- 11 - Dann fand sich beim Quartierwechsel ein Unteroffizier, der, nachdem er sein Pferd in den Stall gezogen, sich ...

Dann fand sich beim Quartierwechsel ein Unteroffizier, der, nachdem er sein Pferd in den Stall gezogen, sich sofort in die Küche begab, um die Zubereitung des Essens zu überwachen. Am ersten Tag ließ Frau Gellert sich’s gefallen, daß er in alle Töpfe guckte und immer eine andere Art der Zubereitung forderte; als er am nächsten Tage aber seinen Stuhl aus der Wohnstube in die Küche brachte, bald von seinem Thron aus Anordnungen traf, bald schnüffelnd herumsprang, schob sie ihm flink und unvermerkt eine Pfanne voll heißen Fettes unter und kümmerte sich wenig um sein wahnsinniges Hupsen und Springen. Er wollte sich rächen, zog sein Pferd aus dem Stall auf die Ladendiele, band es dort an und ließ es aus einer Mulde, in der sonst Fleisch getragen wurde, Hafer fressen, während er auf dem Sofa in der Wohnstube lag und das Polster mit den Sporen ritzte. Dafür mußte er auf sein Essen vergeblich warten, und als er ungeduldig es mit Fluchen zu fordern begann, lud ihn Gellert höflich in den Stall und zeigte ihm, daß man dort schon lange in der Grippe gedeckt und sein Mittagbrot aufgestellt hatte, das inzwischen natürlich kalt geworden war. Gegen den starken Gegner wagte der Franzose allein nicht vorzugehen, aber er beschwerte sich beim Kapitän. Als eine Wache den Schlachter auf das Rathaus führte, ging Frau Klementia mit, bald kamen alle Herren lachend aus dem Hause und begleiteten das Paar, um sich die neue Einrichtung anzusuchen, der Unteroffizier wurde in ein ärmliches Quartier geschickt.
Höher stieg die Not. Bald standen die Gebrechlichen und Krüppel vor dem Rathause neben den Witwen und jammerten um Brot, denn selbst der Mildtätigste mußte seine Hand gegen sie zuhalten, weil er darbte. Der Stadtdiener schoß wie ein Verrückter ,,allemal“ durch die Straßen, aber war so verhast geworden, daß er im Laufen seine Aufträge „allemal“ verlor, der Stadtschreiber lag zerschlagen in einem Winkel seines Hauses, und der alte Bürgermeister versuchte vergebens bei den Bürgern Aushilfe zu finden, sie waren durch ihre häuslichen Angelegensten völlig mit Beschlag belegt. Da tauchte aus der verworrenen Masse neben ihm wieder Matthies auf. Da der Rektor als Junggeselle und als Mieter keine Einquartierungen zu versorgen hatte, so hatte Matthies, aller Pflichten bar, teils sich zwischen den Massen neugierig umgetrieben, teils der Erziehung des graugelben Jochen seine Zeit gewidmet. Wiederholt hatten Franzosen versucht, das starke Pferd, das ein guter Gänger sein mußte, zu requirieren, den Versuch gegenüber dem bösen Beißer immer sehr rasch aufgegeben. Durch Ruhe und Beharrlichkeit überwand Matthies allmählich Jochens Rücken und Launen, durfte ihn putzen und anschirren und wußte durch kleine Gefälligkeiten von den französischen Reitern und Fuhrleuten immer wieder gutes Futter anzuschaffen, nahm auch wohl mit List im Notfall aus den fremden Depots, was er erlangen konnte. Jochen besann sich bald auf seine Pflichten, aber nur unter der Führung seines Herrn, nach jeder fremden Hand schnappte er fast raubtierartig. Als Matthies eines Tages durch seinen Vater, der sich hatte als Schreiber verwenden lassen, von der Bedrängnis des Bürgermeisters hörte, erkannte er seine Aufgabe und stellte sich mit Jochen zum Dienst ein; bald fuhr er über Land in entlegene Gegenden, wo keine Einquartierung lag, kaufte Mehl zusammen, soviel er laden konnte, und brachte das dann heimlich in die Scheunen der Vorstadt, wo andere es ihm zur Verteilung an die Darbenden abnahmen. Dann beförderte er Briefe nach Schwerin an die Regierung, holte Medikamente herbei, an denen bald Mangel war, und ließ sich selten genug noch bei seinem Vater sehen.
