- 06 - Die Aufwärterin fühlte in dieser Zeit ihre Bedeutung. Dem Gerichtsrat redete sie vor, daß keiner etwas von ...

Die Aufwärterin fühlte in dieser Zeit ihre Bedeutung. Dem Gerichtsrat redete sie vor, daß keiner etwas von seinem Unfall wüßte, nur der X. oder der D. hätte den Versuch gemacht sie auszuhorchen, aber sie? - pah, nicht zehn Pferde würden ein Wort aus ihr herauswinden, denn sie wüßte wohl, wenn man etwas erführe - o – o! Und so machte sie es möglich, aus dem Gepeinigten immer noch eine Mark oder ein Achtschillingsstück herauszuholen, in der Stadt ließ sie sich zu unglaublich viel Tassen Kaffee nötigen, und dann schilderte sie sein Aussehen in lebhaften Farben und seufzte über all die schöne grüne Seife, die der Mann immer dicker aufschmierte, wohl um seine ganze Haut abfressen zu lassen, und über das Wasser, das sie tragen und wärmen müßte.
Aber der Gerichtsrat hatte seine Zeit bei der Färberfrau doch nicht so unnütz verbracht, es war dem glatten Manne nur zu leicht gewesen, aus der reichlich beschränkten Frau allerlei über den Schmuggel herauszuholen, und seiner Gabe, die Bruchstücke zu vereinigen, verdankte er eine annähernd richtige Anschauung von dem ganzen Betrieb. Da er zu feige war zum offenen Vorgehen und doch seiner Rache genügen wollte, so schrieb er an die kaiserliche Regierung in Hamburg und meldete, daß demnächst wohl einige Wagen von Gadebusch dort eintreffen würden, die unter den Kornsäcken eine Menge verbotener Waren einführen sollten, und und sich noch mehr in Gunst zu setzen, deutete er an, daß man anscheinend von Schwerin aus das Treiben begünstigte, es ginge das Gerücht, daß die Regierung es geduldet hätte, daß ein Schiff mit Waren in Wismar eingelaufen wäre und auch entladen, über Gadebusch wäre alles vertrieben.
Die Folge davon war, daß in der Tat die Wagen am Tor in Hamburg abgefaßt wurden, und daß die herzogliche Regierung in Schwerin eine sehr ernst gehaltene Beschwerde über Beförderung des Unfugs und über Widerstreben gegen den kaiserlicheil Willen erhielt. In Schwerin darob große Erregung. Ein Rat mußte flugs nach Gadebusch reisen, um beim Bürgermeister nach Näherem zu forschen, insbesondere nach dem Berichterstatter. In der Stadt war ohnehin viel heimliche Unruhe, denn wenn auch die Fuhrleute von nichts weiter gewußt hatten, als daß man sie in Ratzeburg bezahlt und angenommen hätte, um die fertig beladenen Wagen weiterzufahren, und keinen Absender der Ladung gekannt oder genannt, so hatten doch zu viele ein schlechtes Gewissen, um nicht in dauernder Angst zu schweben. Zum Glück konnte Koch auf die Lizenz hinweisen, die einst dem Wundarzt Scholte auf durchaus rechtlichem Wege zugekommen war, und die wohl zu dem Gerücht über Wismar Veranlassung gegeben, von einem Verräter in der Stadt wollte er nichts wissen; der, auf den er am ersten hätte Verdacht haben können, war noch krank, und außerdem wollte der gerade Sinn des Bürgermeisters aus Vermutungen so schwerer Art sich nicht festlegen lassen. Um doch etwas zu tun, sandte er den Torwärtern geschärfte Befehle zur Aufmerksamkeit auf die Ausfuhr und Einfuhr und auf Landstreicher und Gesindel jeglicher Art. Von Schwerin aus erging eine höfliche Antwort mit Aufklärung und der leichten Bosheit eines Hinweises auf die Menge der Douaniers, die man über das Land ausgeschüttet hätte, die ja unter keinen Umständen es an Wachsamkeit fehlen lassen würden. Aber in Hamburg hatte man die schärfere Antwort bereit, man teilte kurzweg mit, daß der Kaiser es für nötig gehalten, ein Kommando Voltigeurs (Jäger) zur Unterstützung der Wächter nach Gadebusch zu legen, und ersuchte um Fürsorge für genügende Unterbringung.
Die Aufregung in der Stadt wuchs. Frau Gellert verlangte von ihrem Manne, daß er „partutemang“ nichts mehr mit Scholte zu schaffen habe, und daß der Schuppen rasch geräumt und von den letzten verräterischen Spuren gesäubert würde, Gellert und der Färber drängten den Wundarzt, Scholte und Nathan steckten oft die Köpfe zusammen und forschten besonders nach dem Verräter.
