- 09 - „Werde ich tun, wie du auch abwinkst, heraus soll das und muß das. Meinst du, daß es für die andern gut ist, ...

„Werde ich tun, wie du auch abwinkst, heraus soll das und muß das. Meinst du, daß es für die andern gut ist, wenn du immer mit solchem Gesicht herumziehst, als wärst du der Welt gram? Hast du in etwas gesündigt, so kannst du es heute mit deinem Leben wieder ausgleichen. Wie sagte der Pastor in Strelitz? Niemand hat größere Liebe, als der sein Leben läßt für seine Brüder.“
„Pah, mein Leben! das gebe ich gern hin.“
„Wohin? Wer, meinst du, soll es so, wie du es führst, ausnehmen? Unser Herrgott doch nicht, für den ist es so lange nicht gut genug.“
Matthies kämpfte mit sich, endlich sagte er mit gepreßter Stimme: „Einer soll es wissen, und der Nächste bist du. Hör zu und sag mir dann, ob ich nicht ein elender Mensch bin.“ Er erzählte kurz sein Erlebnis und sah dann wieder hinaus in die leere Ferne. Der getreue Hinnick aber rief. „Das hat sie getan und ist doch nur eine kleine Handvoll von Mädchen? Matthies, Matthies, wenn sie dich nun hier so sähe! - Mensch, so bedenke doch, sie hat dich gesucht, weil sie dich lieb hat, ja, ja, gerade darum! und soll ich es dir zum Trotz sagen, sie hat dich lieb. Aber als es galt, da fragte sie nicht nach dir und nicht nach sich, nicht nach Leben und Sterben, sondern allein nach Pflicht und Schuldigkeit.“
„Das ist es ja gerade, Hinnick, daß sie so hoch steht, und ich bin ein so erbärmlicher Wicht.“
,,Aber, Menschenkind, hast du sie denn nicht verstanden? Pascholl hat sie gesagt.“
„Ja, das hat sie, ich hab’s gehört, aber was hilft mir das?“
„Muß ich dir das erst zweilang, zweibreit deuten? Das ist ein kurzes Wort, aber bei ihr hatte es einen langen Sinn: das heißt: ?Ich bin da, und ich bin dir gut und hab dich lieb, gerade noch so wie früher, als wir das Wort mit Spaßen von der Lausangel von Kosak lernten.? Pascholl, Matthies, pascholl! Wir wollen noch einst froh über den heutigen Tag sprechen, ob hier unten oder dort oben, das steht bei Ihm da: bei uns aber sind heute Säbel und Pferd alles, sieh deinen Jochen an, wie er dich anstößt. Behält Eva ihr Leben und du fällst, dann lobt sie stolz deinen Tod. Und ist sie tot und du lebst, kommt sie dir dort einst freundlich entgegen. Und lebt ihr beide, dann pascholl! Kopf hoch, Matthies! Der Morgen ist da, der Wind weht frisch. Sieh, dort zeigt sich schon ein roter Saum. O, das wird heute ein schöner Tag.“
Im Grunde floß unter hohen Baumkronen ein breiter Bach in raschem Laufe der Elster zu. Matthies saß auf und lenkte, ohne ein Wort zu sagen, seinen Jochen hinab zu dem Wasser und ließ die Zügel in der Tränke locker, Hinnick sah ihm aufmerksam nach, er bemerkte, daß sein Freund den Tschako abnahm und sein Haupt neigte zur stillen Rede mit dem da droben. Auf den mit Nebeln ringenden Morgenstrahlen der Oktobersonne glitten aus fern gelegenen Dörfern Glockenklänge feierlich heran - es war Sonntag. - Als Matthies zurückkam, nickte er dem Freunde nur still zu, aber sein Blick war klar und seine Haltung fest.
Vom Walde herüber scholl Trompetenklang, das Regiment zog aus dem Biwak in die Ebene, hinter ihm loderten die Hütten auf, die Pferde schnoben munter in den frischen Morgen hinein; einige Reiter stimmten ihr Marschlied an ?Hans Michel mahnt in de Lämmerstrat?, aber es wurde Ruhe im Glied geboten, weil drüben keiner unnötig wachgerufen werden sollte. Von allen Seiten sah man die langen Kolonnen dem gemeinsamen Ziele, der Brücke, zustreben, das Regiment mußte am Elbufer halten, bis seine Zeit zum Übergange kam. Gemütlich sahen sich die Husaren das bunte Treiben an, die meisten holten Speck und Brot heraus und begannen auf Vorrat zu essen. Drüben zwischen den Erlenbüschen fiel ein Schuß, und aus einem schilfbewachsenen Tümpel flogen hastig einige Enten auf.
