IX. Im Felde.

Matthies und Hinnick und Hinnick und Matthies, keiner jemals ohne den andern, jeder allzeit bereit, für den Freund auf Leben und Tod einzutreten; und in der Tat ging es im Jahre des Umherziehens mehr als einmal auf Leben und Tod.
Wo sie erschienen mit der Bitte um Obdach, begegneten sie meistens bestürzten Mienen. Zwei stramme Kerle lose durch das Land ziehend? sofort tauchte der Verdacht auf, daß man Deserteure vor sich habe, auf deren Aufnahme und Unterstützung Todesstrafe gestellt war. Wie mancher zog so durch das Land, stets bedroht, mit Angst oder Schelten abgeschoben, vogelfrei; so fand er sich schließlich zu seinesgleichen, einzelne Rotten lagen in den Wäldern, verzweifelte Männer, zu finsterem Werk bereit. Tat sich Matthies auch als Wundarzt kund und erklärte Hinnick für seinen Gehilfen, so machte sie das erst recht verdächtig, man glaubte, daß sie Gelegenheit zum Raube auskundschaften wollten. Sie wanderten nach Schwedisch-Pommern, aber auch dort herrschte Napoleon, der das Land gewalttätig besetzt hatte, auch dort streiften Gendarmen, die jeden jungen Mann, der nicht seine Ortsansässigkeit deutlich nachweisen konnte, aufgriffen und nach Stettin ablieferten, wo man ihn festhielt, mit Erschießen wegen Desertion bedrohte und solange drangsalierte, bis er das Anerbieten annahm, in die Armee eingereiht zu werden, natürlich in der Hoffnung flüchten zu können. Wie manchem gelang die Flucht nicht, er mußte in Rußland elend vergehen.
Matthies und Hinnick waren in Scholtes Schule gewesen und verstanden sich ihren Weg zu eröffnen, so kamen sie nach Anklam und fanden Aufnahme in einer Herberge, in der eine große starke Frau ein festes Regiment wie ein Mann führte. Frau Scholte? seltsam! vielleicht eine Verwandte vom Kaper Scholte in Gadebusch? - Wer ist Kaper Scholte? - Ei gar, hui hm, immerhin, möglich ist vieles und alles. Frau Scholte sann nach und beauftragte den Juden Leib Mendel, für sie vermöge der Verbindung mit Glaubensgenossen nachzuforschen, der entdeckte eine Verwandtschaft mit Nathan, beide wechselten Briefe, aber nicht durch die Post, sondern durch Handelsjuden, die sie von Hand zu Hand weitergaben, aber dann brachte Leib Mendel schließlich achselzuckend die Auskunft, daß der Kaper Scholte aus Holland zugewandert sei, sehr übel beleumundet als Seeräuber und Pascher und reif für die Galeeren. Mochte er nun der Gesuchte sein, die Nachrichten lockten nicht zu weiterer Verbindung, die starke Frau verließ sich auch ferner auf sich allein.
Wie horchten die beiden umhergetriebenen Flüchtlinge auf, als die Kunde vom Untergange der großen Armee allmählich klarer durchdrang, wie fuhren sie auf, als das Volk unruhig wurde. Mecklenburg vom Rheinbunde als erstes deutsches Land abgefallen? mann sammelte schon in Strelitz Freiwillige? Weg waren sie, Reiter, Husaren wollten sie sein, um den Franzosen endlich, endlich einmal alle Bitterkeiten heimzahlen zu können.
Und wie kamen sie in Strelitz an! Jauchzend, im Triumph, voll strahlenden Übermutes, hoch zu Roß, jeder mit einer Koppel von fünfzehn Pferden hinter sich. Die Leute liefen und grüßten und fragten, Pferde fehlten überall, woher hatten die beiden so prächtige Tiere?
Morand war aus Pommern weg durch Mecklenburg abgezogen, hinter ihm sein Troß, immer noch frech und trotzig und sorglos und die schwerfälligen Mecklenburger verachtend. Burschen oder Trainsoldaten hatten die Reservepferde gekoppelt nachgeführt, vielleicht für die Offiziere gekauft, vielleicht unterwegs noch ausgehoben; sie lagerten auf einer Wiese und tranken Branntwein, den sie gewalttätig erpreßt hatten, die Pferde standen am Waldrande angebunden, durch das muntere Treiben ließ sich die Wache weglocken. Hinter den ersten Stämmen aber lagen Matthies und Hinnick, die sich in das trockene Laub eingewühlt hatten, um ungesehen den Zug vorüberziehen zu lassen, sie beobachteten von ihrem Platze aus alles, schlichen sich vorsichtig an, schnitten heimlich mit scharfen Messern die Koppeln los - hinauf in Sättel - die da drüben lachten gerade laut und tranken sich zu, da blieben ihre Hände mit den Bechern wie erstarrt stehen - ungefüges Trappeln und Stampfen, ein höhnischer Zuruf - weg waren die neuen Reiter, die Koppeln ihnen nach, je toller sie jagten, um so eifriger jedes Pferd. An eine Verfolgung war nicht zu denken, und so mochten die Burschen denn von einem Überfall aus dem Hinterhalte berichten und sich herauslügen, so gut sie konnten. Der Verlust war ihnen doch um so schmerzlicher, als sich auf einzelnen Pferden Mantelsäcke befunden hatten, in die man allerlei zusammengetragen. Wenn Matthies und Hinnick auch die Pferde ablieferten, so fiel ihnen das übrige als gute Beute zu.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!