- 08 - „Was sollen wir ausgeplünderten Leute wohl anfangen? Sie ahnen nicht, wie leer die Häuser sind, die Franzosen ...

„Was sollen wir ausgeplünderten Leute wohl anfangen? Sie ahnen nicht, wie leer die Häuser sind, die Franzosen hatten eine Art, im Vorübergehen zuzugreifen, die von langer Übung zeugt.“
„Ja, gerade deswegen komme ich zu raten. Sie müssen schon jetzt Korn aufkaufen, Magazine anlegen, Vieh zusammentreiben, backen, schlachten, kurzum, sich vorsehen für die größten Forderungen bei den Bequartierungen. Kriegen Sie alle Bürger nur scharf heran. Nicht brüten und den, der am lautesten jammert, immer zuerst heranziehen! Wir haben zu gemächlich viele Jahre durch gelebt, nun gilt es, die Augen aufmachen, denn dies ist erst der Anfang.“
„Wer hat Geld bei uns? Arbeiten will ich wohl, so lange diese alten Knochen zusammenhalten, aber wenn das Wichtigste fehlt -“
„Schon wieder aber - wenn. Nichts damit! was sein muß, muß sein. Haben die Bürger nichts, so muß die Stadtkasse heran.“
,,Ist leer, bis auf ein paar hundert Taler.“ „So leihen Sie, ich will Ihnen die Möglichkeit in Hamburg schon nachweisen, wenn die Stadt sich verbürgt. Die Schwerfälligkeit der Kleinstädter? Da geben Sie durch sich den Leuten ein Beispiel zur Tatkraft, und dann stellen Sie ihnen das mutige Mädchen vor, das, wie ich hörte, Patronen getragen hat.“
„Und das dafür so bitter büßen muß.“ Ein Wort gab das andere, und bald erfuhr der Frager, auf welche unsinnige Wege die Verwirrung und Not so manche Städter getrieben hatte, hörte auch von den finstern Drohungen, bei der ersten Gelegenheit sie den Franzosen, wie sie schon einmal gesucht hatten, zu verraten.
„Ei, da soll doch das Wetter dreinschlagen!“ fuhr er los, „sind die Leute in solcher Zeit denn alle verrückt? Da will ich sie doch mal mit der Nase auf den Unsinn stoßen. Das Mädchen hole ich zu uns nach Vietlübbe, meine Frau kommt morgen schon zurück, und die Mademoiselle will ich auch gleich mitbringen lassen, die kann ja der nächsten Einquartierung ihren Kosakentanz vortanzen.“
Da lachten beide und schüttelten sich die Hand, und der Vietlübber machte sich in seiner festen raschen Weise sofort auf zu Gellerts Hause. Ein Junge mußte ihm das Pferd halten, er stieg ab, trat näher und wurde von der überraschten Frau Klementia aus dem Laden in die Stube hineinkomplimentiert.
„Da haben Sie ja ein paar hübsche Bilder,“ sagte er gemütlich, „wen stellt das dar?“
„Das ist mein Angminealtür, gnädiger Herr, und das ist das Panschang dazu, das Potterät meines Mannes.“
„Natürlich, hätte ich sofort sehen müssen, ein so stattliches Paar gibt es zehn Meilen in der Runde nicht. Er hätte ‘n guten Kürassier seinerzeit abgegeben.“
Frau Gellert lachte vergnügt. „Mit Parforz muß nun wohl alles martzialisch sein,“ sagte sie. „Ja, mein Mann sitzt nicht schlecht zu Pferde, der gnädige Herr war wohl beim Milletähr?“
„Woher wissen Sie das? Lange hat’s mit mir dabei nicht gedauert, es war mir alles da zu eng.“
„Nun, mit solchem Orkan wie der gnädige Herr spricht doch nur ein Offizier so - so - dezimiert und fest. Aber freilich mit dem Awangzimang, das ging wohl nur langsam. Das ist bei den Franzosen anders, und nichts von dem Abrichten und Drillen, das ich bei unserer Garde gesehen habe, alles Alertigkeit, vite – vite – marche, ohne viel Fraßen - ja, aber die haben auch große Battalljen mitgemacht, viele waren verwundet, und einen hat man mir gezeigt, den hat der Kaiser selbst mit einem Kreuz dekollettiert.“
„Nun, Frau Gellert, das gefällt mir an Ihnen,“ sagte der Besucher, „daß Sie nicht auch den Kopf so hängen lassen und mitten in dem Trubel noch die Augen aufgehalten haben und scharf beobachtet. Wie haben Sie das möglich gemacht?“
„Wir hatten uns vorgesehen, gnädiger Herr, und die allerälteste Riesensau, die ungemästet schon 300 Pfund wog, geschlachtet, und Gellert hat travaljiert und haschiert, und als ihm einmal die Galle überlaufen wollte über die Zankfaßongs, da sagte ich ihm, daß am nächsten Tage die zähen Fleischstücke den Weg der Franzosen bezeichnen würden, wie beim kleinen Däumling die Steine, da könnte er sie wieder aufsammeln, da lachte er, daß er transpirierte, und da vergingen ihm die Vapörs.“
„So sind Sie also beide ganz vergnügt bei der Sache gewesen?“
„Unsern Platz haben wir gehalten, und alles ginge noch an.“ Es flog ein Schatten über das frische offene Gesicht, und sie setzte zögernd hinzu: „Nur das mit der Eva, das kann ich doch nicht so ang Bagatell trätieren.“
„Um’s offen zu sagen, deswegen bin ich hier, Frau Gellert. Mich ärgert’s, daß dem prächtigen Mädchen, das Ihrer Erziehung alle Ehre macht, von der Dummheit so begegnet wird.“
„Dummheit? Malitze, gnädiger Herr! es gibt so viel meschante Leute, die stankato herumgehen, Leute, die kein Viertelpfund Fleisch kaufen können, nur bloß solche Suppsistenz haben. Gegen diese muß ich der Eva den Rücken steif machen.“
„Lassen Sie uns dabel helfen, meine Frau und mich, es würde uns eine Freude sein, das tapfere Mädchen eine Zeitlang bei uns in Viellübbe aufzunehmen.“
Frau Gellert verlor dle Fassung, sie sah den Besucher ganz verdutzt an, der fuhr fort: „Sehen Ste, dte Franzosen kommen bald von Lübeck zurück, und manche werden hier wohl länger Quartier nehmen, weil sie sich erholen müssen, da ist es vielleicht gut, daß das Mädchen ihnen von den gehässigen Zungen nicht preisgegeben werden kann, bei mir will ich sie schon schützen, meine Frau wird sie gerne um sich haben wie einen lieben Besuch, und wenn sie etwas in der Wirtschaft hilft -“
„Sie nehmen mir eine große Last ab, gnädiger Herr,“ sagte Frau Gellert, „ich wollte es mir nicht ankommen lassen, aber ich habe in Sorge heimlich manche Nacht geweint. Das Mädchen ist so ganz anders geartet, da steckt so viel Finessie, aber auch so viel Nongschalanz drin, das ist eine gefährliche Mischung. Wir haben doch nur die eine, und wir haben sie zu lieb.“
„Da haben Sie recht, daß der gefährlichste Feind in jedem Menschen selbst drin steckt und lauert; aber ich denke mir, daß in Ihrer gesunden Nähe das Lauern ihm schon über werden wird.“
Der Vietlübber schüttelte ihr die Hand. „Immer geradeaus wie bisher, liebe Frau Gellert, dann kommen wir über die schlimme Zeit wohl fort.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!