- 10 - Der Donner der Geschütze verstärkte sich, hart über die Reiter fuhr ein merkwürdiges Sausen hin, ...

Der Donner der Geschütze verstärkte sich, hart über die Reiter fuhr ein merkwürdiges Sausen hin, sie bückten sich alle in unwillkürlicher Achtung. Wieder ein heulendes Schwirren, man sah seitwärts aus einigen Stellen den Sand hoch aussprühen und hatte das Gefühl, daß die nächste Kugel in die Reitermasse fahren müßte: um sich der unheimlichen Nähe zu entziehen, verfiel die Spitze in Trab, und alle folgten.
„Zum Himmeldonnerwetter, Schritt!“ befahl der Oberst, „halt, Front!“ Er ritt langsam an der Reihe entlang, unbekümmert um das sich immer mehr verstärkende Brummen und Summen und Prasseln und Knattern, scharf musterte er das Gesicht der einzelnen Reiter, jeder bemühte sich vorschriftsgemäß auszusehen, nur daß es nicht allen gelang.
„Sitzt ab! Sattel und Steigriemen nachsehen! Die Wachtmeister schreiben jeden an, der sein Riemenzeug loddrig hat, der soll heute nicht mit tun, sondern sein Pferd hinterher führen. - Sitzt auf!“
Gerade jetzt fuhren zwei Batterien, die sich mühsam auf dem gefundenen Wege unter Leitung des zurückgelaufenen unermüdlichen Scholte durchgearbeitet hatten, vorhei „Wir wollen Luft machen,“ rief der Major herrüber, Scholle trabte vergnügt lachend neben ihm her.
„Danke,“ rief der Oberst zurück, „der Pust ist uns sonst gerade noch nicht knapp.“
Die Kanonen waren rasch auf den Hügel, der mehrere tausend Schritte weiter rechts lag, hinaufgebracht, alsbald donnerten sie ihre Ladung nach der andern Seite. „Rechts schwenkt, marsch!“ Den Husaren war die Deckung der Batterien auferlegt, darum rückten sie im Schritt nach.
„Sieh einmal dort links hin,“ sagte Matthies zu Hinnick, „da liegen die Ostpreußen alle platt am Boden, die haben Absichten auf Bleddin.“
„Wie die Katze auf die Maus,“ war die Antwort.
„Bei der Mühle ist es hart hergegangen, die haben sie wohl stürmen müssen.“
In der Richtung vor Bleddin, das man nicht genau sehen konnte, lag eine Mühle arg zerschossen, nur zwei Flügel hingen noch daran, auch diese waren geknickt. Der Müller hatte anscheinend in Eile noch Mehl abfahren wollen, aber eine französische Granate hatte Pferde, Wagen und Fuhrmann zerschmettert, die lagen mitten unter Toten und Verwundeten, und das Mauerwerk bildete überall nur eine grausige Trümmerstätte.
„Sie schießen noch immer hinein und meinen wohl, daß die Ostpreußen darin liegen.“
Schramm! Da fuhr wieder eine Kanonenkugel über den Köpfen hin und wurde mit höflichem Verbeugen begrüßt, immer drohender donnerten die Feinde ihre Grüße herüber, hart in die beiden eifrig feuernden Batterien hinein, vielleicht hatten sie auch den Stand der Husaren erforscht.
Seitwärts auf leicht ansteigendem Terrain lag eine Pflaumenbaumpflanzung mit einem dichten Zaun sorgsam eingefaßt; da die Stellung dort gedeckter schien, so befahl der Oberst hineinzurücken. Im Nu war der Zaun niedergelegt, die Husaren hielten unter den Bäumen, und als sie entdeckt hatten, daß die Pflaumen recht süß waren, langten sie eifrig in die Zweige.
,,Da hab ich wahrhaftig ‘n Stein runtergeschluckt,“ sagte einer etwas würgend.
