- 07 - „Nein, o nein!“ Eva rief’s, sie war aus dem Wagen gesprungen und lief heran. „Der General ...

„Nein, o nein!“ Eva rief’s, sie war aus dem Wagen gesprungen und lief heran. „Der General hat sich auf euch verlassen.“
„Kleining, um Gottes willen, komm her, wir müssen fort.“
„Der General -“ stotterte der Feldwebel, der das junge Mädchen völlig verdutzt ansah, das plötzlich flammenden Blickes vor ihm stand.
„Auf das Halten dieses Platzes kommt viel an, haben Sie ihn nicht verstanden?“
„Aber was will er - was sollen wir - wir müssen doch -“
„Bleiben, schießen, den Platz halten, bis Hilfe kommt, das will er. Die Hälfte ladet, die Hälfte schießt, so scheint sich die Anzahl zu verdoppeln.“
„Aber Mädchen, wir können doch nicht -“
„Deckung nehmen, nahe herankommen lassen, jeder seinen Mann treffen, das könnt ihr, und das erwartet Blücher.“ Eva war es, als ob der Jäger aus dem Hinterhalte bei Kleinen ihr die Worte eingebe.
„Das ist recht.“ - „Nehmt eure Gewehre bereit.“ - “Unsinn, wie soll -“
„Bei Gott, das Mädchen hat recht,“ rief der Feldwebel plötzlich entschlossen, „mag kommen, was will, wir bleiben. Der erste Zug nimmt gute Deckung hinter Stamm oder Wall, der zweite ladet und gibt die Gewehre und tritt in Notfall ein. - Marsch! - Sie kommen, der Wind scheucht den Nebel. Wir wollen dem Alten zeigen, daß wir auch hier auf das Blatt treffen können. - Ruhige Hand, Leute, jeder auf seinen Mann sicher. - Fünfzig Schritt - Feuer!“
Ein einziger Feuerstrahl, der furchtbar in die Masse schlug! aber die Franzosen drängten sofort nach, sie mochten wohl erfahren haben, daß sie es hier nur mit einer Feldwache zu tun hatten. Abermals der grelle Blitz, der schrecklich traf. Das machte stutzen. War der wichtige Waldhügel doch stark besetzt? Das Zögern genügte für neues Laden. Drüben eine klare Kommandostimme, Eva duckte unter ihr sichtlich zusammen, eine feindliche Salve, daß die Stämme krachten, und die Kugeln pfiffen. Ein Mecklenburger, der hinter seinem Baume herausgetreten war, um bequemer zu schießen, drehte sich rund um und schlug nieder, in die Lücke trat der Hintermann und sah sich nach einem Lader um, da stand Eva, faßte das Gewehr des Toten, nahm seine Patronen und lud, wie sie es von Ollhöft gelernt hatte.
„Herr Jesus, Kleining, Kleining!“ jammerte die große Frau im Hintergrunde entsetzt, „was fang ich an? nein, nein, ich kann doch hier nicht runter.“ Sie schrie gellend auf, denn neben ihr war eine Kugel in den Stamm gefahren. „Ich kann das Schießen nicht vertragen, erbarm dich doch, Kleining, und hilf mir.“ Als alles Jammern nichts half, verhüllte sie den Kopf mit einem dicken Tuch. Das Pferd schüttelte nur einige Male die Ohren, wenn die Äste von oben zu sehr flogen.
Die einzelnen Außenposten, die, sobald sie das Schießen gehört, sich auf die Feldwache zurückgezogen hatten, traten ein und taten ihre Schuldigkeit wie selbstverständlich. Vor den Reihen der Franzosen lagen Tote und Verwundete dicht gesäet, aber der feindliche Oberst, der wußte, daß Napoleon ungeduldig auf Nachricht wartete, daß auf dem Waldhügel feste Stellung für weitere Handlung gewonnen, trieb zum Vorgehen.
