- 08 - „Ich melde, daß alle hier ihre Pflicht getan haben bis auf den letzten Mann,“ lautete die mühsam ...

„Ich melde, daß alle hier ihre Pflicht getan haben bis auf den letzten Mann,“ lautete die mühsam hervorgebrachte Antwort, „und ich bin allein übrig geblieben, damit ich es ansagen kann.“ Die letzten Worte waren kaum noch vernehmbar, das Gewehr entglitt ihrer Hand, und sie stürzte in sich zusammen.
Unsicher, fragend sah Blücher sie an und sah um sich. Da lagen sie, wie sie gestanden und gestritten hatten, alle auf ihrem Posten gefallen, und die Menge der vorgelagerten Gegner zeigte, wie tapfer sie sich gehalten hatten. Schweigend legte er die Hand an die Feldmütze und gab ihnen, was ihnen gebührte.
Mit verhängtem Zügel kam ein Husarenunteroffizier daher. „Der Oberst von Warburg läßt melden, daß der Feind überall durch den Sumpf zurückgeworfen ist.“
„Pascholl!“ Eine liebe Stimme hauchte es ganz leise, aber der Unteroffizier vernahm es doch und fuhr zusammen. Und wie im Ersterben noch einmal: „Pascholl!“
„Ist das ‘ne Art für so ‘n Mann, so ‘n Kind so anzufahren? Das hat hier mehr getan als mancher General mit seinem Donnerwettern in ‘ner Schlacht.“ Frau Scholte war herbeigekommen. „Ich denke sonst immer, ich kann sie zusammenknutschen und in die Tasche stecken, so klein ist sie, und da fährt sie mir aus dem Wagen und mitten zwischen die Soldaten, daß sie bleiben und den Platz halten, und alle gehorchen ihr. Ich traue meinen Augen nicht, wie sie so dasteht und das Gewehr ladet. Und dafür nun so? Da ist es kein Wunder, wenn sie zuletzt bei so ‘ner Anschnauzerei beschwiemt.“ Sie hatte offenbar erst vor kurzem ihr Tuch vom Kopf genommen und von der Verwundung nichts gesehen.
„Dat is keene Ohnmacht nich,“ sagte Blücher, „dat is viel wat Schlimmeres, das Mädchen blutet stark. Unteroffizier, helfen Sie ihr auf’n Wagen bringen, un dann melden Sie sofort dem Oberst von Warburg meinen Dank, er soll nich in ‘n Sumpf rin reiten. Mutter Scholte, hier is Geld, bring mich das Mädchen weg un rette sie, dat is noch wat Bessers, as Marketendersch sein.“
„Das Geld nehm ich nicht, und was ich zu tun habe, weiß ich allein, und kommandieren laß ich mir nicht,“ antwortete sie kurz.
Matthies war vom Pferde gesprungen und sah nun mit Entsetzen das rinnende Blut, ihm schien es, als ob sein Herz stillstände und der Wald sich um ihn drehte, er konnte die kleine schlaffe Hand kaum halten. Frau Scholte verschluckte ihre Tränen und flüsterte nur: „Mein Kleining, mein mutiges treues Kleining, dein Matthies ist da - und du -“
Ganz allein hob sie die Besinnungslose auf, Matthies ging nebenher. Blücher wandte sich ab und ritt davon, kehrte jedoch wieder zum Wagen um. „Mutter Scholte,“ sagte er milde, „dat von vorhin - dat liegt mir hart in meine alten Knochen. Wenn du ihr dat so beibringen könntest, dat wäre vor mir ‘n gutes Ding. Ick bin so ‘n Bullerjahn, un nu hab ick vor dat feine Mädchen ‘n schlechten Dank gehabt.“
Frau Scholle nickte einfach, sprechen konnte sie nicht, sonst wären ihr die Tränen herausgebrochen, und sie wollte nicht weinen, denn sie mußte sich jetzt ja vor allem einen klaren Blick für ihr Kleining bewahren.
Man hörte aus der Ferne die Trompeten zum Sammeln blasen, der eiserne Dienst rief, Matthies ging zu Jochen zurück; dabei mußte er an dem Offizier vorbei, den er niedergehauen hatte. Sein eigenes Herzeleid machte ihn weich, er gönnte dem Tapfern einen Blick; daß der nicht wieder aufstehen würde, hatte ihm schon der gute Klang seines Säbels gesagt. Jetzt schien es ihm so, als ob der Oberst ihn bittend ansähe, er beugle sich zu ihm nieder.
„Daran bin ich nicht schuld,“ flüsterte der Sterbende, „aber daß ich damals - das Haus plündern ließ - weil das Mädchen mir entsprang - ich habe kein Glück mehr gehabt - sagen Sie ihr das - und dies - ist das Ende.“ Dann war er still.
