- 11 - „Noch ziehen sie nicht ab, hören Sie nur,“ bemerkte der Oberst. ...

„Noch ziehen sie nicht ab, hören Sie nur,“ bemerkte der Oberst.
Der Donner verstärkte sich auf beiden Seiten. Die Kanonen feuerten noch rascher, es war, als ob ein einziger mächtiger Ton in langgezogenen Schwingungen fortwährend die Luft beherrschte.
„Wie eine gewaltige Orgel,“ sagte ein Offizier zu dem neben ihm haltenden Fähnrich Milarch.
„‘s ist ja auch heute Sonntag,“ antwortete der ernst.
„Und dann solche Schlacht!“
„Ist auch ein Gottesdienst. Darum singt auch Max von Schenkendorf:

  „Du reicher Gott, in Gnaden
  Schau her vom Himmelszelt,
  Du Selbst hast uns geladen
  Auf dieses Waffenfeld.“


„Kommen wir gesund heim, Milarch, dann besuche ich Sie mal in der Kirche, wenn Sie predigen, Sie verstehen sich darauf.“
Von der Höhe jagte ein Adjutant heran: „Der Herr Major läßt melden, daß die Batterien drüben Anstalten treffen abzuziehen.“
„Dann kommen wir ja gar nicht mehr dran.“ Das klang sehr langgezogen.
„Sie wollen wohl ‘ne bessere Position nach Globin zu wählen, sie fürchten, daß die Ostpreußen ihnen in die Flanken kommen.“
„Man sollte sie hindern, sich noch einmal festzusetzen.“
„Da wäre gerade für uns der rechte Augenblick da.“
„Herr Leutnant,“ befahl der Oberst, „unser Brigadier wird von Bleddin aus jenes Gelände nicht übersehen können, reiten Sie hinüber und legen Sie ihm die Lage klar dar; ohne seinen Befehl dürfen wir von den Batterien nicht fort.“
Der Angeredete jagte dahin, er war aber noch nicht weit aus der Deckung, da schoß sein Pferd vornüber, und er flog im Bogen in den Sand. Laufend kam er zurück.
„Es hat eins durch den Kopf, sie schießen, als wüßten sie, was hier geplant wird, und wollten die Verbindung mit drüben unmöglich machen, bis sie weg sind.“ Schon kam sein Bursche mit einem Reservepferd heran, der Leutnant schnell hinauf und auf die Mühle zu. Drüben spie noch Geschütz aus feurigem Rachen, eine Sandwolke flog bei dem Pferde auf, und Roß und Reiter wälzten sich am Boden, das Tier schlug wild um sich, der Reiter machte sich los und kam hinkend wieder heran.
„Hab mir den Arm aus der Achsel gefallen,“ sagte er mit zusammengebissenen Zähnen, „weiter ist es nichts; kommt und faßt an, daß wir ihn wieder einrenken.“
Der Oberst musterte die Reihen mit den Worten. „Wen schicken wir denn jetzt?“
Zwanzig, dreißig Hände flogen hoch. „Kann euch nicht alle missen, einer genügt. Unteroffizier Trautmann, Ihr graugelber Jochen ist ‘n vorzüglichen Gänger und hebt sich am wenigsten ab vom Gelände. Reiten Sie umsichtig, dort bei der Mühle fliegen die Kugeln am dichtesten, Sie sehen’s an den spritzenden Steinen. Sind Sie daran vorbei, so geht’s glatt weiter. Wenn Sie den Auftrag zum Angriff zurückbringen, dann heben Sie schon von ferne den rechten Arm, sobald Sie uns sehen, wir richten uns hier gern vorher ein.“
Matthies hatte als vorsichtiger Reiter noch einmal die Sattelung geprüft, nun setzte er sich fest. „Pascholl!“ sagte hinter ihm eine treue Stimme, das durchfuhr ihn wie ein Glutstrom, er nickte, und seine Augen blitzten.
Wenn Eva ihn jetzt sehen könnte!
Aber es sahen ihn doch ein paar hundert Augen, und das dedeutete schon etwas. Alle Kameraden hofften auf ihn. Bald begann das gefährliche Gelände.
