- 02 - Pferde gab es nun also für den Anfang in Strelitz, sogar ein rechter Wachtmeister war schon da, ...

Pferde gab es nun also für den Anfang in Strelitz, sogar ein rechter Wachtmeister war schon da, auch an fünfzig Freiwillige hatten sich sofort eingestellt, aber von diesen wußten die wenigsten mit Pferden umzugehen, keiner verstand wie ein Husar zu reiten. Also hinein in die Reitbahn und zwar auf glattem Pferderücken, denn Sättel und Decken sollten erst geliefert werden. Aber täglich flossen die Gaben für das Vaterland zu, darunter auch Pferde, gekauft, geschenkt, abgeschoben, die man nicht selbst nutzen konnte, o ja doch nutzen, um seinen Patriotismus zu zeigen. Dann stand der Wachtmeister und musterte tiefsinnig die neu einrückenden Rekruten und Pferde und erwog, wie sie wohl zueinander paßten.
„Wem geben wir denn diesen langbeinigen Schinder? Das Luder schlägt und beißt und klemmt.“ Er verschwieg, daß er gestern zweimal nacheinander abgeworfen war.
„Jochen!“ Die beiden Freunde riefen, Matthies sprang gegen alle Ordnung aus der Reihe. „Herr Wachtmeister, den krieg ich.“ Er lief auf seinen alten Bekannten zu, rief ihn mit Kosenamen und wollte ihn freudestrahlend streicheln, aber der hatte mit flinkem Schnappen ihm alsbald einen Fetzen aus dem Armel gerissen.
„Jochen, was haben sie aus dir gemacht?“ sagte Matthies verdutzt.
„Ja, ja,“ lachte der Wachtmeister, „kitzlig ist der Racker wie ‘ne alte Jungfer und bockt wie ‘ne alte Köchin. Den müssen wir dankbar dem Stifter mit einem Ehrenzeichen zurücksenden, der teilt sein Lebtag jedes Glied auseinander, daß es nie ‘ne rechte Front geben kann.“
„Lassen Sie es mich mit ihm versuchen,“ bat Matthies, „ich habe ihn früher gekannt. Kniebeln verträgt er nicht, das Beißen habe ich ihm schon einmal abgewöhnt.“
„Faßt den graugelben Racker an, ihr zwei, aber seht euch vor, und nun rauf, Matthies, Platz genug ist da. - Los! - Da liegt er genau wie ein lateinisches Epsilon. Sieh dir deinen lieben Jochen an, er steht gemütlich da und macht ein Gesicht, als wollte er lachen. Das einzig Gute an dem fahlen Beest ist, daß es nicht auskneift, wahrscheinlich weil es seiner Sache gewiß ist. Rauf auf die Mähre! - Hm, ein ganz guter Bogenwurf! Was liegst du denn da so lange? Hätte unser Herrgott dich zum Sandkrabbeln bestimmt, so hätte er dich als Madding geschaffen.“
„So wird das nichts,“ sagte Matthies, als er sich etwas wehleidig aufgerichtet hatte und heranhinkte, „den muß ich mir ‘ne Zeitlang allein vornehmen und an mich wieder gewöhnen. Herr Wachtmeister, ich kenne ihn, wenn er im Gange ist, ist er gar nicht tot zu kriegen.“
„Und er denkt, daß er es abwarten will, ob ihn einer in Gang bringt. Meinetwegen stelle ihn allein in den Hinterstall bei Scheuermann, den hat er zur Verfügung angeboten, du kannst dich auch dahin einquartieren, der Mann läßt mit sich reden.“
Matthies und Jochen! beide hatten kein langes Spiel miteinander. Den ersten Tag pfefferte Jochen ihm die Futterkiepe durch einen wohlgezielten Schlag aus den Händen, daß sie gegen drei Wände flog; den zweiten Tag kriegte er die Ohren gar nicht gerade und schielte beiseite, als ahnte er etwas von allerlei tückischen Anschlägen seines vorsichtigen Gegners; den dritten Tag bleckte er die Zähne, biß wütend zu, kreifchte und stieg, so hoch er konnte, prallte entsetzt beiseite und stand zitternd da, denn Matthies hatte sich von seinem Hauswirt die Keule eines krepierten Schafes ausgebeten, sie gebraten und so recht brennend heiß seinem Jochen dargeboten, und mit diesem alten Reiterkunstgriff hatte er anscheinend die Erinnerung an die frührere Bekanntschaft geweckt, denn Jochen schlug in seiner Stimmung um, benahm sich verständiger und wurde so unter der gleichmäßigen Behandlung seines Herrn rittig, aber zunächst nur für diesen und allmählich erst für Hinnick. Als Matthies ihn das erste Mal in der Bahn vorführte, erntete er viel Beifall.
