- 06 - „Wie ist das Terrain darüber nach Süden?“ „Dreihundert Schritte flaches Feld, dann ein Sumpf, ...

„Wie ist das Terrain darüber nach Süden?“ „Dreihundert Schritte flaches Feld, dann ein Sumpf, der etwa fünfzig Schritte breit ist und am jenseitigen Bach sich hinzieht, er scheint unpassierbar.“
„Scheint? Das is mich nich genug, hast du überall versucht ihn abzuschreiten?“
„Nein, Exzellenz, hineingewesen bin ich nicht.“
„Dit is eine verflixte Stelle,“ sagte Blücher zu seinem Begleiter, „wenn der Bonaparte uns zu fassen kriegt und Hügel und Holz hier besetzt, dann kann er uns zum Schlagen zwingen oder uns von der Flanke auseinandersprengen. - Wohin geht der Bach, Feldwebel?“
„Das kann ich nicht sagen, Exzellenz.“
„Wat bist du denn von Haus aus?“
„Gutsjäger, Exzellenz.“
„Müßte dich also erst recht in dat Terrain nichts unklar geblieben sein. Jetzt merkt alle auf. Bach und Sumpf tun’s nicht, im Notfall nur euer Gewehr und sonst Augen und Ohren, die ihr jeden Augenblick offen haben müßt. Auf das Halten von diesen Platz kommt viel an. Taucht was Verdächtigs auf, gebt ihr Signalschüsse. Der Feldwebel nimmt jetzt sofort zwei Mann mit und untersucht genau den Sumpf, ob er auf die andere Seite kann und da drüben was vom Feinde spüren. Ich muß mich auf euch verlassen können wie auf mir selbst.“ Dann wandte Blücher sein Pferd und sagte im Reiten zu seinem Begleiter. „Merkwürdig, so ein Jäger macht zu Hause den Wechsel eines Rehbockes todsicher aus und trifft ihn aufs Blatt, aber ins Feld trifft er doch vorbei.“
„Zu Hause kann der Rehbock auch nicht wieder schießen.“ Mutter Scholte, die es nicht vertragen konnte, daß sie nicht beachtet wurde, rief es dreist von ihrem Sitze aus.
Hastig fuhr Blücher herum. „Mutter Scholte,“ sagte er scharf, „all, wat in Ordnung ist, sie gehört nicht hierher. Nun sie mal da ist, bleibt sie bis zur Ablösung, Schnaps wird kein Tropfen mehr verschenkt. Und dat die Patronensammlerin nicht welche von die Kerls da einsammeln will, dat bitte ich mir aus. - Feldwebel, der Posten, der den Wagen durchließ, wird in nächster Nacht vier Stunden an ‘n Baum gebunden, dat er aufpassen lernt.“ Er lenkte kurz sein Pferd herum und ritt davon.
Der Feldwebel ging verdrießlich mit zwei Mann in die Nacht hinaus, blieb aber nicht allzulange fort und warf sich nach der Rückkehr mürrisch am Boden nieder, die andern saßen schweigend und sahen vor sich hin, einer nach dem andern nahm sein Gewehr, prüfte die Pfanne, schob auch wohl einen neuen Stein ein.
„Das wetterleuchtete ja mächtig,“ flüsterte Frau Scholte Eva zu, „eingeschlagen hat’s zum Glück noch nicht. Leg dich jetzt da hinten auf deinen Platz, Kleining, und wickel dich gut ein, ich kann mich hier kommode anlehnen und schlafe gern im Sitzen. - Ist doch ‘n grober Kerl,“ murmelte sie später im Einnicken.
Es vergingen ein paar Stunden, dann merkte Eva, daß Frau Scholte sich rührte, setzte sich zu ihr und sagte: „Ich kann nicht mehr schlafen.“
„Ich auch nicht,“ lautete die Antwort, „mir ist von seiner Kratzbürstigkeit ordentlich huddelig geworden, das war ja, als ob er jeden Augenblick Feuer spucken wollte. - Horch, rührte sich da etwas? Alle guten Geister, Kleining, sieh doch, was ist das Weiße?“
„Morgennebel aus dem Grunde, Mutter Scholte,“ sagte Eva und schmiegte sich an die große Frau.
„Muß einen das so erschrecken! das zieht sich hin, als ob es mit langen Schleppen ginge. - Wie die Soldaten sich alle mit ihren Gewehren hatten! sie werden doch nicht daran denken, damit zu schießen? Knallen kann ich nicht vertragen, darum bin ich auch nie auf einen Königschuß gegangen. Da - hörst du? hörst du nichts? was knackt da?“
„Es ist ein Specht, der hackt am Baum. - Ach, Mutter Scholte -“
„Na, Kleining, du hast etwas auf dem Herzen, herunter damit.“
„Glaubst du an Ahnungen?“
„.Herr Gott in deine Hände, da bin ich doch ordentlich zusammengefahren, was meinst du damit?“
„Mir ist so froh zumute, als ob ich Matthies bald finden werde, eben träumte ich von ihm. Was er wahl sagt, wenn er mich sieht?“
„Nun ja, ist es nicht hier, dann ist es anderswo; der wird Augen machen, sag ich dir. Und freuen wird er sich, daß mein Kleining Wort gehalten hat und auch in den Krieg gegangen ist. - Ich will das Pferd füttern; bis es gefressen hat, ist es hell, und wir werden dann abgelöst. Nein, bleib nur sitzen, meine Kieke hole ich mir am liebsten selbst voll Kohlen, dann weiß ich, was ich habe, und das wärmt auch schon im voraus.“
Sie stieg bedächtig vom Wagen, versorgte das Pferd und ging dann zum Feuer. Als sie zurückkam, sagte sie. „Der Feldwebel sitzt da am Baum und schläft ganz fest, das gefällt mir nicht, er hat nicht mal gemerkt, daß ich Kohlen schaufelte. - So, Kind, nun wird mir wieder sacht zu Sinn, ich glaube, wir machen noch ‘n kleinen Wechsel, lehne dich bei mir an, ich falle davon nicht um.“
Bald schnarchte Frau Scholte gelinde, Eva sah in das Feuer und dachte an den Geliebten, der Specht hackte, als wollte er den Wald wecken, und die Luft wurde hell. Dann reckte sich gähnend der Feldwedel, sah um sich und stellte sest, daß schon Büchsenlicht für einen Schuß auf einen Rehbock vorhanden sei, nur daß die Morgennebel, die wie Wolkenballen hier und dort im Abziehen waren, den Fernblick unsicher machten.
Da schollen Schritte von hastig Laufenden, die Patrouille stürzte herbei und rief: „Auf, die Franzosen sind da!“
„Unmöglich! - Wie? wo? Unsinn. – Die Posten?“ so scholl es durcheinander.
„Da müssen Posten durch Anschleichen überfallen und still gemacht sein, am Sumpf liegt der Nebel noch dick, wir sahen daraus plötzlich Franzosen auftauchen und schlichen ab. Sie haben doch Wege gefunden.“
„Einzelne Franzosen? ihr habt Gespenster gesehen,“ sagte der Feldwebel ungläubig.
„Nein, in Massen, überall im Nebel die Köpfe, mehr als eine Kompagnie gewiß, sie folgen uns rasch.“
„Dann nützt hier kein Widerstand, wir geben die Signalschüsse ab und ziehen uns zurück.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!