- 07 - Die drei Weiber hatten die Lösung des Rätsels gefunden und trugen sie nun auf ihren Rundgängen in die Küchen ...

Die drei Weiber hatten die Lösung des Rätsels gefunden und trugen sie nun auf ihren Rundgängen in die Küchen und von den Küchen in die Stuben und durch die ganze Stadt. Einzelne Verständige stemmten sich dagegen, andere lachten darüber, aber die Masse nahm sie eifrig auf, die ungeheure Aufregung mußte ihre Ablenkung haben, die gereizten Gemüter ihre Abspannung. Dazu kam, daß das Findelkind ja eine hergelaufene Fremde war, die weiter keine Verwandtschaft im Orte hatte. Wenn nur der Bürgermeister nicht so alt und nachgiebig wäre und der Rektor so blind und die Schlachterfrau so schlagfertig mit dem Mund und ihr Mann so stark in der Faust - man hätte dann das Mädchen bei dem ausbrechenden Unwillen gern aus dem Tor gebracht. So begnügte man sich damit, durch Schimpfen und Höhnen hinter ihm drein sich Luft zu machen, und die am meisten gereizt waren, die sprachen es laut aus, man müßte den Franzosen, wenn sie zurückkämen, Nachrichten darüber zukommen lassen, wie die Patronensammlerin es mit den Preußen gehalten hätte, die würden dann schon wissen, was sie mit ihr zu tun hätten.
Eva wagte sich kaum noch aus dem Hause und fand nur eine Zufluchtsstätte, wo sie sich sattweinen konnte, das war das Herz ihrer Mutter. „Mein Herzing,“ sagte die, „das nützt nichts, daß wir uns jetzt mit ihnen abkatzbalgen, wo die Franzosen alles so runterrementert haben; da sind sie aus Rand und Band, was sie sagen, wissen sie selbst nicht recht. Wenn nur erst die Mannsleute mehr auf dem Damm sind, dann kommt auch wieder mehr Vernunft in die Sache. Bleib du nur bei mir, und kommen sie mir hier an die Bande, dann will ich mein fidi darunter schreiben, daß ihnen hören und sehen vergeht.“
Die Männer kamen aber einstweilen noch nicht zur Besinnung, sie waren mit der Wiederausrichtung der Stadt übermäßig in Anspruch genommen. Matthies, der durch seines Lehrherrn Tod ohne feste Anstellung war, ließ sich als der Willigste und Fleißigste überall benutzen, wo man seiner bedurfte, bald in einem Hof und Stall, bald in der Werkstatt oder beim Schreiben und Aufzeichnen des Schadens (der Bürgermeister drängte darauf, weil er Ersatz von Landes wegen hoffte), bald sogar draußen auf der Landstraße.
Denn kaum hatte Bäcker Kues ihm geklagt, daß er durch den Verlust seines Pferdes, das die Franzosen mitgenommen hatten, zum Ruin gebracht würde, so war Matthies zu dem tollen Unternehmen bereit, mit dem Knechte zusammen den Versuch zu machen, das Pferd wieder zurückzuholen. Natürlich sah er unterwegs bald die Unmöglichkeit ein, aber erreichte dennoch weit mehr, als er geplant, denn schon nach zwei Tagen kam er nicht mit einem, sondern sogar mit zwei Pferden zurück. Er hatte auf dem Marsche gehört, daß die Franzosen unbrauchbare Tiere und Beutepferde auf eine Koppel hinter Schlagsdorf zusammengetrieben und dort gelassen hätten, um sie bei der Rückkehr abzuholen, er fand auch die Stelle, wo die Pferde sich kümmerlich von den Zweigen der Hecken und dem kargen Herbstgrase nährten, und machte sich mit dem Knechte unter sie. Da war ein offenbar junges überangestrengtes Tier von seltsamer graugelber Farbe, das ihm am besten gefiel, aber als sie ihm den mitgebrachten Zaum anlegen wollten, biß es trotzig zu und schnappte um sich. So nahmen sie in der Eile eine Stute und machten sich davon, und siehe, der Graugelbe trottete uneingeladen hinterdrein. Mit fröhlichem Zuruf zogen sie in Gadebusch ein, Matthies bedingte sich nur aus, daß der Bäcker ihm das bissige Tier im Stall aufbewahre, und hatte nun seine helle Freude daran, es zu pflegen und an sich zu gewöhnen. Sein Jochen war ihm hinnen kurzem ans Herz gewachsen, Pferde waren ja immer seine besondere Liebhaberei gewesen.
Auch in der nächsten Umgebung von Gadebusch war die Verwüstung groß, hier hatten vielfach Banden von Marodeuren furchtbar gehaust.
