- 07 - Der hagere Armand Vetterlin hatte in Ermangelung eines besseren Sitzes die niedrige Wasserbank aus der ...

Der hagere Armand Vetterlin hatte in Ermangelung eines besseren Sitzes die niedrige Wasserbank aus der Küche vor die Tür getragen, nun hielt er seinen Waffenrock auf dem Schoß und nähte mit großer Ruhe an aufgesprungenen Nähten und Rissen und hatte die Beine weit ausgereckt. Bedächtig zog er den Faden aus, sein mächtiger Schnauzbart hing ganz über den Mund und mußte erst beiseite geschoben werden, wenn er den Faden zum Einfädeln netzen wollte, und der spitze, starke Kinnbart war fest gegen die Brust gedrängt. Manchmal stärkte er sich aus einer Bierkanne, die er neben sich auf die Erde gestellt hatte.
Hinter ihm in der Tür erschien zuweilen das neugierige Gesicht der Schustertochter, drüben aus den Fenstern und Türen guckten Frauen und sahen äußerst belustigt dem ernsten Werke zu, aber der Korporal hatte für keine einen Blick, obwohl das Kichern, das wiederholt absichtlich verstärkt wurde, zu ihm dringen mußte.
Das alles gefiel Ollhöft an dem Mann, er rückte erst unschlüssig auf dem Platze, dann aber erhob er sich mit einem Ruck und stampfte ganz entschlossen dem Fremden zu, der Hund ging hinter ihm drein.
Vetterlin konnte den schweren Tritt natürlich nicht überhören und sah auf, dabei zog er nach seiner Gewohnheit die Oberlippe so hoch, daß die Nase ganz im Schnauzbart versank. Das sah grimmig aus, aber um die Augen flog ein freundlicher Schein, als er militärisch grüßte, er rückte beiseite und lud durch eine Handbewegung den Torwärter ein. „Setz dich, Kamerad, wird dir keine ungewohnte Arbeit sein,“ sagte er und zeigte den Rock.
„?ne Arbeit, die den Soldaten ehrt,“ antwortete Ollhöft. „?s ist nicht übel, das lernt man im Felde.“
„Und man verläßt sich im Quartier am besten immer auf sich selbst.“ Der Korporal zog seinen Rock an und musterte dabei wieder den Torwärter. Dessen Uniform war wohl abgetragen, aber peinlich sauber, und jeder Knopf saß fest auf rechtem Platz. Ollhöft nickte und gab dem Franzosen seinen Tabalsbeutel, der stopfte sich die Pfeife, die er beim Nähen aus der Hand gelegt hatte; beide pafften gelassen vor sich hin.
„Du hast da ein Ehrenzeichen, Kamerad,“ begann der Franzose und zeigte aus den Stelzfuß.
„Stammt von Torgau,“ sagte Ollhöft. „Du hast ein anderes.“ Er sah auf das Kreuz der Ehrenlegion.
„Die Tapferen frisst die Kugel zumeist, die Tapfersten bleiben auf dem Felde, wir tragen das da ihnen zu Ehren, versetzte der Korporal.
„Woher sprichst du so gut deutsch?“
„Ich bin ein Elsässer und spreche wie meine Eltern.“
„katholisch oder protestantisch?“
„Nichts von beiden, wir habend abgetan. Was braucht der Soldat davon im Felde?“ Vetterlin zuckte die Achseln.
