- 09 - „Das Mädchen vertraue ich Ihrem Hause an,“ sagte Frau Gellert und schüttelte die Hand kräftig wieder, ...

„Das Mädchen vertraue ich Ihrem Hause an,“ sagte Frau Gellert und schüttelte die Hand kräftig wieder, „aber mit aller Devotion muß ich bitten, daß wir sie zurückerhalten, wenn hier die Atemsfähre wieder in der alten Konditziohn ist.“
„Also abgemacht!“ Der Vietlübber gab draußen dem Jungen einen Schilling und stieg zu Pferde. „Seien Sie versichert,“ er sagte es absichtlich laut vor den gaffenden Leuten, „daß es uns eine Ehre sein wird, Ihre Tochter in unserm täglichen Verkehr zu haben, die Gadebuscher müssen stolz auf ein solches Mädchen sein.“ Damit ritt er davon.
Er lachte in sich hinein, als er die verblüfften Mienen sah, und sandte am nächsten Tage schon einen Wagen, der Mademoiselle Clothilde und Eva abholte nach Vietlübbe.
Die junge Hausfrau bewillkommnete ihren Besuch sehr herzlich, sie freute sich ganz offensichtlich dazu, denn abgesehen von allem, was ihr Mann erzählt hatte, war sie schon von Natur so veranlagt, daß sie muntere Gesellschaft liebte, und ihre süddeutsche Lebhaftigkeit nahm Eva bald gefangen. Da die Herrin dem Drange des Schaffens sich nicht entzog, sondern überall selbst Hand anlegte, alles selbst überwachte, so hob die Arbeit, zu der Eva erzogen war, über die trüben Gedanken fort, und sehr bald hallte mitten durch die Bäckerei und Schlächterei und Wäscherei das fröhliche Lachen der beiden wider, sehr zum Ärger der Mademoiselle Clothilde, die sich darauf gefreut hatte, ihr Erziehungsobjekt ganz für sich zu haben, und es nun ganz aus den Händen verlieren mußte.
Im übrigen kam alles genau so, wie der Vietlübber Herr vorausgesagt hatte, die drei Armeekorps von Souli, Murat und Bernadotte begannen den Rückmarsch und legten es darauf an, sich unterwegs von den gewaltigen Strapazen zu erholen. Auch über das Gut fuhr der Sturm oft recht ungestüm, mußte aber an dem mannhaften Sinne des Hausherrn abprallen. Die fremden Offiziere merkten sofort, daß er alles hochfahrende Wesen trotzig zurückwies und bereit war, sich gegen sie mit der Waffe zu behaupten. Das bändigte sie, und die Soldaten richteten sich nach ihren Führern. Wenn Ruhepausen eintraten, die Tage weniger Arbeit erforderten und die Abende der Erholung gewidmet werden konnten, dann suchte die Hausfrau notwendige Handarbeit hervor, der Gutsherr rückte zu beiden und las anfangs im neuen Museum; hernach, wenn er sich seine Tonpfeife angebrannt und sich nach seiner Neigung rittlings aus einen Stuhl gesetzt hatte, nahm Eva auf Wunsch der Hausfrau ihren Schiller, den sie durch Trautmann hatte lieben gelernt, zur Hand und las einzelne Szenen aus der Jungfrau von Orleans oder aus Wilhelm Tell vor.