Der Rektor Trautmann sah in schwerer Sorge, wie sein Pflegesohn, den er gar zu gern noch weiter bei den Wissenschaften festgehalten hätte, in diesem Treiben sehr rasch verwilderte. Offenbar lag die Gefahr vor, daß er sich hernach gar nicht wieder an ernste Arbeit gewöhnen würde, und es waren doch die Jahre für die wichtige Lehrzeit längst da. Er sprach also voll Unruhe darüber zum Bürgermeister.
„Ja, ja, mein lieber Freund,“ sagte der, „diese Zeit erzieht Männer und läßt Männer verfallen, unsere Hand führt nicht mehr, seitdem der große Gott sich sein Werkzeug Napoleon erkoren hat. Sehen Sie mich an, ich bin kein Bürgermeister, sondern ein französischer Maire, unser Herzog ist seines Landes beraubt, morgen wird der französische Adler über dem Rathause angebracht, übermorgen muß ich dem Kaiser schwören. Der Gerichtsrat hat sich nicht im mindesten dagegen gewehrt, hat sich schon kriechend und schmunzelnd zum Eid gedrängt; ich alter Mann, was soll ich tun? Ich habe petitioniert, aber schlimme Antwort erhalten; nun könnte ich die Stadt verlassen und mein Gewissen freihalten, oder ich bleibe und trage die Not des Eides mit mir herum und kann dem neuen Herrn nicht treu sein, und dem alten darf ich nicht treu sein. Wer weiß, was die nächste Flut bringt, vielleicht schwemmt sie uns alle mit einem Schlage hinweg. Es sind schlimme Zeiten, aber ich muß doch auch sagen, aus dem Verwundern über die neue Wendung kommt man nicht mehr heraus. Tagtäglich liegt man im Warten, was unser Herrgott wohl wieder Neues vorhat, und wie diese ungeheure Verwirrung sich noch einmal lösen soll. Alter Freund, lassen Sie mir den Matthies noch eine Zeitlang, es waren Augenblicke da, wo er allein den Kopf nicht hängen ließ, immer frisch, immer fertig, er und sein Jochen; ich glaube zuversichtlich, daß die beiden sich nicht unterkriegen lassen.“
Der Rektor ging, nicht erleichtert; die verheißene neue Welle kam, neue Franzosen zogen ein, sie brachten einen seltsamen Mann mit und schwemmten ihn an in Gadebusch und gingen davon, er aber blieb zurück.
Ein Wundarzt war er, und wie sich bald herausstellte, ein sehr geschickter, der sich im Kriegstrubel gleichsam zufällig in Lübeck angefunden und die Verwundeten gepflegt hatte, deshalb jetzt, wo die Genesenen und leichter Verwundeten dem großen Heere nachgeschafft wurden, zur weiteren Hilfe nicht etwa angeworben, sondern befohlen war, ungefragt, ob er zum Dienste Neigung hatte. Klein von Figur, knöchern im Bau, beweglich wie ein Wiesel, in den Augenwinkeln unzählige Falten, die in gar merkwürdigen Strahlen ausliefen, mit flinken Händen, dabei allezeit im kurzen Trab, den Hut weit in den Nacken geschoben, lustig, listig, rasch entschlossen, fest im Vorsatz und mit einer besonderen Gabe, anderen Achtung einzuflößen. Jetzt hatte er sich vorgenommen, nicht weiter mit den Franzosen zu ziehen. Alsbald war er untergetaucht, wurde unter großem Aufgebot vergebens gesucht, nach dem letzten Abzuge tauchte er an einem Platze, wo ihn niemand vermutet hatte, wieder auf und erklärte, seinenWohnsitz in Gadebusch nehmen zu wollen, da gerade der Wundarzt dort fehlte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!