- 04 - Plötzlich eine helle Stimme, die alles übertönte: „Na, ihr da oben, ihr wollt die Parlewus wohl mal zeigen, ...

Plötzlich eine helle Stimme, die alles übertönte: „Na, ihr da oben, ihr wollt die Parlewus wohl mal zeigen, wat’n preußsches Kanapee is?“ Die Soldaten lachten und antworteten mit fröhlichem Zuruf. Eva schnellte wieder ermuntert empor. Neben der Miete hielt ein Reiter, der mit dem Pferde wie verwachsen schien, breite Schultern, schwarzdunkle blitzende Augen, einen grauen Schnurrbart unter der kühnen Nase.
Dicht neben ihr psisf eine Kugel vorbei, sie achtete es nicht, sie starrte nur auf den kühnen Reiter, der sich frei aufsetzte und und scharfen Blicken das Feld überflog.
„Sie schießen mit Granaten!“ ein Soldat rief es warnend von der Miete, da flog etwas, das schlug auf und krachte, Staub und spritzende Eisenstücke schwirrten umher.
„Ih, laß doch den Deibel,“ sagte der Reiter ruhig.
Neben ihm hielt noch ein zweiter, der sah viel ernster, fast hart und grimmig drein.
„Hier müssen wir stehen und schlagen,“ sagte der, „die Franzosen müssen auf Eisen beißen.“
Sein Antlitz zeigte im Gegensatz zu dem ersten gar keine Bewegung, es war wie aus Stein.
Eva rückte neugierig den beiden Reitern näher, an den Lärm hatte sie sich schon gewöhnt, das Sausen und Schwirren der Kugeln beirrte sie nicht mehr. Da scholl oben auf der Miete ein lauter Schrei, einer der kühnen Grenadiere überschlug sich und stürzte schwer aus der Höhe. Ein leises Stöhnen, dann versuchte er sich aufzurichten, aber er brach wieder zusammen und lehnte sich mühsam gegen die Strohwand.
„Hast du eins weggekriegt?“ sagte der General. „Ich denke, du hast aber keine Schulden mehr und ihnen alles schon vorausbezahlt.“
Über des Verwundeten Angesicht flog ein grimmiges Lächeln, als er nickte. Dann suchte er in der Patronentasche. „Es ist die letzte, ich kann sie nicht mehr brauchen.“
„Ja, das Pulver wird knapp,“ sagte ein Kamerad, „die da unten herumliegen, müssen ihre Taschen noch beinahe voll haben, aber die Franzosen schießen gerade dahin ganz hundsföttsch sicher.“
„Ich wills versuchen,“ rief einer entschlossen und machte sich hinter der Miete hervor, aber er kam nicht bis zu den Toten, da lag er schon. Ein zweiter folgte und hatte das gleiche Schicksal.
„Wat macht denn dat Mädchen da?“ rief bald darauf der General verwundert.
„Das Pulver geht aus, sie trägt herbei.“
„Alle Wetter noch mal zu,“ lautete die Antwort.
In der Tat hatte Eva kaum begriffen, um was es sich handelte, als sie nach ihrer Art flink herausgefahren war. Bei dem ersten Toten, den sie anrührte, durchschauerte es sie, den zweiten konnte sie schon ein wenig zur Seite drehen, um die Tasche hervorzuzerren, sie faßte die Schürzenzipfel mit den Zähnen und sammelte die Patronen hinein.
„Ja, du kleine Wetterhexe,“ rief der General ihr zu, „na, dat wird die Franzosen schon munden, wenn sie von so ‘ne Kugel angeschossen werden. Recht so, man immer druf!“
Es bedurfte der Aufmunterung nicht, alle Hände der Schützen griffen zu, rasch war der Vorrat verteilt, und wieder schoß sie hinaus. Unterwegs blieb sie einen Augenblick auf freier Fläche stehen, ihre scharfen Augen sahen etwas, das sie bedenklich machte. Um so mehr sputete sie sich, Verwundete reichten ihr freiwillig den Rest ihres Vorrates hin, einer, den sie anrührte, stöhnte, Blut floß ihr über die Hand, sie erblaßte, aber biß die Zähne zusammen und sammelte und sprang zurück.
Ein Grenadier rief von oben, daß auf der Schweriner Straße von Käselow her eine Masse Reiter kämen, einige jagten schon weit vorweg auf Gadebusch zu.
„Also auf die Manier. Na ja, der Kerl, der Bernadotte müßte ja mit’n Dummbeutel geklopft sein, wenn er sich nich ranhielte.“ Der General sprach so zu seinem Begleiter. „Mich juckte es in alle zehn Finger, dem Soult die Hosen mal stramm zu ziehen, aber wenn der Bernadotte richtig aufholt, kann er uns bald mit eins zusammenklappett. Wir müssen mal widder abziehen.“
Der Angeredete sagte nichts, er biß nur auf die Unterlippe.
