- 04 - Inzwischen war ein Planwagen, der vorsichtig durch die Reihen durchgeführt wurde, herangekommen. ...

Inzwischen war ein Planwagen, der vorsichtig durch die Reihen durchgeführt wurde, herangekommen. Man hatte ihn hier und da festhalten wollen, aber er hatte sich immer wieder losgemacht.
„Frau Scholte, da sind Mecklenburger,“ rief eine helle Stimme hinten aus dem Wagen.
„Unsinn, Kleining, das sind Brandenburger vom zweiten Bataillon, siehst du nicht?“
„Dann sind es Mecklenburger, die dort dienen; den am Feuer, der die zwei Tücher so wunderlich dreht, kenne ich wieder, der hat in Gadebusch früher den Putschenellekasten gespielt und mir einst einen sehr großen Dienst geleistet.“
„Willst du denn rangehen und mit ihnen sprechen? ich geh nicht runter von meiner Kieke.“
Man war inzwischen auf den Wagen, der still hielt, aufmerksam geworden, einer kam heran, um zu fragen, ob er etwa Bier kaufen könnte.
„Bist du ‘n Mecklenburger, mein Junge?“ fragte Frau Scholte gemütlich.
„Ja, Mutter, wir sind unser dreißig, alle ganz waschechte, beisammen.“
„Wie kommt ihr unter die Brandenburger?“
„Es ging uns daheim zu langsam, da schlichen wir uns durch die Franzosen nach Breslau durch.“
„Dann sollst du die Flasche Bier für vier Groschen haben, aber billiger nicht, Kümmel ‘n Groschen. Daß ihr’s nur wißt, ich bin die Mutter Scholte, und handeln laß ich mir nicht.“
„Mutter Scholte, her damit! alle andern nahmen zwölf Groschen fürs Bier. Hast du am Ende auch was zu essen?“
„Mettwurst und Schinken, weiter nichts, Brot ist quatschnaß geworden, so daß es unten aus dem Wagen leckte.“
„Herr Gott, Kinder, alle ran, alle ran, das ist ‘n Fest, hier gibt’s Schinken und Mettwurst.“
„Halt doch den Schnabel, du Dämlack,“ rief einer heranspringend. „Das sagt man doch nicht laut; was sollen die an den andern Feuern davon wissen.“ Im Nu war der Wagen umringt, Mutter Scholte saß fest auf ihrem Sitz, aus dem Hintergründe langte Eva ihr emsig zu, sie teilte aus und nahm das Geld ein und benutzte die Gelegenheit Erkundigungen einzuziehen.
„Habt ihr mal was von den Strelitzer Husaren gehört, Kinder?“
„Was wolllen wir nicht, Mutter Scholte.“ „Ein Stück Schinken für acht Groschen.“ „Ein Kümmel, prost.“ „Halt, das Glas gleich wieder her.“ „Haben bei Löwenberg schon wacker drauf gedroschen, die Strelitzer.“ „Verluste gehabt?“ „Nein, für drei Groschen Mettwurst.“
„Rausgeben kann ich nicht, kannst nachher bezahlen. Na, also wer kennt den Matthies Trautmann bei den Strelitzern? Der kriegt ‘n Kümmel umsonst.“ „Ich kenne ihn, danke, er ist Unteroffizier geworden, prost, höllisch stramm im Dienst, sagen sie alle, aber sonst ‘n guter Kamerad, hat so ‘n Riß über die Nase weg, steht ihm gut. Noch einen, aber den bezahle ich. Hat immer ‘ne kurze Pfeife unter der Nase, ob’s trocken oder naß ist, da ist ‘n Pferd drauf. Nun, kenn ich ihn? - Mutter Scholte, hast du nicht ‘n bißchen Tabak so heimlich in der Ecke? die andern brauchen’s nicht zu sehen, wenn’s nicht viel ist.“
Eine zitternde Hand reichte ein Paket fliegenden Merkurius herüber, der Mecklenburger wunderte sich, wie klein sie war, aber von dem Gesicht konnte er nicht viel sehen. „Ob die Husaren wohl im Lager sind?“ fragte Frau Scholte.
„Wer weiß das? die sind bald hier, bald dort; sucht man sie, findet man sie nicht, und plötzlich reiten sie irgendwo heraus, das ist so Husarenart.“
Alle schmausten und waren guter Dinge, endlich fühlten sie sich einmal wieder ganz satt. Darauf nahm der, der an den Tüchern gedreht hatte, zwei daraus hergestellte Puppen zur Hand und ließ sie allerlei komische Bewegungen machen. Putschenlle, ho Putschenelle! Zwei, die noch mit vollen Backen kauten, zogen sofort einen Mantel als Vorhang, und die Puppen begannen darüber bhin ihr Gespräch. Es handelte sich um den König Jerome von Westsalen, den König Lustik, der dem Hanswurst draußen irgendwo begegnete und ihm klar machen wollte, daß ein König nur dazu da wäre, sein Leben zu genießen,
Und daß der von Napoleons Gnaden höher und fester Stände als der von Gottes Gnaden, und die Handlung endete damit, daß Jerome elend von Volkes Gnaden verprügelt wurde und der Hanswurst sich verabschiedete mit den Worten: „Morgen wieder lustik.“
Ein herzliches Lachen aus gesunder Brust hinter dem Wagen heraus begleitete den Schluß, und jemand rief: „Gott straf mir, dat is ja ‘n verfluchter Schwerenöter.“ Alle Soldaten schnellten empor und standen kerzengerade da, denn sie kannten die Stimme. „Dat gefällt mir, dat ihr den Kopp oben habt, wenn dat Wasser noch in de Stiebeln steht, die sehn recht offenherzig aus.“
„Wo das reingelaufen ist, Exzellenz, da muß es doch auch wieder raus,“ wagte der Puppenspieler zu bemerken.
„Das Wasser macht’s, wie wir, bald vorwärts und bald rückwärts,“ sagte ein anderer.
Blücher lachte. „Na, laßt man gut sein, euch is dat nich schlecht bekommen, nach eure vollen Kinnbacken zu urteilen, sitzt ihr hier in die Fleischtöpfe Ägyptens, müßt euch vor so ‘ne Gelegenheit zwei Mäuler un ‘n Kamelsmagen anschaffen. Wat is denn dit vor ‘ne Proviantkammer?“ Der General trat vor den Wagen. „Na ja, dat Jewächs auf’m Kutschersitz is gut, man merkt ihn an, dat et auf guten Boden steht.“
„Ich melde mich zur Stelle, Exzellenz, Mutter Scholte, Marketenderin,“ sagte die derbe Frau gemütlich, ohne auf dem Platz zu rücken. ,,Kann ich aufwarten mit Schinken und Mettwurst?“
„Ne, mich is nich darnach. Aber wenn du wat vor ‘n Durst hast, Mutter Scholte, dann mal her.“
„Eva, gib ‘n reines Glas, das du nicht erst mit ‘n Finger auszuwischen brauchst, nur gleich das große, sonst mußt du zweimal eingießen, das kenne ich.“
Blücher nahm und trank, erst vorsichtig probend. „Alle Wetter, dat is ja reiner Kähm, un ich stellte mir schon mit die Haken fest wegen den blauen Zwirn, weißte Mutter Scholte.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!