- 03 - Matthies saß lange still da und rührte sich nicht. Das arme Mädchen! Hatte es geirrt, so war es ...

Matthies saß lange still da und rührte sich nicht. Das arme Mädchen! Hatte es geirrt, so war es in guter Absicht geschehen; wenn einer, so mußte er es ja kennen. Aber die Erbarmungslosigkeit der Weiber war groß, und die Männer nahmen’s an, was die ihnen zu Hause zurechtgemacht übergaben. Das konnte nicht gut ablaufen, war vielleicht schon schlimm geworden. Er, der mit seinem Namen und im Notfalle mit seinem Arm sie decken konnte und mußte, er hatte sie preisgegeben. Wenn man nun, so oft sie über die Straße ging, ihr zurief -
Er sprang auf. Ein fürchterliches Wort! ertragen konnte er es nicht; wenn das jemand sagte, Mord und Totschlag mußte folgen, es war ihm so entsetzlich, daß er es nicht einmal denken mochte. Nein, nein, er kam nicht darüber fort, nie und nimmer, er selbst mußte vor dem Worte fliehen, um nicht aus den Fugen zu geraten, und somit mußte er vor Eva fliehen und erst recht vor sich selbst. Darum sattelte er Jochen und jagte davon.
Als er am nächsten Tage in den Stall trat, stutzte er; vor kurzem hatte er erst einen ganzen Sack Hafer aus eigener Tasche gekauft, nun war der schon halb leer. Im Gespräch mit den Kameraden ergab sich, daß auch an anderer Stelle ähnlich gestohlen war. Der Stall ließ sich schlecht verriegeln, weil man gewohnt war mit der Ehrlichkeit der Leute zu rechnen, und so kam es, daß an einem der nächsten Morgen Matthies wiederum einen derben Haferdiebstahl feststellte, er bückte sich zur näheren Untersuchung und fand ein Knäuel, das aus einem rotgeblümten Taschentuch gewickelt war. Nun mußte die Angelegenheit dem Rittmeister auf der Reitbahn zur Meldung gebracht werden. „Kreuz Donner und Hagel!“ fluchte der, „dieser Ohrwurm! daß wir auf den auch nicht gleich verfallen sind. Na wart nur, wart nur, dir will ich die Leviten verhören! - Er kommt noch heute hierher, weil ich wegen Haferlieferung mit ihm abschließen wollte.“
„Herr Rittmeister, er wird es ableugnen, daß ihm das Taschentuch gehört,“ sagte der Wachtmeister.
„Lassen Sie mich nur machen, ich nagele ihn fest, daß er herumsummen soll wie ne Fliege an der Stecknadel.“
Nathan erschien und verbeugte sich schon von ferne, und je näher er kam, um so eifriger. „Schön, schön, daß du da bist,“ sagte der Rittmeister mit nachlässigem Ton, „ich habe schon gewartet, aber du bückst dich zuviel, du verlierst da allerlei.“
Nathan fuhr herum, entdeckte sein Tuch, das fest zu. sammengewickelt hinter ihm lag, und nahm es schnell auf.
„Ist doch dein? Oder gehört es einem Husaren?“
„Herr Rittmeister, wie werd ich nicht kennen mein Tuch?“
„Du Hund, du niederträchtiger Hund, das hast du in letzter Nacht in Jochens Stall verloren, als du den Hafer gestohlen hast.“
„Gott du gerechter,“ fuhr Nathan erblaßt zurück, „will ich verschwärzen, wenn ich weiß, was der Herr Rittmeister redet.“
„Weißt du es nicht, so will ich es dir aufschreiben. Legt ihn über den Bock und dann zwei Mann hoch mit den Peitschen drauf, bis fünfzig voll sind.“
„Herr Rittmeister, Sie werden nicht, Sie werden nicht -“
„Ja, ich werde!“
„Wahrhaftiger Gott, ich weiß von nichts - Jochens Stall - Jochen - Herr Rittmeister - Jochen soll sein mein Zeuge, daß ich bin unschuldig. Jochen, guter Jochen, hab ich gestohlen den Hafer? will ich doch sein ganz verruiniert und verschändet, hab ich’s getan.“
Er war in Todesangst zu Jochen geflüchtet, hielt sich aber in sicherer Entfernung und schwenkte verzweifelt das Tuch vor Jochens Augen. Der stand fest auf seinem Platz, bob nur den Kopf sehr hoch, hielt den Hals eingezogen und hatte die Ohren angelegt. Matthies gab ihm den Halfter lose. Der Dieb deutete die Zeichen offenbar falsch und schrieb sie dem Scheuchen mit dem Tuche zu, er rechnete auch wohl nicht mit dem langen Halse und bückte sich etwas unvorsichtig, als er das Tuch aus seiner zitternden Hand verloren hatte. „Guter Jochen,“ sagte er beim Aufrichten, ,,sei Zeuge für den armen Juden-“
Weiter kam er nicht, denn der lange Hals schoß vor, der Kopf schnellte gerade, die großen weißen Zähne fuhren Nathan in das Gesicht und bissen ihm die Nase glatt ab. Der also Geschändete schrie entsetzlich auf und taumelte davon.