„Alter Eisenbeißer, nich brummen. Wenn wir ausgeruhte Leute hätten, dann könnten alle Satanasse der Welt auf uns losgelassen werden. Aber einundzwanzig Tage ohne Verlöschnug - es geht nich.“ Die Kanonen fuhren ab und jagten toll den Abhang entlang, der General wandte langsam sein Pferd, der andere rührte sich nicht.
„Lauf, Mädchen,“ wandte sich der General an Eva, „hier kommt bald der Franzos, das ist ‘ne Art, die greift nach jeden Unterrock.“
Als sein Begleiter noch immer seinen Platz hielt, fuhr der General wieder herum. „York, zum tausend Sackerment! Sind wir denn Faultiere gewesen? In die Schlawerei gehen wir nich, und die Waffen legen wir nich aus der Hand, man müßte sie uns denn abschießen.“
Da jagte ein Offizier den Berg herauf: „Ich melde, daß die Franzosen Stadt und See umgangen haben und in hellen Haufen aus dem Hcholz hervor zum Flusse herandrängen. Kommen sie durch, so steht der Marschall Bernadotte uns im Rücken.“
„Schwerenot, dat freut mir, Herr Oberst Scharnhorst,“ sagte der General, „denn kann er mir ja recht bequem -“ Ihn traf ein Seitenblick seines Begleiters, er warf mit einem Ruck den Kopf zurück und verbiß sich den Schluß.
Ein zweiter Reiter jagte herauf: „Der Marschall Bernadotte läßt zur Übergabe auffordern, weil wir ringsum abgeschnitten seien.“
„Die Pest soll den Schwindler in die Kaldaunen fahren! Lassen Sie dem Gascogner Hampelmann melden, wenn ich mal Danzstunde nehmen wollte, denn wollte ich ihn wat zu verdienen geben, bis dahin müßte er sich gedulden. - Kinder, ihr haltet hier den Platz wie Preußen, bis der Befehl zum Abzug kommt, ich sorge dafür. Wir wollen uns des Vaterlandes würdig zeigen bis zur letzten Patrone und zum letzten Atemzuge.“
Dann ritt er davon, die übrigen folgten, nur die Grenadiere blieben und schossen. Dann rief auch sie die Trompete.
„Du bist ja durch und durch geschossen, gönne dir Ruhe, Kamerad,“ sagte einer zu dem, der von der Miete gestürzt war und vergebens sich aufzurichten versuchte.
„Gott sei mit dir.“
„Ja, und vor allem mit euch, denn auf euch kommt es an, ich habe ja nun eine Ewigkeit zur Ruhe.“
Die Grenadiere verschwanden den Berg hinab, dann wurde es fast unheimlich still.
Eva konnte sich von dem Verwundeten, der so mannhaft dem Tode entgegensah, nicht losreißen, sie kauerte neben ihm mitleidig nieder und streichelte leise die Hand, die schlaff an der Seite hing.
„Du hast recht, noch ist sie nicht abgeschossen. Gib mir eine Patrone, da liegt noch die letzte.“ Eva reichte sie ihm, er wollte sich aufrichten, sie stützte ihn kräftig, und er stand, er lud, drüben kamen Franzosen, jetzt hatten sie den Berg erstiegen, er legte an und schoß, der feindliche Offizier fiel. Wutgeschrei und Schüsse antworteten, und der tapfere Preuße stürzte schwer zusammen, es war Eva, als ob gegen ihre Seite etwas anprallte, sie achtete es nicht und kniete wieder neben ihm und versuchte ihn zu stützen.
„Wie sagte der General Blücher?“ flüsterte er, „des Vaterlandes würdig - bis zur letzten Patrone - und zum - letzten Atemzuge.“ Dann lag er still.
Inzwischen waren die Franzosen herangestürzt, einer bohrte sein Bajonett noch gierig in den Toten.
„Ah – la belle porteuse de patrones,“ rief der zweite, in seinen Augen loderte plötzlich eine unheimliche Gier auf, er reckte die Finger wie Krallen, Eva, die noch immer den Toten gehalten hatte, schnellte entsetzt zurück, glitt gewandt unter den nachfassenden Händen fort und stürzte den Berg hinab.
Ihr nach rasten die beiden ersten Franzosen in wilden Sätzen, und hinterdrein heulte, jubelte, tobte die Masse, sie quoll über die Höhe und beteiligte sich an der tollen Jagd. Als Eva einen angstvollen Blick zurückwarf, war dicht hinter ihr der Abhang voll Uniformen, Schüsse knatterten, Kommandos schollen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!