Schwerfällig erhob sich Matthies, schwerfällig bestieg er Jochen und ritt davon. Als er seine Meldung machte, fragle ihn der Oberst. „Sind Sie verwundet? nein? Sie sehen so aus, als halten Sie Gespenster am hellichten Tage gesehen.“ Matthies schüttelte nur den Kopf. Ein kurzes Kommando, schmetternde Signale, Infanterie rückte an zur Besetzung der Übergänge, die Husaren zogen weiter, kaum daß sie noch einen Blick zum Gehölz hinüberwerfen konnten.
Napoleon hatte den letzten Vorstoß versucht, nun mußte er das schlesische Heer aufgeben, um nach Dresden zu eilen; das Nachlassen des kraftvollen Drängens ließ das sofort den schlauen Gegner erraten, Blücher wandte sich, und die Franzosen wichen langsam zurück. Der Ungeduld des alten tapfern Husaren ging hinfort alles zu schleppend. Schwarzenberg wollte nicht hinter den böhmischen Bergen in die sächsische Ebene hinaus, Bernadotte gaukelte und schwankle, versichete und hiet nichts und war nicht über die Elbe zu bringen. Kurz erschlossen schwenkte da der Ungestüme ab und beschloß, den Flußübergang seinerseits zu erzwingen, die Verleidigungslinie seines Gegners so zu durchbrechen und die andern Heere dadurch zu nötigen, ihre Zurückhaltung aufzugeben. Die Strelitzer Husaren wurden lebhaft in Anspruch genommen, und dem einzelnen war kaum Zeit zur Besinnung gegeben.
In der Nacht zum dritten Oktober lag das Regiment diesseits der Elbe in einem Walde; aus dem benachbarten Dorfe hatte man einige Fuhren Stroh gewinnen können, um daraus mit Hilfe von allerlei Gezweig Hütten zu bauen, der Oberst sah mit Eifer auf gute Verpflegung von Mann und Roß, denn er wußte, daß ein Hauptschlag bevorstand, Leute, die nach Elster zum Requirieren geschickt waren, hatten berichtet, daß die Elbbrücke fertig sei und alles zum Ubergange bereit.
Matthies war mit drei Gemeinen, darunter Hinnick, in der Nacht auf Patrouille geschickt mit dem Auftrage, besonders Bewegungen auf und an dem Flusse sorgsam zu beobachten, sich selbst mit seinen Leuten aber nicht sehen zu lassen. Nun stand er hinter einem Hügel auf freiem weitem Felde neben dem Freunde, die beiden andern Husaren waren zu Fuß abgeschickt, sich jenseits des Hügels hinter Gebüsch aufzustellen, ihre Pferde hatten sie zurückgelassen. Auch Matthies und Hinnick waren abgestiegen, um die Tiere zu schonen, man ahnte, daß der kommende Tag sie besonders in Anspruch nehmen würde. Matthias lehnte sich auf Jochen, den Tschako hatte er von der Stirn zurückgeschoben, so spähte er in den nahenden Morgen hinaus, über seinen Zügen lag eine düstere Wolke. Hinnick, der ihn in der letzten Zeit immer wieder heimlich beobachtet hatte, sah ihn hier unverwandt offen an in der Hoffnung, deswegen befragt zu werden, aber Matthies hatte kein Auge für ihn. Eine Zeitlang suchte der treue Mann nach dem rechten Anfang, wortkarg war er als echter Mecklenburger immer gewesen, und am allermeisten fiel ihm die Rede schwer, sobald er aus seinem Herzen heraus sprechen sollte, aber er fühlte doch, daß hier etwas gesagt werden mußte, was dem Freunde in seiner dunklen Bedrängnis helfen könnte. Endlich begann er: „Matthies, gibt’s heute ‘ne Schlacht, dann müßtest du anders aussehen.“
Der Angeredete wandte sich seufzend zu ihm herum und sah ihn an, als wären seine Gedanken in weiter Ferne, und antwortete nicht.
„Ich wollte, daß es endlich losginge,“ begann Hinnick wieder.
„Und ich wollte, daß alles vorbei wäre.“ Matthies sprach es seitwärts gleichsam in die Luft.
Hinnicks harter Kopf überlegte, dann begann er einen neuen Angriff. „Bist du krank, daß du dich so anstellst?“
„Ja, mir frißt etwas da drinnen, und ich kann es doch niemandem sagen, was es ist, ich möchte vor Scham vergehen und mir die Pistole vor den Kopf setzen.“
„Schäm dich, Matthies, bist ja gar kein rechter Kerl mehr.“
„Quäl du mich auch noch, ich habe doch so schon genug.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!