„Das wird heute wieder nichts,“ sagte jemand, ,,da kann ja noch einer auf Entenjagd gehen.“ Aber im nächsten Augenblick prasselte und knatterte es jenseits in vollen Salven, im Nu waren die Büsche, die dort in Massen standen, in Pulverdampf gehüllt, und mit schweren dumpfen Schlägen mischten sich die Kanonen in den erwachten Lärm. Da verstummten die Husaren, horchten und vergaßen das Essen. Immer neue Kolonnen zogen über den Strom, dann erhielt der Oberst von Warbilrg sein Zeichen. „Sitzt ab!“ Über die Pontonbrücke durfte ein Reiter sein Pferd nur am Zügel führen.
Vor Wartenburg, dem nächsten Dorfe drüben, lag ein langer Damm, der die Ausbuchtung der Elbe als Sehne abschnitt und das Dorf mit seinem tiefliegenden Lande gegen die Überschwemmungen schützte. Dort kämpfte die Infanterie einen schweren Kampf, denn das ganze Vorland war von Lachen und Pfützen, toten tiefen Elbarmen und Wiesen durchsetzt und ungangbar, Erlen- und Weidengebüsch erschwerte die Übersicht, und für die Infanterie war ein gerades Vordringen unmöglich, der Angriff in der Front geriet ins Stocken, und Verwundete, die sich zurückschleppten, erzählten, daß gerade vor dem Damm die Wiesen grundlos schienen, die Schüsse der gedeckt liegendem Franzosen würfen jeden um, der das Gebüsch verließe. Das Husarenregiment erhielt Befehl, sich nach links zu ziehen und womöglich einer nachfolgenden Batterie den Weg zu sichern. Hierhin und dorthin eilten Offiziere voraus, sie kamen immer achselzuckend zurück, ihre Pferde waren bis an die Knie in die Motte gefallen und nur mühsam zurückgebracht.
,,Zum Donner,“ fluchte Warburg, ,,es muß durchzukommen sein, da sind doch andere vor uns schon durch.“ „Infanterie, Herr Oberst.“
„Der Frontangriff ist unmöglich, also muß der Flankenangriff es machen, der General sieht auf uns, Herr Leutnant von Grävenitz, reiten Sie -“
In diesem Augenblick schnellte hinter einem Busch eine kleine Gestalt hoch und schrie: „Herr Oberst, hier geht es für Pferde.“ Gleich darauf kroch oder lief oder fiel jemand heraus und sprang und winkte; alle sahen ihm belustigt zu, wie er so herankam.
„Scholte!“ rief Matthies, der nahe hinter dem Oberst hielt, in höchstem Erstaunen. „Matthies, Matthies!“ Der bewegliche Mann rannte heran und schüttelte dem Unter-Offizier die Hand.
„Haben Sie Nachricht aus Gadebusch?“ fragte der hastig.
„Hscht, hscht! nenne das Wort nicht so laut,“ sagte Scholte besorgt, und zutraulich sich an das Pferd lehnend setzte er mit gedämpfter Stimme hinzu: „Hat sie sich hier irgendwo sehen lassen?“
„Wer denn? wen meinen Sie?“
„Meine Frau, Matthies, du kennst sie doch? so groß, daß sie dich in die Tasche stecken könnte und unter jedem Arm noch einen Husaren mitnehmen.“
„Die ist es, die? Also doch!“ rief Matthies überrascht, „freilich, die habe ich vor einigen Wochen bei der schlesischen Armee gesehen.“
„Ja, ja, sie ist natürlich wieder hinter mir her, aber kriegen laß ich mich nicht, hierher kommt sie nicht, sie kann das Schießen nicht vertragen.“ Scholte lachte vergnügt über seine Schlauheit und ließ aus den Augenwinkeln gleichsam Falten nach allen Richtungen über das Gesicht schießen „Herr Oberst, ich habe eine für Pferde gangbare Stelle gefunden.“
„Kann man dem Mann trauen, Unteroffizier Trautmann?“ fragte der Oberst, der die Unterhaltung beobachtet. hatte.
„Wie mir selbst, Herr Oberst, er war mein Lehrherr und hat oft als Anführer der Pascher merkwürdigen Ortssinn bewiesen.“
„Vorwärts! Herr Leutnant von Grävenitz, prüfen Sie hinter ihm den Weg.“
Scholte führte behende um die Lachen und Tümpel herum und durch die Büsche, zuweilen winkte er zurück, dann lief er allein und suchte, prüfte durch Springen die Haltbarkeit des Grundes und winkte wieder vorwärts; so durchdrang man das tückische Vorland und gelangte auf eine freie Fläche. Weit drüben waren Hügel, auf denen die vom Feinde besetzten Dörfer Bleddin und Globin lagen, aber auch diesseits fanden sich schon Hügel links und rechts, das Regiment zog zwischen ihnen auf festem Talgrund.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!