Näher, immer näher an die kleine Schar, die sich dem Untergange geweiht hatte, auch die Gegner zielten schon, hier und dort fielen Deutsche hintenüber oder stürzten lautlos auf das Gesicht, einer lief laut rufend einige Schritte zurück: „Schießt, schießt!“ dann brach er erst zusammen, ein anderer schnellte aus seiner knienden Stellung auf, warf sich auf die Seite, schrie geltend und wälzte sich. Dünner wurden die Reihen, mancher Verwundete versuchte noch zu schießen, konnte aber das Gewehr nicht mehr hoch bringen. Jetzt fiel der Vordermann Eva gerade vor die Füße. Die laute entschlossene Stimme ganz nahe: „En avant!“ Wieder zuckte Eva zusammen - Bajonette klirrten - da war es aus, da fielen die letzten.
Unwillkürlich hielt die tapfere Kämpferin das Gewehr fest, ihre Mütze war von einer Kugel ihr abgerissen, ihr Gesicht war frei, und flammenden Blicks sah sie dem Offizier entgegen. Der stutzte und schüttelte den Kopf, sie stieß in heißem Zorn heftig gegen ihn vor, aber er lenkte das Bajonett spielend weg und machte ein abwinkendes Zeichen. Wem galt es? Der heranspringende französische Soldat verstand oder beachtete es nicht, er stieß sein Bajonett Eva in die Seite, so daß sie lautlos fiel.
In diesem Augenblick, wo die Franzosen gerade den äußersten Waldrand gewonnen hatten und zur Besetzung des Hügels sich anschickten, jagten deutsche Husaren heran; das Unerhörte geschah, daß sie das Waldgefecht gegen Infanterie aufnahmen, mochte werden, was wollte, jeder Augenblick, der den Feind festhielt, war Gewinn. Zum Glück waren die Stämme licht, immer neue Reiter stürmten vor, Säbel gegen Bajonett, ein wütendes Ringen, Krachen, Schreien, Kammandos. Die Husaren warfen flink ihre Pferde hierhin und dorthin, sie hatten Reiten gelernt, ihre Hiebe waren schon längst keine Sauhiebe mehr.
Hurra! ein Unteroffizier jagte gegen den französischen Oberst heran, ein Wutschrei - den sollte er nicht kennen? dessen höhnisches Gesicht hatte ihn auf Schritt und Tritt verfolgt, tausend Flüche hatte er ihm zugeschickt, ha, nun hatte er ihn vor der Klinge! Er holte aus, Säbel klirrte an Säbel; hatte der Oberst ihn auch erkannt? oder war er sonst verwirrt gemacht? er focht unsicher, und Matthies war stark und wild und flink, der zog ihm die Klinge quer über das Gesicht, holte dann aus und schmetterte ihm einen wuchtigen Schlag von oben auf den Kopf der durch Käppi und Knochen drang.
Neue Reiter durch den Wald, andere schon um ihn herum, den Feinden in die Seiten, die zögerten noch und wehrten sich, dann wankten sie, und das Bataillon flutete zurück, hurra, die Husaren waren in ihrer Mitte, bevor sie ein Viereck bilden konnten; über die Ebene wälzten sich Knäuel Kämpfender und ballten sich dem Sumpf zu immer dichter, denn ein zweites Bataillon war im Anrücken, das kehrte wegen des gescheiterten Überfalls um, bald erhoben die Husaren am Sumpfrande überall ein frohes Siegesgeschrei, zwischen das noch die Schüsse der Abziehenden durch das Erlengestrüpp sich mischten.
In dem Gehölz war es kurze Zeit unheimlich still, man hörte nur Sterbende röcheln und Verwundete ächzen, dann jagte der General Blücher in ungestümer Fahrt heran. „Die Pest soll der Wache in die Kaldaunen fahren! Wo sind die Kerls? Schubjacks, Lumpenhunde, Schlafmützen! Millionen Schock Donnerwetter, ich laß sie alle krumm schließen und nach Hanse schicken, Hasenfüße will ich nich bei mir haben.“ Er schrie es in fürchterlichem Zorn, wie Donnerschläge flogen seine Flüche, er war ganz Feuer und Flamme.
Die kleine Mädchengestalt hatte sich bei seiner Ankunft mühsam erhoben, sie stand und stützte sich auf das Gewehr, so entdeckte er sie und fuhr auf sie ein: „Sagt ich es nicht? Pfui Deibel, was hast du dir so als das Mädchen vons Regiment? hast du dir hier als Solosänger eingestellt und die Kerls durch dein Dammeln von der Wache abgehalten? Pfui Deibel noch einmal.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!