„Ich habs gebraucht,“ sagte Ollhöft ernst, „bei Torgau lag ich zwei Tage in einer Schlucht, und keiner fand mich. Da lernte ich beten, und es kam unser Feldprediger, der tat’s nicht anders, der ruhte nicht, bis er jeden Winkel nach Verwundeten abgesucht hatte.“
„Hätte auch jeder andere tun können.“
„Tat’s aber nicht, und der ihn trieb, war der, den wir alle im Felde brauchen.“
Der Korporal wiegte den Kopf leicht hin und her. „Kamerad, jeder nach seiner Weise. Die Ehre ist unser Gott, Napoleon ist unsere heilige Schrift, die Fahne ist unser Feldprediger, und wir sind weit genug damit gekommen, sollte ich denken.“
„Aber noch nicht am Ziel, Kamerad,“ sagte Ollhöft und legte vertraulich seine Hand auf des andern Knie. „Es könnte auch einmal anders kommen, und wer ihn - er winkte nach oben - dann nicht bei der Hand hat, ist schlimm dran.“
„Anders? hm, wir haben noch alles, was es mit uns anders machen wollte, überwunden und haben selbst alles anders gemacht, wir haben Könige abgesetzt und haben Könige gemacht nach Belieben. Dem Kurfürsten von Sachsen gaben wir das Königreich Polen, und den Kurfürsten von Bayern machten wir durch Tirol zum König.“
„Ja, unserm Herzog habt ihr sein Land gelassen, werdet’s ihm am Ende auch noch einmal nehmen, wie ihr es dem Oldenburger genommen habt. Aber was macht das aus vor dem da oben? Hast du schon einmal gesehen, daß eine Seisenblase gerade dann platzt, wenn sie am buntesten schillert?“
Der Korporal lachte still in sich hinein. „Nichts für ungut, Kamerad,“ sagte er, „du rauchst starken Tabak, der zieht in die Nase.“ Der Friede war wiederhergestellt.
„Ihr macht’s, wie die da,“ sagte Ollhöft und zeigte auf eine Saatkrähe, die auf dem gegenüberliegenden Dache saß und laut schrie.
„Demi tour à la bayonnette!“ kommandierte der Voltigeur nun laut lachend. „Du machst es wie der Kaiser und gehst sofort zum Augriff über. Aber schreien wir wirklich nur wie die da?“
„Nein,“ versetzte Ollhöft, „sieh sie genau an, das ist eine von den schwarzen, die gabs hier vordem nicht, da waren nur graue da. Aber jene heißen bei den Leuten Franzosen, denn sie sind euch von Lagerplatz zu Lagerplatz aus Frankreich gefolgt und anno sechs zu uns gekommen und seitdem dageblieben.“ Da lachten beide.
Um die Ecke kam ein Wagen hoch mit Sand beladen, Matthies lenkte ihn, knallte lustig mit der Peitsche und flötete dazu. Als er der deiden ansichtig wurde, grüßte er freundlich. Der Hund bellte einmal, wedelte und ging dem Kommenden entgegen.
„Halt!“ kommandierte Ollhöft, Matthies hielt vor ihnen. „Wohin mit dem Sand?“
„Der Magistrat will ihn nicht in der Weide haben, da muffen wir ihn schon über die Radegast fortschaffen,“ lautete die Antwort.
„Noch immer nicht fertig mit dem Brunnen?“
„Nein, noch lange nicht, sie sind da auf einen großen Stein gestoßen, am Ende muß noch alles wieder zugeworfen werden.“
„Hab ich ja immer gejagt, was fahrt ihr denn den Sand weg?“
„Das sag ich auch, aber Gellert meint, er wollte den Stein noch mit seinen Pferden herausschleppen.“
„Passiert!“ sagte Ollhöft und nickte und paffte weiter.
„Das gäbe einen prächtigen Rekruten,“ begann nach einer Weile der Korporal und sah hinter Matthies drein, der jenseits des Tores verschwunden war.
„Nur zu Pferde zu gebrauchen,“ sagte Ollhöft, ,,und für deinen Kaiser viel zu schade. Der Junge ist mir ans Herz gewachsen von klein auf an, wozu ihn für eine fremde Sache niederkartätschen lassen.“
„Alter, Alter,“ mahnte Vetterlin, „denk an dein Bein, das bei Torgau liegt.“
,,Ja, das ist etwas anderes, ich bin ein Preuße von Geburt und ging für meinen König.“
„Nun, wenn es bald gegen Rußland geht, wie man munkelt, wird Mecklenburg nicht zurückbleiben, da kann er ja für seinen Herzog gehen. - Sieh doch, Kamerad, was hat der Hund?“
Iven, der, Hund, der auf der Straße stehen geblieben war, schnüffelte an einem ganz kleinen Häuflein Sand, das vom Wagen herabgefallen war, er bellte halblaut, indem er es umging, schnüffelte wieder und begann zu lecken; dann sah er die Straße entlang, fand noch einige vereinzelte Körner Sandes und leckte.
„Sagt man nicht, es wird bald regnen, wenn die Hunde Sand lecken?“ fragte der Franzose.
„Nein, dann fressen sie Gras. Aber das ist doch sonderbar, was fällt ihm denn ein? - Das hat er noch nie getan.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!