„Ja, ja, mein lieber Herr Bürgermeister,“ sagte der Vietlübber Herr bei einem Besuche, „Sie sind hier noch gut weggekommen, was sollen wir sagen? Ich hatte bei mir alles rechtzeitig verwarnt und verwahrt, meine Frau sofort im Kutschwagen mit den Kindern nach Dobbertin geschickt, die Gespanne mit Korn auf und davon, das Vieh in die Buchen und zum See und die Frauenzimmer aus dem Dorfe alle hinterdrein; kaum sind wir fertig - ich bin nach meiner Meinung nur noch allein im Hause - da wie das Wetter an 20 Teufel auf den Hof und im Nu drin und über mich her, ich soll Geld herausgeben, Silber, Schnaps, Fleisch, wie es von allen Seiten auf mich ein schreit. Mein Geld habe ich bei mir und halte die Taschen zu, hui, Bajonette gegen mich, ich muß wahrhaftig aus dem offenen Fenster springen, die Bande hinterdrein. Und als ich an der Küche vorbeilaufe, da stehen die beiden Mädchen Lischen und Trine noch und nöhlen und packen. ?Lauft? schrei ich, ?zum Donnerwetter lauft? Sie beide auf und mit, aber sie haben die Schürzen voll und kommen nicht vorwärts. ?Werft alles weg und lauft? schrei ich wieder, ?die Franzosen greifen euch und dann gnad’ euch Gott.? Was tun sie? beide kreischen und laufen gerade an den Teich - klatsch, die Schürzen voll hinein, und dann, als die Franzosen schon die Krallen nach ihnen ausrecken, mir an die Seite und vorweg wie ein Wirbelwind. ?Was hattet ihr denn in der Schürze?? rufe ich nach. ,Das Silberzeug? heißt es. Sehen Sie, da hatten wir beim hastigen Einpacken gerade die Hauptsache vergessen, und die beiden Mädchen haben sich darum der schrecklichen Gefahr ausgesetzt. Ich habe ihnen gesagt, daß sie damit ihre Aussteuer erdient hätten. Wie wir zurücksehen, sind die Franzosen dabei, mit den Bajonetten zu fischen, sie haben aber nicht einen Löffel aus der Modde gekriegt. Wir lachen, sie schießen in Wut ganze Salven gegen uns, dann aber sind sie still, und wir sehen, wie sie nach der Meierei zu Hals über Kopf abziehen. Beiläufig - den armen Meier haben sie krumm und lahm geschlagen, und die arme Frau - weinen könnte man, wenn man sie sieht. - Ja, was ich sagen wollte, es kommt ein Zug Kavalleristen angeritten, die offenbar regelrechte Order zum Requirieren haben. Die fangen beim Hof an und hören beim Pastor auf und nehmen alle Lebensmittel, die zu finden sind. Als wir hernach zurückkommen, ist in dem ganzen Dorf nichts weiter als ein einziges Brot, das haben sie auf dem Pfarrhofe verloren, und der Pastor hat’s gefunden, und es ist eins von den Martinibroten, die meine Frau gebacken hat. Gott lenkte damals ihre Hand, daß sie beinahe ein Faß Mehl darin verbuk, weil es für die Pfarre war. Nun schnitt der Pastor ab, jeder erhielt eine Scheibe, von mir an bis zu den Tagelöhnern, und wahrhaftig, es reichte aus. Übrigens sind jetzt schon überall wieder die Löcher zugestopft. So viel von uns. Wie es hier gegangen ist, habe ich gehört, schlecht natürlich, aber es hätte noch schlimmer werden können. Danken Sie Gott, daß es beim Galgenberge nicht zur Schlacht gekommen ist, dann wäre die Hölle gegen die Stadt losgelassen.“
„Ja, gnädiger Herr, ober mehr noch würde ich ihm danken, wenn wir überhanpt nichts von den Franzosen gesehen hätten,“ antwortete Koch.
„Bezweifle ich, Herr Bürgermeister, Sie würden gar nicht danken, denn Sie wüßten nicht, wovor er Sie bewahrt hätte. Ich meine, wir wirtschaften jetzt am besten nicht mit wenn und aber, sondern rechnen mit den Tatsachen, und da steht fest, daß in nicht zu langer Zeit die Franzosen zurückkommen werden.“
„Gott steh uns bei, das wird dann noch schlimmer.“
„Über Gadebusch ziehen sie bestimmt zurück, und schlimmer wird es nicht. Die Bande hat in Lübeck schauderhaft gehaust, aber der Krieg ist doch in der Ecke da oben wenigstens aus, und die Marschälle werden die Massen nun fest zusammenfassen und Mannszucht halten, darauf können Sie sich verlassen, denn sie müssen sie für den neuen Kriegsschauplatz in der Hand haben.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!