„‘s ist gut abgegangen,“ sagte der Rittmeister, „die fünfzig hätten wir ihm doch nicht verabreichen dürfen, so sehr es mein Herz erbaut hätte. Der Jochen ist ein Hauptkerl, ganz bestimmt hat er in der Nacht gegen den Dieb den Haß in sich aufgesammelt. Die Nase müßte er eigentlich als Orden tragen.“
„Jochen mit de Näs,“ sagten die Husaren hinfort, wenn sie von ihm sprachen, sie waren sehr stolz auf ihn und nahmen gelegentliches Schnappen und Drängen beim Exerzieren als gutgemeinte Zutat hin.
Allmählich wuchs die Schwadron sich zum Regimente aus, das Regiment gewann Sicherheit und dachte schon an Parade. Tagaus, tagein zäumen, satteln, Steigriemen schnallen, auf- und absitzen; mancher Husar, der den Säbel allzu kräftig schwingen wollte, hieb zu sehr nach unten, so daß ihn die Wucht aus dem Sattel zog. „Alle solche Hiebe sind Sauhiebe,“ sagte der Oberst von Warburg, „der rechte Husar sieht immer zu, daß er den Gegner von oben herunter haut oder ihm eins durch die Fresse zieht.“ Dann kam der Tag, an dem die ganze Stadt auf den Beinen war, dem abziehenden Regimente das Geleit zu geben; die Wirte winkten immer hinüber, und die Mädchen nahmen die Schürzen gar nicht mehr von den Augen. Das wurde dem Oberst zu arg. „Ganzes Regiment Trab!“ Ein Husar stimmte in halb verzweifelter Stimmung an „Hops, Mariannchen,“ da fielen die andern ein, und das Regiment zog singend davon.
Das erste, was sie in Schlesien bewunderten, waren die Hunderte von Windmühlen bei mancher Stadt, zwischen denen man gar nicht durchfinden konnte, das zweite war eine Kosakenmannschaft, die abends in einer Scheune ein Licht an die Wand geklebt hatte und Hafer drosch. Der Bauer stand händeringend daneben, ein struppiger Kerl hielt ihn mit dem Kantschu drohend zurück. Als die Husaren vorbeiritten, grinsten die Kosaken ihnen zu und hausten unbekümmert weiter wie Feinde in Freundesland. An der Katzbach mußten sie zu ihrem Verdruß als Reserve sich zurückhalten lassen, aber an dem Regen durften sie bei der Verfolgung teilnehmen, unaufhörlich im Sattel, keinen trockenen Faden am Leibe, und dennoch immer oben auf, immer bereit, immer geordnet, immer zäh und fest bei den mannigfachen Verwendungen, die sich für sie fanden unter dem Heere, das dem Marschall Macdonald auf den Hacken saß, bis er von Napoleon aufgenommen wurde. Dann begann das Ausweichen Blüchers, um den Kaiser womöglich in Schlesien hineinzulocken. -
Der Tag war böse gewesen, das Wetter unwirtlich und rauh und die Vorstöße Napoleons heftig und erfolgreich, die zurückweichenden Preußen bezogen das Biwak und richteten sich ein, so gut es ging. Überall flackerten die Feuer auf, und an ihnen trocknete, kochte, putzte man, die Müden lagen auf dem feuchten Boden an der Glut und schliefen.
Bei einer Gruppe ging es besonders lebhaft zu, da waren offenbar zähe Gesellen beisammen, die sich ihre Laune durch kein Ungemach verderben ließen, sie neckten sich und scherzten und lachten. Der eine begann zu singen.

  De oll Blücher de säd. Ick retirier,
  Dat ick se richtig in den Dreck rinne führ.
  Patsch mök hei de Klapp to, un, schwerebrett,
  Dunn stegen wi sei eklig up’t Kollerett.
Der zweite nahm es auf:
  Man druf! säd oll Blücher. Herrgottssackerlot.
  Mit de Kolben dor flögen wie’s in Hümpel dot.
  Herunner dat Äuwer, in de Katzbach rin,
  Dar sälen teindusend versapen sin.
Und andere führten es fort.
  Un denn irst bi de wütende Neiße.
  Dor kehmen de letzten in de Sch---.
  Teindusend to girn in’n Muslock kröpen.
  Teindusend äwer ümmer noch wider löpen.
  De lopen, bet dat Bonaparte se findt
  Un se unner sin beiden Rockslippen nimmt.
  Dor sitten se, bet denn kümmt de Oll
  Un swenkt den Degen un röpt: Pascholl!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!