- 13 - Am ersten Abend saß Eva wieder auf der Bank hinter dem Hause am Hofe, wo sie als Kind so manchmal ...

Am ersten Abend saß Eva wieder auf der Bank hinter dem Hause am Hofe, wo sie als Kind so manchmal gesessen, wenn Matthies auf dem Zaune ritt und die halsbrechendsten Zirkuskünste aufführte, sie aber war von der Mutter heruntergerufen und auf das Unmädchenhafte dieses Tollens verwiesen. Vor ihr knabberten zwei ihrer Kaninchen an Kohlblättern, sie waren ihr fremd geworden, und sie mußte sie erst wieder an sich gewöhnen. Ein hohes Behagen überkam sie, denn nun war sie ja wieder daheim.
Sie lauschte auf das sachte Einschlafen des Tages. Eine Kuh brüllte in der Nachbarschaft, Sperlinge zwitscherten und kämpften miteinander um den bequemsten Platz in dem Efeu, der die Hauswand berankte. Stare saßen auf den Windbrettern und schwatzten und plapperten und pfiffen und schickten sich offenbar an, von ihrem alten Neste Abschied zu nehmen. Vielleicht schon morgen zogen sie in die Fremde. Aber sie selbst, sie war wieder daheim.
Ein leiser Windhauch strich durch den Baum, der sich breitzweigig hoch über das Stalldach emporreckte, ein zitternder Schauer - ein fallendes Blatt; gelb mit schwarzen Tupfen, so lag es zu ihren Füßen, gesellt zu anderen, die schon vorher gefallen. Eine Maus nagte an einer Nuß, die vor kurzem mit hartem Aufschlagen von oben gekommen war, und versuchte vergeblich, sie fortzu-schleppen, immer wieder rollte die Nuß beiseite. Lächelnd sah Eva dem Spiel zu, das sie früher schon gern beobachtet hatte. Das Fenster in ihrer Nähe stand offen, und der feste, gleichmäßige Schlag der alten Wanduhr scholl hindurch. Wie oft hatte sie in der Ferne dieses alles in Gedanken in sich durchlebt, aber wie viel traulicher und schöner war es in Wirklichkeit, denn sie war wieder daheim.
Der Mond begann über das Strohdach herabzusteigen, und seine Strahlen trafen Evas Angesicht. Und wie sie so saß und träumte, hörte sie jenseits des Zauns ein leises Rascheln. Sie wußte es, daß dort ein Guckloch war und wer jetzt davor stand, ein glückseliges Lächeln überflog ihre Züge, und sie sagte: „Pascholl!“ Sprach sie das Wort auch nur vor sich hin, so mußte es doch auf ein feines Ohr getroffen sein. Nicht lange dauerte es, da hörte sie auf der Hausdiele einen ruhigen Schritt, und Matthies schlenderte, anscheinend gleichmütig, heran, die Pfeife, die ihm Eva einst geschenkt, im Munde.
„Da bist du ja wieder,“ sagte er. „Ich sah dich heute schon vorbeigehen. Du siehst gewaltig verändert aus, bist wohl eine Prinzessin da draußen geworden?“
Eva lächelte dazu, rückte beiseite und lud ihn freundlich zum Sitzen ein. Da durchfuhr’s ihn wie ein Schlag, er stand voll Verwirrung und stotterte: „Herr Gott, das ist gar keine Eva mehr, sie tut nur so, sie spannt am Ende gleich wieder Flügel aus und fliegt davon.“
„Sei kein Narr und setz dich. Ei, was für ein großer Mensch das geworden ist, die Bank ist ihm wirklich zu niedrig. So, nun wird’s erst gemütlich. Wenn ich abends allein in meiner Stube am Fenster saß, dann habe ich die Walnußblätter hier rauschen hören und den Mond da stehen sehen, und zuweilen zog ein Klang vorüber, als ob jemand Geige im Nachbarhause spielte.“
Matthies bekam plötzlich Mut und wurde lebendig. „Du hast daran gedacht? Ich habe meine Geige mitgebracht, aber als ich über eure Diele ging, wußte ich nicht, ob sie dir noch willkommen wäre, da habe ich sie hinter der Treppe versteckt. Du, ich kann einige neue Lieder, die sind schön.
„Wirklich? du hast noch lernen können in dem Wirrsal und der Not?“
„So oft ich sie zur Hand nahm, dachte ich an dich, und da war es mir manchmal, als müßte ich sie in Wut zerschmettern, wenn ich mir vorstellte, daß es in Vietlübbe gerade so herginge wie hier bei uns. Dann aber traf mich dein Blick, und ich hub an zu spielen, das alles allein für dich. Siehst du, der Mond da oben tut, als scheine er allein für dich, so freundlich schaut er dich an. Und der Baum rauscht allein für dich, so hat er nicht gesprochen, seit wir uns trennten. Da oben der Stern, der gerade um die Ecke sieht, der sucht dich allein. Mir ist, als wäre das alles erst heute wieder da, in der ganzen andern Zeit habe ich es nicht gesehen.“
„Ich habs gesehen, immer wieder, denn ich war ja mit meiner Sehnsucht dabei, und die weckte alles in mir, was ich wie einen Schatz gesammelt hatte. Denke ich an die vergangene Zeit, dann ist mir, als hätte ich geträumt.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!