„Das macht nichts, als Kind hab ich mal dreißig Kirschkerne gegessen und ‘n Schilling damit verdient.“
„Hättest wohl etwas anderes verdient, was auch vom Baum stammt.“
„Bei den Pflaumensteinen sollte er das wohl sein lassen, die kratzen eklig.“ Der Sprecher langte gerade hoch über sich in die Zweige und stand in den Bügeln, da kam eine Vollkugel, schlug hart irgendwo auf, setzte ab, fuhr seinem Pferde gegen das rechte Oberbein und durchschlug es mit einem Krachen, das den Husaren durch Mark und Bein ging. Der Pflaumenpflücker, der unwillkürlich über sich in die Zweige gegriffen hatte, hing plötzlich in der Luft und schwenkte unruhig seine Beine.
„Absalom, Absalom!“ rief jemand, und ein befreiendes Lachen ging durch den Haufen.
Wieder fuhr eine Kugel heran und prasselnd gegen den tragenden Zweig, da lag der Husar verdutzt unten, mit abermaligem Lachen begrüßt.
„Gib ihm den Gnadenschuß,“ sagte der Oberst kurz. Die Pistole wurde hinter das Ohr des Tieres gesetzt, und es war schnell von seinem Leiden befreit. Ader der Verlust ging dem Reiter ans Herz, er klopfte den Hals des Gefährten und sagte mit zuckenden Lippen: „Olling, Olling, wer hätt’ das noch vor’m Augenblick gedacht! Wir haben treu zusammengehalten, aber besser ist besser, und umgekehrt wär’s doch wohl schlechter gewesen, daß du dort oben gehängt hättest, und ich hätte hier unten gelegen.“ Lange konnte er es nicht begreifen, warum man seinen wehmütigen Nachruf wieder mit Lachen aufnahm.
Auch ein Leutnant langte in die Pflaumen. „Es scheint, als wollten Sie den Nachtisch vorweg nehmen, Herr Leutnant,“ sagte Warburg, „das Hauptfressen kommt erst. Was meinen Sie, sollte man dort von jenem Hügel an dem Pulverdampfe vorübersehen können? Ich möchte wissen, wie es drüben aussieht.“
Der Aufgeforderte sprengte sofort der entfernteren Höbe zu, bald sah man ihn frei halten.
„Da liegt er!“ Roß und Mann waren am Boden.
„Nein, er hält schon wieder.“
In der Tat saß der Leutnant aufrecht und spähte scharf hinauf auf den Feind. Es dröhnte jetzt so mächtig, als ob die Franzosen alle ihre Macht hier aufbieten wollten, um jeden Gedanken an einen Angriff niederschlagen.
„Sieh doch, wie die Kugeln dort wühlen, sie haben ihn auf den Kieker.“
„Nun liegt er aber fest nieder.“
„Er hält schon wieder.“
Drüben aus der Richtung von Bleddin knatterten Bataillonssalven schnell hintereinander, das Dorf konnte man nicht beobachten, aber man hörte deutlich das Hurra der Stürmenden.
„Es kommt die Sache zum Schluß, die Ostpreußen beißen an.“
„Wir kriegen am Ende nichts mehr zu tun.“
Nach einer Weile kam der Leutnant zurückgejagt. „Sie wollten uns wohl ein neues Exerzitium vormachen, Herr Leutnant,“ rief ihm der Oberst von Warburg lachend entgegen.
„Mein Gaul ist nervös geworden,“ lautete die Antwort, ,,schlug eine Kugel unter ihm in den Sand, so brach er vor Schreck auf allen vier Beinen zugleich zusammen, er muß das Laufen erst wieder lernen. Drüben rührt sich etwas Besonderes, es scheint, als wollte man die Artillerie in Sicherheit bringen, sie schieben Dragoner vor, einzelne Schützen legen sich an den Rand des Hanges. Es ist übrigens für uns wohl nichts zu machen, eine breite Wiese liegt im Grunde vor uns, die sieht so aus, als wäre sie für Pferde ganz unpassierbar.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!