Er war wenig froh dabei. Mit verdoppeltem Gewicht war in den einsamen Stallstunden die Erinnerung an die wiedergekommen, die sich einst zu seinen ersten Siegen über Jochen am meisten mit ihm gefreut hatte. Ja, alle Freuden hatte sie mit ihm geteilt, auch alle Leiden und wohl gar Gefahren. Damals hatten sie beide von der Schmach des Vaterlandes geredet und von dem Kampfe, der kommen mußte, auch wie sie beide hinausziehen wollten und streiten - Kinderpläne - versunken wie so manches andere Glück, wie alles Glück für den einsamen Träumer, der eine kurze Pfeife in der Hand hielt und anstarrte, als wäre sie etwas aus einer ganz andern Welt. Sie war es ja auch.
Es kam noch etwas anderes dazu, das sich ihm doppelt schwer auf das Herz legte. „Hast du ihn schon gesehen?“ fragte Hinnick. „Wen denn?“ „Den Schutzjuden Nathan aus Gadebusch? er ist da und will wahrscheinlich den Rittmeister mit Hafer anschmieren.“ „Der? wie kommt der hierher?“ Die Frage klang gleichmütig, aber es klopfte ihm das Herz doch gewaltig. Sollte den jemand ausgeschickt haben, um ihn aufzufinden und Nachricht von ihm zu senden?
Am nächsten Tage war Nathan bei ihm im Stall, o wie freundlich, o wie geschmeidig und demütig und ehrerbietig. „Wie bist du denn hierher gekommen von Gadebusch?“ fragte der Husar.
„Nun, wie werd ich sein hierhergekommen? wie sie sind alle gekommen, ‘s Vaterland kann ja gebrauchen jedermann, und jedermann tut, was er kann. Sind doch der Matthies und der Hinnick auch da und haben gebracht dreißig Pferde ganz umsonst, und der Jochen ist da ganz umsonst. Wird ein armer Jude ja bringen können seinen Sack Hafer und auch zwei für die Pferde.“
Matthies fühlte sich genau so angewidert wie früher, aber er bezwang sich and fragte gleichgültig: „Wie sieht’s in Gadebusch ans?“
„Wie wird es aussehen? geradeso wie hier. Gellert ist geworden ein Hauptmann und kommandiert, daß alles bebt, der Rektor sticht mit seiner Pike in die Luft, und es ist, als wären sie alle betrunken, so schreien sie hurra.“ Nathans Frau hielt ihn auf dem Laufenden, aber gerade wegen jener Aufregung hatte er nicht gewagt zurückzukehren, ungewiß, welchen Empfang man ihm bereiten würde.
„Wie geht’s Frau Gellert und - - ihrer Tochter?“
Das letzte Wort kam etwas zögernd heraus, und Nathans seines Ohr bemerkte es sofort. Er zog sein rotgeblümtes Taschentuch, schneuzte sich umständlich, wickelte es langsam zu einem Knäuel zusammen, das er in der Hand ballte und heimlich drückte, wenn ihm recht behaglich zumute war, und er drückte es fortwährend bei seiner Antwort: „Sie wird sein die gewaltige Frau, wie immer, die Frau Gellert, ‘s ist eine ehrliche Frau, die verkauft hat nie treiferes Fleisch den Juden. Und die Eva?“ Ein falscher Blick schoß von der Seite aus Matthies, der merkte es nicht, denn er hatte sich seitwärts gewandt, um seine Aufregung zu verbergen. „Nun, Sie wissen ja,“ - Nathan hob die gespreizte Hand wie zur Abwehr. „Wenn sie da geht auf der Straße, was rufen sie?“ Er zuckte bedenklich die Achsel. „Die Zeit, Herr Matthies, wo man schilt auf alles, was zu schaffen gehabt hat mit den Franzosen - pfui!“ Er spie aus, aber vorsichtig, weil er doch nicht recht wußte, ob nicht eine Explosion folgen würde. „Ich empfehle mich, Herr Matthies, wollen Sie legen ein gutes Wort ein bei dem Herrn Rittmeister, ich verkaufe den Hafer fünf Prozent billiger wegen der guten Sache.“
Matthies hatte sich ganz umgedreht, Nathan sandte ihm einen höhnischen Blick zu und schlich davon, erst draußen flog ein boshaftes Lächeln über das hagere Gesicht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!