- 06 - Er fand die Gellertschen Eheleute bei der Arbeit, die am Morgen geschlachtete Sau zu zerlegen, dabei ...

Er fand die Gellertschen Eheleute bei der Arbeit, die am Morgen geschlachtete Sau zu zerlegen, dabei waren sie voller Sorge um Evas Schicksal. Nun konnte Matthies trösten und versichern, daß das Mädchen von ihm versteckt wäre, er machte dadurch den Schlachter so froh, daß er allen eindringenden Franzosen entgegenlachte. „Bleib da, Matthies, bleib da, und sieh zu, wie wir sie mit der Urgroßmutter aller Gadebuscher Schweine anschmieren,“ rief Gellert, schnitt behende ein Stück ab and warf es einem Franzosen zu. Der wollte mehr, aber Frau Klementia klopfte ihm freundlich mit einem Messerrücken auf die Finger, er grüßte und lief davon.
„Ich habe ausgerechnet, daß sie im ganzen 150 Ferkel in die Welt gesetzt hat,“ erzählte der Schlachter in vollster Arbeit, die Knochen trennend, „und da muß sie hinterher noch dazu helfen, den Franzosen vor Mecklenburg Grauen zu machen.“
„Sie soll ein Epetassium haben,“ fügte Frau Klementia hinzu und hielt einem Soldaten ein Stück vor den Mund, der ging auf den Scherz ein und biß zu und trabte mit dem Fleisch im Munde grinsend davon. Das machte andere draußen lachen, so kamen sie in den Laden und kamen lustig wieder heraus.
Matthies ließ sich aber nicht halten, sondern eilte ins benachbarte Haus, wo sein Pflegevater sich damit abmühte, sich einem kleinen französischen Leutnant verständlich zu machen. Ihm war es so lange gut gegangen, denn bei dem feindlichen Anprall war Trautmann gelassen in seiner Stube darangegangen, Arbeiten seiner Zöglinge durchzusehen. Heraufdringenden Franzosen hatte er mit dem Hinweis auf seine Beschäftigung gesagt: „Mâitre d’école –pauvre – de L’argent? – je n’ai nix :célibataire,“ und wenn sie gar zu ungestüm tobten, hatte er in die Ecke gegriffen und sie aus einem großen Topf Branntwein schärfster Art trinken lassen. „Ich nahm einen Topf,“ sagte er später, „denn eine Flasche hätten sie mir entführt.“
Oder er ersuchte sie höflich: „Ecrivez, messieurs““ und bot ihnen eine Tafel mit Griffel, und seine Art entlockte ihnen das Zugeständnis „Un gai garçon – un jovial camarade.“ Da polterte fluchend der kleine Leutnant die Treppe herauf, jagte die Soldaten hinaus, aber verlangte zum Lohn Geld in die hingehaltene Hand gezählt und schrie etwas von: „montre – argent – vaisselle – tabatière -,“ das letzte Wort faßte Trautmann, der gerade wieder seine Tafel herlangen wollte, glücklich auf, gelassen zog er seine hölzerne Schnupftabaksdose und bot dem Leutnant eine Prise. Der schlug ihm wütend unter die Hand, aber dabei schlug er sich selbft das beißende Pulver in die Augen, und nun tobte er wie ein Rasender herum und wischte und wollte mit seinem Degen den Rektor durchrennen und konnte nicht sehen, wohin er stach. Matthies faßte den Überraschten flink von hinten über beide Arme, trug ihn die Treppe hinunter und setzte ihn auf die Straße, und da der Tabak noch immer biß, so fand der Wütende das Haus nicht so schnell wieder und wurde von einem neuen Haufen fortgezogen. Dem festen Nachfassen der höheren Offiziere gelang es endlich, die Massen aus der Stadt zu treiben, sie vor den Toren zusammenzufassen und mit den übrigen Regimentern, die die Fühlung mit den Preußen behalten hatten, zu vereinigen.
