- 05 - „Das ist ‘n Landsmann, Exzellenz, n echter Rostocker: noch einen? Vorrat ist da, wir sind gestern ...

„Das ist ‘n Landsmann, Exzellenz, n echter Rostocker: noch einen? Vorrat ist da, wir sind gestern erst angekommen.“
„Ne, ‘n andermal.“
„Hm, das sagt doch sonst kein Soldat, wer weiß, ob ‘n andermal noch was da ist.“
„Nur zu, aber dat soll mich die kleine Hand da selbst geben.“
Blücher, allzeit mit einem scharfen Blick für hübsche Frauen ausgerüstet, hatte ins Innere des Wagens gespäht, jetzt trat er hart an den Plan und starrte verblüfft in das frische Gesicht. „Alle Welt noch mal zu, Mädchen, dir muß ick schon mal gesehen haben - ih, wo war dat doch? -Gott straf mir, dat is ja unsere kleine Patronensammlerin von Gadebusch. Gib mich mal die Hand, Wettermädchen, dat freut mir. Bist du damals von die verfluchte Lausebande gut losgekommen?“
„Ja, Exzellenz, ich konnte doch noch schneller laufen.“
„Dat will wat sagen, die Lumpenhunde waren nahe genug, um dat Schürzenzeug zu sehen. Kinder, dat sag ick euch, dat is ‘n Sukkurs, da kann man sick alle zehn Finger nach lecken, die is kapabel un sammelt die Granaten in ‘ne Schürze un trägt se weg, als ob se ‘n Kürbis zur Suppe holt.“
„Dann kann’s ja morgen dem Napoleon endlich wieder mal richtig zu Leibe gehen, Exzellenz,“ sagte der Puppenspieler.
„Na, Kinder,“ antwortete Blücher gemütlich, „ihr seid doch keine so dummen Deibels nich un glaubt, dat wir richtig retirieren müssen? Wir tun, wat uns gefällt, un wenn’s Zeit is, gehn wir midden druf uf de Kerls, dat se de Schwerenot kriegen, dat is denn die preußsche Retirade. - Der Landsmann war gut, Mutter Scholte, dat merk ick bis in alle Knochen. - Morgen wieder lustik, Kinder, sagt der Putschenelle, dat heißt, wir danzen unsere Art Fran?aise weiter, ihr versteht mir, mal rückwärts, mal vorwärts, bis wir auch den Bonaparte richtig in ‘ne Klappe haben.“ Ein frisches Hurra begleitete ihn, als er davonging.
„Hier bleiben wir, Kleining, zu diesem Bataillon halten wir uns,“ bestimmte Frau Scholte, „und das erste gute Werk soll sein, daß wir hier mal waschen, sobald es angeht; mich deucht, als wäre es nicht mehr ganz kauscher bei manchem.“
Daß Napoleon noch da war, merkte man am nächsten Tage wieder, er drängte sofort stark an und wollte mit aller List und Kraft den alten Husaren veranlassen eine Schlacht anzunehmen, erreichte aber nur Scharmützel und Gefechte der Nachhut und konnte am Abend feststellen, daß er wieder einen Tag verloren hatte. Sollte er noch weiter folgen? Dann kam ihm die böhmische Armee in den Rücken; also nur noch einen letzten nachdrücklichen Versuch, den weitern Rückzug des Gegners zu hemmen, und dann zurück nach Dresden. -
Als die Preußen am Abend ein Lager bei Kieslingswalde bezogen hatten, irrte der Planwagen lange umher, bevor er das gesuchte Bataillon fand, aber der Zug, der hauptsächlich aus Mecklenburgern bestand, war abkommandiert auf Feldwache.
Draußen weit vor dem Biwak lag auf einer Anhöhe ein Gehölz von alten weitgehenden Stämmen, das nach dem äußern Rande zu einen flachen Wall mit einer Grube in der Mitte barg. Hier, wo vielleicht in alter Zeit ein Zufluchtsort der Heiden gewesen war, hatte die Feldwache ihren Platz gefunden. Der Wind wehte scharf über die Höhe, darum hatte man im Grunde ein Feuer angemacht, dessen Schein von dem Wall noch gerade aufgefangen wurde.
„Brrr, es ist unlustig draußen,“ sagte ein Patrouillenführer, der die vorgeschobenen Posten abgelöst hatte, „es liegt etwas Unheimliches in der Luft. Hört nnr, wie es dort oben heult, als jammerte es über uns.“
„Hat auch Ursache dazu, wir klappern hier unten dazu den Takt, denn noch ist mein Zeug am Leibe nicht trocken geworden.“
„Wenn jetzt doch die Scholte ihre mütterliche Fürsorge ihren Landsleuten zukehren wollte, aber ihr sollt sehen, daß ihr Rostocker Doppelkümmel die Innentemperatur der andern reguliert, und wir haben das Nachsehen.“
„Käme gar nicht zur Feldwache durch.“
„Mich ärgert der Schinken, den die andern aufessen.“
„Laß dir den Knochen geben und koch ihn zu Saueressen.“
„Essig wäre dazu schon da, du brauchst deine Blicke nur in den Kessel zu tauchen.“
„Horch, da kommt jemand.“
Man hörte über die stille Ebene hin deutlich reden, dann klapperte etwas wie die Räder eines Wagens, den man auf dem weichen Boden nicht rollen hören konnte, darauf tauchte der Kopf eines Pferdes zwischen denStämmen auf. „Hurra!“ „Ruhe! auf der Feldwache schreit man nicht.“ „Hat der Posten Sie durchgelassen, Mutter Scholte? Das ist sonst nicht erlaubt.“ „Wenn ich will, dann will ich,“ sagte die große Frau gemütlich, „und wenn ich an zu drängeln fange, dann nützt kein Doppelposten etwas.“ Fröhliches Gelächter, Händeschütteln, Einladen zum Absteigen und Herankommen ans Feuer. „Ne, das wird nichts, Kinder, mir ist hier ganz kommode, ich halte hier seitwärts unter den Bäumen; und nun - was soll es sein?“
Wieder entspann sich der Handel, und wieder begann der Schmaus; so köstlich war noch nie eine Feldwache versorgt worden. Neugierige Blicke tauchten ins Innere des Wagens, sahen aber nicht viel mehr als die kleinen zulangenden Hände oder unbestimmte Umrisse des kleinen Gesichtes, das vom gelegentlichen Schein des flackernden Feuers flüchtig beleuchtet wurde und wieder im Hintergrunde verschwand.
„Achtung, der Posten ruft jemand an, es kommt wohl die Runde. Ins Gewehr!“ Alle traten an, dann tauchten unvermutet Pferdeköpfe auf dem Wege auf, der gerade durch die Niederung und den Wall führte. Der Kommandierende trat stramm vor und meldete: „Zweiter Zug der vierten Kompagnie vom zweiten Brandenburger Bataillon auf Feldwache.“
„Wie viel Mann?“ „Sechzig Mann, Exzellenz, unter einem Feldwebel und zwei Unteroffizieren, da der erste Leutnant gefallen und der zweite krank ist.“
„Warum ist die Feldwache so stark?“ „Weil alle hundert Schritte ein Doppelposten an der Niederung entlang stehen soll, im ganzen sechs, und vier Posten sonst. Die Patrouille geht alle Stunde, Ablösung geschieht alle zwei Stunden.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!