Ist es das?“ sagte sie flüsternd, „weiter nichts? Der Schuppen ist leer, da findet niemand mehr eine Spur.“
„Weiter nichts?“ murrte Ollhöft wieder. Er tastete nach dem Tabaksbeutel, das Mädchen sprang ins Haus, um ihm eine neue Pfeife zu holen. „Weiter nichts?“ sagte er nach dem Anbrennen und paffte und lachte bitter vor sich hin. „Glaubst du, daß er’s lassen wird? Das geht ihnen wie den Wespen, die den Zucker geschmeckt haben, die kommen immer wieder, bis sie jemand mitten durchs schneidet. Ich sage dir“ - er legte ihr nachdrücklich seine Hand auf die Schulter und schüttelte sie leise - „du kennst mich, und ich sage dir, er muß die Finger ganz aus dem Spiel lassen, oder man hackt sie ihm ab.“
„Ist denn etwas von denen da geplant?“ fragte Eva und deutete zum Schusterhaus nur mit einem Augenwink.
„Weiß ich nicht,“ erwiderte Ollhöft und wandte sich kurz ab. „Ich hab’s dir auf deine Seele gelegt, nun sieh du zu. Sonst -“ er zuckte die Achseln, schwieg dann und klopfte seine Pfeife aus, denn er hatte mächtig gezogen. „Mach dein lustiges Gesicht, daß man dir auf der Straße nichts ansieht, der Weber hat da von oben schon wieder spioniert. So ist’s recht, und nun geh.“
Eva ging die Straße entlang und grüßte freundlich alle Bekannten, zu Hause empfing Frau Gellert sie in übler Laune.
„Was ist denn hier geschehen?“ fragte die Tochter.
„Zwei von den Schnüfflern waren da,“ sagte Frau Gellert.
„Werden aber nicht wiederkommen,“ lachte der Schlachter, „Mutter hatte ihre Haube aufgesetzt, und dann steckte sie alle ihre Stacheln aus wie ein Igel und rückte so vor. Ein Glück, daß ich gestern noch den großen Stein in das Brunnenloch geworfen. Sie haben in alle Ecken gerochen, dem Nachbar beben noch die Beine in den Hosen.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!