- 12 - So war Scholte, der alsbald von den Städtern Kaper Scholte genannt wurde. Warum? wer hatte es aufgebracht? ...

So war Scholte, der alsbald von den Städtern Kaper Scholte genannt wurde. Warum? wer hatte es aufgebracht? vielleicht war von Lübeck her das Gerücht zugeflattert, daß er längere Zeit sich zur See herumgetrieben, mit Kaperbrief ausgerüstet, bis ihn ein Kriegsschiff verfolgt hätte und gezwungen auf den Strand zu laufen. Was mochte Wahres daran sein? Auf das woher und wohin und wo früher und was man sonst fragte, antwortete Kaper Scholte nur mit Ausreden, und so kam es, daß keiner seinen Worten glaubte und jeder dem Gerüchte Wahrheit beimaß. Es verstand sich ganz von selbst, daß Matthies zum zweiten Male in die Lehre ging.
Der Kaper Scholte hatte viel Arbeit, alle Tage kamen Leute aus der Umgegend, um sich schlimme Wunden, die die Einquartierung ihnen geschlagen hatte und die bis jetzt alter Pflege entbehrt, verbinden zu lassen. Er half und heilte mit seinen schmalen flinken Händen; wenn die so über einen Schaden dahinliefen, schien die Besserung alsbald schon darunter zu beginnen. Matthies kam gar nicht aus dem Staunen heraus und bemühte sich bald emsig, alles dem Lehrherrn abzusehen und lange Versäumtes nachzuholen, beide hatten aneinander Gefallen, und als nun gar Jochen von Scholte angekauft wurde, um für die weiten Reisen zur Landkundschaft zu dienen, war Matthies völlig von seinem Lehrherrn gewonnen. Das Geschäft erreichte in wenigen Monaten eine ungeahnte Höhe, denn der neue Wundarzt hatte nichts von der Habsucht des verstorbenen Gaarz an sich, manchem Armen half er umsonst, verachtete es auch nicht, sich einem Zerlumpten, den er wund und siech am Graben liegen sah, zuzuwenden, die Bedürftigen fanden bei ihm allzeit eine offene Hand, wo er sie traf, und allem Dank entzog er sich, indem er rasch davontrabte oder fuhr, doch versäumte er nie, noch einmal gutherzig lachend zurückzunicken.
Somit schien alles wieder gut; der Friede kam, Mecklenburg erhielt seinen Herzog zurück, und geordnete Verhältnisse ließen bald alle vom Druck aufatmen und an die weitere Heilung der Schäden getrosten Mutes gehen.
Da kam ein französischer General auf der Reise von Schwerin nach Hamburg durch den Ort und mußte dort Aufenthalt nehmen, weil eine alte Wunde wieder aufgebrochen war und sich sehr verschlimmert hatte. Mißmutig ließ er den Kaper Scholte rufen, mißtrauisch nahm er ihn auf, aber schon nach einigen Tagen sah er seinem Kommen mit Ungeduld entgegen, und nach vier Wochen war eine Kugel herausgezogen, waren Knochensplitter entfernt, war das Bein gerettet und gesund, und der General wußte nicht, wie er sich dankbar beweisen sollte. Mit Geld haperte es bei ihm, denn zu den Plünderern hatte er nicht gehört, and so griff er Kaper Scholtes zufällige Andeutungen, daß die Kontinentalsperre leider die Einführung von nötigen, völlig unentbehrlichen Medikamenten unmöglich und die Apotheken leer gemacht hätte, sofort hellhörig auf und versprach, ihm aus Hamburg eine Lizenz zur Einführung einer Schiffsladung zu verschaffen; wirklich traf nach einer Woche schon die Lizenz ein, für die der Wundarzt ausnahmsweise nicht die geringste Zahlung zu leisten hatte.
Lizenz? Wer hatte jemals in Gadebusch etwas von einer Lizenz gehört? Selbst der geriebene und viel erfahrene Scholte schwankte und schob lange mit dem Blatt herum, bis der Schutzjude Nathan sich an ihn herangemacht hatte. Da bekam die Angelegenheit ein besonderes Aussehen. Was für ein Geschäft war zu machen mit einer Schiffsladung, deren Einfuhr mit Durchbrechung der Kontinentalsperre die Lizenz freistellte; natürlich nicht mit Medikamenten, sondern mit Kolonialwaren, denn die Lizenz ließ den Einführungsgegenstand zur Wahl. Aber Geld mußte man haben und Geschäftsverbindung hier und dort, an zehn und hundert Stellen für den Absatz der Güter. Nathan fuhr herum, und Matthies mußte mit seinem Jochen ihn befördern, und Nathan haßte bald Jochen, der nach ihm biß, und haßte Matthies, der sich dabei als Zuschauer verhielt und des Juden angstvolles Springen höchstens mit schallendem Lachen begleitete. Und Nathan setzte es durch, daß Scholte Jochen verknuste, ohne Matthies zu benachrichtigen, und ein anderes Pferd anschaffte, das dem Juden mehr behagte. Das schlug dem Lehrling eine tiefe Wunde, er rächte sich auf seine Weise, indem er am Sabbat dem Juden ein totes Ferkel auf die Diele warf und das Haus so unrein machte bis auf den Abend.
Die Geschäftsschlauheit Nathans überwand alle Schwierigkeiten, und Scholte rieb sich vergnügt die Hände, als er die Beutel Geldes vor sich stehen sah, die er ohne viel Mühe gewonnen hatte. So gab es also doch noch Wege, die Kontinentalsperre zu brechen, dem Zwange zu trotzen und den eigenen Willen gegen Napoleon durchzusetzen? Geld war gut, aber die Übertrumpfung des Weltherrschers schien Scholte das höchste Vergnügen, das er aus der schlimmen Zeit ziehen könnte. Von diesem Augenblick an war er ganz verwandelt, sein Geschäft wurde ihm gleichgültiger; wo er ging und stand, suchte er gleichsam mit den Augen in der Ferne, mit Nathan hielt er viel heimlichen Rat, und tagelang war er dann abwesend, offenbar war er hinter neuen Geschäften her, nur erfuhr niemand, welcher Art die waren. Matthies sollte inzwischen den Kunden aufwarten. Aderlassen, Schröpfköpfe setzen, Verbinden, das machte angehen, aber dem Schneiden und Schienen war er noch nicht gewachsen, die Vorwürfe der Leidenden brachten ihn außer sich, und er war auf und dran, wieder aus der Lehre zu laufen, zumal er den Verlust seines Jochen nicht verschmerzen konnte. Zum Glück kam Eva in dieser bedenklichen Zeit nach Hause. Die Eltern, die sehr nach ihr verlangten, hatten ihr endlich gemeldet, daß jede Gefahr vorbei sei, die Gadebuscher hätten volle Beschäftigung bei der Erinnerung an die üblen Erfahrungen, die sie mit den Franzosen gemacht hätten; nun konnten sie sich nicht genug wundern, wie sehr Eva in dem Jahr ihrer Abwesenheit innerlich gereift war und äußerlich zur Jungfrau ausgewachsen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!