Zuweilen kam aus der Nachbarschaft ein Kammerherr geritten, dessen hier und dort zerstreut gelegene Güter ihm viel Unruhe schufen und der darum gern den Rat des geschäftskundigen Vietlübbers einholte. Er hatte weitere Reisen gemacht, glaubte mit freierem Blick in das ungeheure Getriebe, das Napoleon in Bewegung gesetzt hatte, zu schauen und hielt es für allein geraten, sich von dem alles überragenden Geiste leiten zu lassen. Er hatte Napoleon wiederholt in Berlin gesehen und verstand es, ihn sehr deutlich zu schildern. Klein war der Kaiser und wohlbeleibt. Sein Gang war schwerfällig und seine Haltung zu Pferde gebückt. Aber in dem großen Kopfe mit dem gelben Gesichte wohnte ein Paar Augen, deren Blitz keiner widerstehen konnte; für gewöhnlich waren sie gleichsam verborgen gehalten, unvermutet aber fuhr ein Blick heraus, der sofort den Getroffenen zusammenzucken machte, es war, als ob er im Augenblick ganze Reihen und jeden einzelnen scharf erfassen konnte. Dabei warf er ein Wort hin, das ruckartig Massen in Bewegung setzte; stoßend, kurz, heftig klang jede Rede, als wenn sie herausgeschleudert wurde wie Steine aus einem Krater, in dem es stets heimlich brodelte und kochte. Die Stirn schien wie ein Felsen so hart, die Augen konnten nicht lachen, höchstens zuckte es um den Mund, als ob er selbst bei der harmlosesten Lustigkeit der Umgebung eine wegwerfende Bemerkuug nur mühsam unterdrückte.
„Und dieser Mann soll nun Herrscher über Deutschland sein und Preußen in seiner Gewalt haben?“ Es klang wie ein Seufzer aus der Hausherrin Mund.
„Preußen? Was geht uns Preußen an? Warum haben sie es dort versucht, gegen den Felsen anzurennen? Nun sind sie zerschellt,“ rief der Kammerherr.
„Schiller sagt ?Nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr altes freudig setzt all ihre Ehre,?“ warf die Hausfrau ein.
„Nation? was ist eine Nation? ich habe noch keine gesehen. Kann man sie mit den Händen greifen? Das ist so ein Gedankending, das Schiller aus der Vergangenheit herausgesucht und wieder etwas geputzt hat. Napoleon ist offenbar der volll Schicksal bestimmte Mann, die Nationenmanie zu beseitigen und die Einigung der Welt anzubahnen.“
„Das heißt alle zu Frauzosen machen?“ fragte der Gutsherr.
„Zu Weltbürgern, Herr Nachbar.“
„Weltbürgertum? Ist das nicht etwa auch ein Gedankending, ein Hirngespinst, eine bloße Redensart?“ hielt der Hausherr entgegen. „Er ist Franzose, und überall führt er französisches Regiment, Gesetz, Beamtentum und Wesen ein.“
„Ich will das ihm zugestehen, denn aus Frankreich kam uns der neue Weltgeist, die Freiheit, die große Anschauung der Dinge, der Begriff der Menschenrechte.“
„Was? Gerade das will Napoleon alles wieder nehmen. Er will nur Buchsbaummenschen sehen und zwischen Taxusvölkern spazieren gehen, alles, was aus der Masse herausguckt, wird abgeschoren, und was stark widerstrebt, wird abgesägt, bis die Völker stehen wie seine Regimenter. Dann geht er mit seiner steinernen Stirn hindurch, und das hämische Lachen spielt um seinen Mund.“
„Sein durchdringender Verstand hat zuerst in seinem eignen Innern aufgeräumt und alles warme Empfinden von Herz und Gemüt ertötet. Damit aber hat er die Kraft verloren, die über den Verstand geht und allein mächtige Bewegungen der Menschen und Völker nachhaltig machen kann.“ Die Hausfrau rief es, durch den Streit lebhaft angeregt.
„Wäre er hier,“ sagte der Kammerherr lächelnd zu ihr gewandt, „so würde er wegwerfend von Ideologen reden. Auch mich würde er so nennen, denn in der Bedrängnis, in die Sie mich bringen, muß ich zugestehen, daß er nur ein Werkzeug ist, das der Schöpfer gebraucht, bis er es abgenutzt hat und ein anderes nimmt, durch das er dann an dem Werk weiterarbeitet, alle Menschen zu Brüdern zu machen, er selbst hat ja das Gesetz der Nächstenliebe für alle Menschen gegeben.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!