Da war es wieder still in Gadebusch, die Abgesprengten und die Marodeure trieben ihr Werk draußen in den einzelnen Gehöften und den Dörfern weiter, über der Stadt aber lagerte anfangs lähmende Betäubung, es war kein Haus, das nicht Schweres erlitten hatte. Männer lagen zerschlagen oder verwundet zu Bett, Frauen irrten jammernd durch die leeren Speisekammern oder Ställe, Mädchen sammelten weinend die Reste ihrer geringen Habe, die man aus den Koffern gerissen und herumgestreut hatte. Wohin man fragte und horchte, kam als Antwort nur Klage zurück, die alte Frau Bürgermeisterin war an der Treppe gestoßen, hatte einen schweren Fall getan und blieb wahrscheinlich lebenslang gelähmt; der Chirurg Gaarz hatte einen Schlaganfall vor Ausregung gehabt und war tot, die Tochter vom Bäcker Kues war geistesgestört. Eigentlich gab es nur ein Haus in der Stadt, in dem man den Mut nicht verloren hatte, Schlachter Gellert war die alte Sau losgeworden, sein Lachen hatte er behalten, seine Frau ging daran, das Haus zu säubern, und Eva konnte nebenher erzählen, wie die Franzosen von ferne angekommen wären, nannte die Namen Soult und Bernadotte, hatte Kanonen dicht bei sich abfeuern sehen und Soldaten fallen, hatte Patronen für die Preußen gesammelt, kurzum, sie war recht mitten drin gewesen, wo die Gefahr am ärgsten drohte. Aber tief im innersten Herzen hegte und barg sie, was Blücher gesprochen und wie der treue Preuße in ihren Armen gestorben war. Seine Worte waren ihr gleichsam ein heiliges Vermächtnis, dessen Preisgabe in diesen verworrenen Zeiten ihr eine Entweihung scheinen wollte. Von ihrer leichten Verwundung zu schweigen hatte die Mutter ihr schon vorsichtigerweise zur Pflicht gemacht.
Kaum daß die Städter sich aus ihrer Betäubung etwas aufrichteten, begann das Fragen nach dem Unerklärlichen. Keiner konnte das Rätsel des alles überflutenden Einbruches befriedigend lösen, keiner außer Ollhöft hatte ja in dem kleinen Neste, in dem man immer tagaus tagein der alten Gewohnheit nachgelebt hatte, einen Begriff von der Bewegung der Kriegsheere, nur ganz wenige hatten bisher überhaupt einen Soldaten in Uniform gesehen und dann nur Mecklenburger, bei denen die sonderbarsten Gestalten für ein Billiges angeworben und eingestellt waren.
Woher die Massen? wie so heimlich? und wie so sicher? Und sie alle hatten darunter leiden müssen, aber diejenige, die am tiefsten mitten drin gewesen war, war ganz ungefährdet entkommen?
Da standen die drei Parzen an einer Marktecke und berieten unter sich. Sie bildeten sich ein, schwer betroffen zu sein, in Wirklichkeit hatten sie gar nichts zu verlieren.
„Ach ja, der liebe Gott hat uns alle bewahrt, am meisten das Findelkind, das ist doch geradezu wunderbar.“
„Was ist da zu Wunderwerken? Laß ‘ne Katze noch so hoch niederfallen, sie fällt immer auf die Füße. An mir hab ich von dem Bewahren nichts gemerkt, mich hat ein Kerl niedergeratnn, daß ich noch heute meine Glieder fühle.“
„Und die Schlachterdirne hat sich selbst bewahrt, das habe ich gesehen.“
„Was hast du gesehen?“
„Wie sie voranlief und sprang als Siehstdumichwohl, und all die Franzosen mit Juchhei hinter ihr her und so hinein in das Tor.“
„Natürlich, das kann nicht anders sein, das sieht ihr ähnlich, so hat sie es immer gemacht. Wie ist sie aber mit den Franzosen zusammengekommen?“
„Herr Jesus, daß du das sagst! Da hat ja ein preußischer Leutnant bei Gellerts im Quartier gelegene
„Den hat sie nicht lassen wollen und ist ihm nachgelaufen. O du grundgütiger Himmel, das mit der Harke ist nur ein Vorwand gewesen.“
„Hä, hä, hä, der ist ihr zu klug gewesen und hat nicht anbeißen wollen.“
„Und da hat sie die Augen sündhafterweise auf die Franzosen geworfen.“
„Die Franzosen, das sind die echten, die passen zu ihr.“
„Sie kennt sie ja schon von damals her, als die Geschichte mit dem Messer geschah, sie hat sie absichtlich hinter sich her gelockt.“
„Und so sind sie über uns gekommen, und wir sollen das auffressen, was sie uns eingebrockt hat.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!