In Nathan hatte der Haß gegen Matthies wegen des Ferkelbesuches noch lange nicht ausgegoren und war immer frisch nachgefüllt. Jedesmal, wenn der Lehrling einen Auftrag von seinem Meister bestellt und dabei seine Augen belustigt hatte um sich gehen lassen, über den Schmutz der Diele und das schmierige Pult in dem mit Produkten vollgestopften Raum, dann hatte es bei dem Juden, der seine Augen bei solchem Besuche sofort verquer stellte, einen Druck auf die Galle gegeben. Und wenn dann gar Matthies beim Fortgehen auf der Diele rief: Heischekaweische bereschitunparah schocharee schacharee, dann bebte dem Händler der Bart, weil seine Zähne voll Wut aufeinanderschlugen, und seine Augen flammten, schließlich machte er sich Luft und spie hinter ihm drein und sagte: „Pfui!“
„Pfui!“ sagte er nun auch wieder zu Scholte bei erneuter Beratung. „Werd ich wissen, wer es ist gewesen? Gott soll mich strafen, es ist gewesen der Matthies!“
Scholte antwortete nichts weiter, als. „Du bist wohl verrückt?“
„Wahrhaftigen Gott, er hat’n meschantes Wesen, der Matthies. Ist er nicht gelaufen bei dem Schlachter und bei dem Färber und bei dem Ollhöft und hat gestanden auf der Straße und hat gelauert in der Tüsche und ist gegangen mit Fremden? Ich weiß, was ich weiß.“
„Du weißt nichts, alles hat er in meinem Auftrag getan.“
„Hat er getan, so hat er getan, und hab ich gesagt, so hab ich gesagt, es ist der Matthies. Hat der Gellert gekündigt das Geschäft, so steckt dahinter Matthies, der hat’s geraten, daß das Geschäft muß aufhören, und er kriegt dann die Eva. Wahrhaftigen Gott, es ist der Matthies.“
Scholte lachte ihm geradezu ins Gesicht. „Die Hauptsache ist jetzt, daß wir den letzten Wagen voll Streuzucker aus dem Schuppen bringen, Gellert will von nichts mehr wissen.“
„Will er nicht? wo soll das kommen her? es kommt vom Matthies. Hab ich’s nicht gleich gesagt?“
„Ist ja dummes Zeug, du solltest lieber daran denken, daß da auch noch zwanzig Ballen bei Friedrichshagen in der Scheune liegen, die wir rechtzeitig über die Elbe schaffen müssen, sonst werden wir auch die verlieren. Zu Wagen geht’s nicht mehr, wir müssen Träger haben, erst am Schaalsee sind wir sicher, da gibt’s tausend Verstecke.“
„Geschäft ist Geschäft,“ sagte Nathan, „werd ich doch wissen ‘n Abnehmer, wenn die Ware nur da ist. Aber der Matthies -“
„Halt’n Mund von Matthies, für den lege ich die Hand ins Feuer. Das mit der Eva ist Unsinn, Jungenliebschaft, er hat ja noch nicht einmal ausgelernt; für die Eva wird sich bald ein anderer finden.“
„Wird er sich finden, so wird er sich finden, und Geschäft ist Geschäft,“ sagte Nathan, sein scharfes Auge hatte gesehen, daß irgend ein Funken, den er gespritzt hatte, bei seinem Geschäftsteilhaber gefangen, und er war mit sich zufrieden. Beide gingen an die neue Aufgabe, die sie für einige Zeit die letzte sein lassen wollten.
Inzwischen hatten sich die Voltigeurs in ihren Quartieren eingerichtet und schnell die Anlage und die nächsten Umgebungen der Stadt erforscht. Der Korporal Armand Vetterlin lag bei dem Schuster Rassow, der nicht weit von Ollhöft wohnte, er hatte sich das Quartier in der Nähe des Jüdschen Tores selbst ausgesucht.
Ollhöft hatte im Laufe der Jahre und unter den rasch sich jagenden Ereignissen den Anblick der Franzosen ertragen gelernt, und wenn er auch zunächst in der Wohnungswahl des Korporals eine Art Mißtrauenserklärung gesehen, so beruhigte er sich diesmal bald bei der würdevollen Zurückhaltung Vetterlins. Es machte sich von selbst, daß der Alte, der auf seiner Bank zuerst dem Eindringling den Rücken gedreht hatte, allmählich eine Wendung vollzog, bald saß er und sah sogar mit teilnehmender Aufmerksamkeit dem Treiben des Korporals zu.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!