„Was macht er? er ist wohl nicht gescheit?“
„Potz Blitz, er duckt sich hinter sein Pferd, sie sollen es für ledig halten. Ja, der Matthies, der kann reiten.“
„Wahrhaftig, sie nehmen ihn nicht für voll, er kommt durch.“
„Na, na, prahl sacht! kommt er erst an die Mühle, dann muß er sich schon gerade setzen, wegen der Hindernisse, verstehst du?“
„Den Donner! da setzt er im Liegen über den Stamm - da über das tote Pferd!“
„Ja, der Jochen! wird der erst warm!“
„Ätsch, das kam zu spät!“ Hinter Matthies sprühte der Sand an verschiedenen Stellen auf.
„Wo ist er nun?“ „Er ist weg!“ „Schade drum, und wir dachten -“
„Du Narr, er ist schon über den Hügel.“
„O wenn doch -“ „Er wird schon -“ „Da ist er wieder, er kommt gerade den letzten Hügel hinauf.“ „Nun sitzt er aufrecht im Sattel.“
„Er ist jenseits hinunter.“ „Gott sei Dank, nun ist er geborgen.“
Der Oberst übergab das Kommando vorübergehend an den Major, nahm seinen Adjutanten mit sich und suchte eine Stelle, von der aus man den vorgelagerten Grund mustern konnte. Das langgestreckte breite Tal wurde mit einer Wiese ausgefüllt, in der Schilf und Binsen reichlich wuchsen, auch sah man kleine Lachen schimmern. Drüben hielt die feindliche Kavallerie ganz gelassen, sie wußte gewiß, daß der Grund unpassierbar war.
„Das wird ein böses Stück,“ sagte Warburg, „bleiben wir stecken, so können wir uns ja gar nicht wieder sehen lassen.“
„Herr Oberst, unser Führer!“ rief der Adjutant eifrig.
„Wo? wer? der steckt ja bei den Batterien.“
„Nein, da trabt er her, er sieht uns und winkt, er hat ein Bündel Ruten in der Hand.“
„Gottstausend, der Mann kommt wie gerufen.“
„Er wird von oben gesehen haben, worauf es ankommt.“
In der Tat lief Scholte in seiner gewohnten trabenden Weise ins Tal hinunter und eine Strecke an der Wiese entlang, untersuchte den Grund durch Springen und steckte eine Rute ein, eilte weiter und steckte die zweite Rute ein.
„Die Writbüsche und Weiden reichen ihm über den Kopf, das ist seine Deckung. Da knickt er die Zweige ein, wahrlich, der versteht’s.“
„Es sieht aus, als ob Kühe hier und da sich Pfade durch den Grund getreten haben.“
„Wo ‘ne alte Kuh mit ihren breiten Klauen durchkommt, kann Pferd und Reiter doch noch Unglück haben. - Wo ist er jetzt?“
„Ganz untergetaucht; er hat sein Taschentuch an einen Stock gebunden und winkt.“
„Können Sie sich die Stelle merken? Da liegt die Hauptschwierigkeit.“
„Jawohl, Herr Oberst. Nun kommt er wieder höher, da ist sein Kopf, aber es wird drüben das Gras verzweifelt kurz, da - die Schützen halten auf ihn.“
„Eigentlich müßten wir den Mann mit uns nehmen, er ist sehr brauchbar. - Ja, ja, sie schießen.“
„Er steckt wieder Ruten. - Nun hat er schon festern Grund.“
„Wahrhaftig, er ist durch. Da steht er und winkt vergnügt, als wäre er ganz sicher. Na, na, nur nicht zu dreist.“
Ein einzelner Schuß, Scholte warf die Arme hoch, fiel dann auf das Gesicht in das Gras und lag ganz still.
„Schade um den wackern Mann.“
„Nicht doch! Er ist in strahlender Freude für die gute Sache dahingegangen, was will ein Mann mehr? Kommen wir zum Angriff, dann wollen wir ihm seine Denkschrift in die Gesichter der Franzosen einmeißeln. - Sie reiten voran und zeigen uns den Weg.“
Beide kehrten dahin zurück, wo das Regiment in einer Erwartung harrte, die sich inzwischen von Minute zu Minute gesteigert hatte. Plötzlich rief Hinnick: „Da kommt er, ich sehe ihn.“
„Wo, wo?“ „Etwas nach links, da hinter dem Hügel kommt er hoch.“
„Ja richtig, er schwenkt den Arm.“ „Habt ihr’s gesehen?“ „Ja, ja, aber nun ist er schon wieder in dem Grunde.“
„Seht die Pfannen und Steine nach!“ Das Kommando scholl klar, die Pferde schlugen ungeduldig in dem kurzen Rasen Schollen los, die Reiter merkten froh, daß sie genau Fühlung mit den Tieren hatten. Alle spähten gespannt nach der Mühle aus, dort mußte der mutige Reiter bald erscheinen. Hurra, da war er. Hurra, er schwenkte lustig den rechten Arm - hopp über eine Tonne, vorbei an den toten Pferden, immer mit frohem Armschwenken.
Noch einmal brüllte drüben Geschütz wild auf, die letzten Granaten zersprangen krachend, dann schwieg es.
Jochen stürmte in langen Sätzen zum Regiment heran, aber der Sattel war leer, der Reiter lag bei der Mühle unter den Toten.
„Herr Wachtmeister, nun kommen wir!“ Hinnick raunte es mit heiserer Stimme.
Der Oberst sprengte an die Spitze und hob den Säbel. „Richt euch! Zügel kurz, Faustriemen über die Hand! - Ganzes Regiment marsch! - Trab!“
Der Stabstrompeter schmetterte das Signal, die andern nahmen es auf. Ohne Verlust kam man über die freie Fläche, an dem Wiesenrande mußte man aber schon wieder vorsichtigen Tritt wählen, der Adjutant ritt eine Strecke vorauf, zu dreien folgte die Kolonne, so wand sich der Zug durch den Grund.
Die Franzosen drüben hatten ihren Spott mit dem Versuch und freuten sich auf den Augenblick, daß sie über die Festsitzenden lachen konnten; so unterließen sie alle Vorsicht und Ordnung und legten sich auf das Warten. Als das Unerhörte geschah, daß das Regiment den Grund bezwang, begann man verdutzt das Besinnen.
„Im Trab ausmarschiert!“ Die Husaren zogen sich, rechts abschwenkend, am Rande der Wiese hin. „Halt, Front!“ Der Oberst sprengte vor.
„Na, Mecklenburger, die da drüben haben bei uns manchen Schinken im Salz, zeigt ihnen, daß ihr ihn ausheben könnt. Die Pferde haben heute gut gefuttert und ihr auch, der Speck hält noch vor. Und nun kommt den verdammten Poggenfressern mal gut mecklenburgisch. Immer geschlossen, Bügel an Bügel im Anritt, dann über sie wie ein heiliges Donnerwetter. Wer bei der Attacke vor mir unter ihnen ist, dem schenke ich meine Pfeife.“
Sie kannten die Pfeife alle, der Kopf war von Meerschaum, der Oberst hielt große Stücke darauf.
„Gewehr auf! Ganzes Regiment Trab!“
Stramm saßen die Husaren, leise klirrten die Bügel, mutig schnoben die Pferde. Einzelne Schützen sprangen hinter niedrigen Büschen auf, man ritt sie nieder, ohne aus der Richtung zu kommen, nur daß hier und da ein Unteroffizier zur Seite langte, wo ein Kerl noch schießen wollte, und ihn nebenher abtat. Der Oberst sah zurück und freute sich der prächtigen Front. Dann hob er mit einem Ruck den Säbel.
„Zur Attacke - marsch marsch!“
Wieder schmetterte das Signal den Befehl hinaus, die Schwadronen nahmen ihn auf. Im nächsten Augenblick donnerten die Hufe in rasendem Galopp über den Grund, Warburg weit voran; ihn bangte nicht um seine Pfeife, aber sein Herz jubelte, er kannte seine Leute.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!